„Wir sind auf einem sehr guten Weg, aber noch nicht am Ziel“

Frau Dr. Rieder, welche sind die wichtigsten Ziele und
Aufgaben des Büros der Behindertenbeauftragten?
Das Büro der Behindertenbeauftragten ist in drei Schwerpunkte gegliedert: erstens der
Service und die Beratung der Studierenden und der einzelnen Abteilungen der
Universität. Zweitens die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des
Behindertenwesens. Der dritte,
sehr wichtige Schwerpunkt
ist das barrierefreie Bauen – darum auch die Zuordnung des Büros zum
Vizerektorat für Infrastruktur.
Mit welchen Arten von Barrieren sind die Studierenden
an der Universität konfrontiert?
Ganz unterschiedlich. Wir haben Studierende aller
Behinderungsformen: gehöreingeschränkte, gehörlose, mobilitätseingeschränkte,
seheingeschränkte und blinde Studierende sowie psychisch beeinträchtigte
Studierende – diese kommen jetzt immer mehr zum Büro der
Behindertenbeauftragten und lassen sich beraten. Dadurch, dass die Beratungen
sehr engmaschig sind, ist die Arbeit sehr intensiv.
Wieso ist es beispielsweise für sehbehinderte oder
blinde Studierende wichtig, Hilfe zu bekommen? Wie sieht die Hilfe dann konkret
aus?
Behinderte Studierende haben laut Universitätsgesetz
das Recht, modifizierte Prüfungsmodalitäten in Anspruch zu nehmen. Das heißt,
in Abstimmung auf die jeweilige Behinderung können sie die Prüfung schriftlich
statt mündlich oder umgekehrt absolvieren oder mehr Zeit für die Prüfung haben
– bis zum doppelten der Prüfungszeit. Sie dürfen Hilfsmittel wie die
Braillezeile verwenden oder bekommen Assistentinnen
und Assistenten zur Seite gestellt, denen sie die Prüfung
diktieren. Die Studierenden haben außerdem Anspruch auf Tutorien, die von der Universität
Innsbruck in einem Ausmaß von bis zu sechs Stunden bezahlt werden.
Nicht-behinderte Studierende – im Optimalfall der gleichen Studienrichtung –
helfen behinderten Studierenden, zum Beispiel, indem sie ihnen bei der Literaturrecherche zur Seite stehen.
Mir ist es sehr wichtig, dass das individuelle und persönliche Gespräch im
Vordergrund steht: So können wir optimale Lösungen für die Studierenden finden.
Wer kann sich an das Büro der Behindertenbeauftragten
wenden: alle Studierenden mit Behinderung?
Ja, alle Studierenden mit Behinderung. Im öffentlichen
Raum zählen Menschen mit Behinderung
eigentlich erst ab 50 Prozent Einstufung im Behindertenpass als begünstigte
Behinderte. Unser Grundsatz aber ist, dass ausnahmslos alle Studierenden, die
Hilfe brauchen, sie bekommen sollen – und wenn sie mit fünf Prozent eingestuft sind. Bezüglich
Studiengebührenerlass muss die 50-Prozent-Regel jedoch eingehalten werden.
Wie können die Lehrenden gezielt behinderte oder
chronisch kranke Studierende unterstützen?
Ich halte im Zuge der Personalentwicklung ein Seminar
für Lehrende, in dem es um die barrierefreie Gestaltung von Lehrveranstaltungen
und Lehrmaterialien geht. Es gibt insgesamt ein tolles und wertschätzendes Miteinander
mit Lehrenden und Studierenden. Das Wichtigste in diesem Bereich ist
Information und Aufklärung, denn bei Missverständnissen liegen die Probleme vor
allem im Informationsbereich.
Mit vielen Gesprächen und Sensibilität lässt sich aber das Meiste aus der Welt
schaffen.
Wo sehen sie persönlich den größten Aufholbedarf im
Bereich Barrierefreiheit?
Im barrierefreien Bauen: Wir haben sehr alte Gebäude
an der Universität, etwa das Hauptgebäude, doch leider kommt Denkmalschutz im
Gesetz vor Barrierefreiheit. 2019 tritt ein Gesetz in Kraft, nach dem alle
öffentlichen Gebäude barrierefrei erschlossen und ausgestattet sein müssen. Wir
haben alle Universitätscampus von einer Architektin, Dipl.-Ing. Christine Eder,
die Sachverständige für Barrierefreiheit ist, evaluieren lassen. Sie hat einen
Maßnahmenplan erstellt und auch den Neubau der Chemie begleitet, der, wie ich
denke, sehr gut gelungen ist. Natürlich sind wir auf dem richtigen Weg, aber
wir sind noch sehr weit von einem Ziel entfernt. Was mir sehr wichtig ist – ich
habe selbst Politikwissenschaften an dieser Universität im Rollstuhl studiert –
ist das Ziel, auf jedem Campus einen Regenerationsraum für Studierende
einzurichten. Dort können sich die Studierenden zwischen ihren
Lehrveranstaltungen erholen und auch routinemäßige medizinische Eingriffe am
eigenen Körper durchführen. Räume wie diese gibt es bereits im GEIWI-Turm und
in der Chemie Neu. Außerdem sind an jedem Campus Rollstühle für temporär
verletzte Studierende verfügbar. In diesem Jahr werden das Hauptgebäude und
auch das Technikareal in Angriff genommen: Mit dem Technikareal wurde bereits begonnen, es
werden Stufenlifte und Lifte gebaut sowie Induktionsanlagen für
gehöreingeschränkte Personen mit Hörgerät. Induktionsanlagen sind entweder im
Boden eingebracht
und koppeln an Hörgeräte an oder können um den Hals getragen werden – zweitere
kann man bei uns ausleihen. Sie blenden störende Nebengeräusche, wie zum
Beispiel Rascheln oder auch Tuscheln im Hörsaal aus: Der Studierende hat ein
reines Hörerlebnis und kann sich auf die
Lehrenden konzentrieren.
Sie haben von Regenerationsräumen gesprochen – sind
diese für alle Studierenden mit Behinderung zugänglich?
Ja, sowohl
die Regenerationsräumlichkeiten als auch die
Treppenlifte und auch die barrierefreien
Sanitäranlagen sind bei uns mit dem Eurokey erschlossen. Das ist ein
Schlüssel, den jeder mobilitätseingeschränkte Mensch in Europa bekommt und der
Anlagen für behinderte Menschen zugänglich macht.
In der GEIWI gibt es in den neuen Hörsälen keine
eigenen Tische für Rollstuhlfahrer. Was ist hier beim Umbau schief gelaufen?
Das wird in nächster Zeit revidiert. Einige Hörsäle
sind mit eigenen Rollstuhlpulten ausgestattet worden, wir werden uns bemühen,
jeden Hörsaal so gut wie möglich nachzurüsten.
Manche Hörsäle sind besser nachzurüsten, bei anderen ist es schwieriger, zum
Beispiel bei jenen mit Stufen. Hier ist es sehr schwer, Treppenlifte
einzubauen, weil auch die Fluchtmöglichkeit gegeben sein muss. Wir bemühen uns
stetig, nachzubessern und achten darauf, die optimalen Bedingungen für
Studierende der unterschiedlichsten Beeinträchtigungen zu schaffen. Ich reise
regelmäßig zu nationalen Sitzungen zu diesem Thema. Zusätzlich mache ich eine
Ausbildung in Gebärdensprache, sodass ich mich auch mit gehörlosen Studierenden
unterhalten kann.
Welche Projekte gibt es an der Universität für
Studierende mit Behinderung?
Im vorigen Jahr ist das erste Mal das Austrian Student
Program for Students with Disabilities mit unserer Partneruniversität in New
Orleans umgesetzt worden. Ich bin mit einer Kollegin gemeinsam mit acht
behinderten Studierenden mit unterschiedlichen Behinderungsarten nach New
Orleans gereist. Ich selbst war 2000 als die erste Studierende im Rollstuhl das
so genannte Versuchskaninchen. Das Programm war damals aber für behinderte Studierende zu
anstrengend. Daraufhin haben wir doch einige Jahre Anlauf gebraucht, bevor das
Projekt letztes Jahr im April das erste Mal durchgeführt werden konnte. Wir
waren zusammen mit einem Arzt, einer Krankenschwester und mehreren Assistentinnen und Assistenten direkt am
Campus in einem barrierefreien Studentenheim untergebracht. Es hat mich sehr
gefreut, dass es mit Hilfe von Sponsoren der Universität und Privatsponsering zustande
gekommen ist. Wir haben jetzt schon einige Anmeldungen für das nächste Programm
in drei Jahren.
Können sich Anwärter für Tutorien, also nicht-behinderte
Studierende, auch an Ihr Büro wenden?
Das ist uns ein großes Anliegen! Wir suchen immer
wieder Tutorinnen und Tutoren der unterschiedlichen Fachrichtungen. Alle Interessierten können
sich jederzeit bei uns melden. Ein solches Tutorium wird nicht nur von der
Universität bezahlt, es kann auch eine echte Bereicherung sowohl für die
behinderten Studierenden als auch für die Tutorinnen und Tutoren sein.
Das Interview führte Sophia Gabrielli. Das Gespräch mit Elisabeth Rieder wird heute, 31. Januar 2012, bei „uni konkret“ auf Freirad 105,9 MHz (Freies Radio Innsbruck) um 21:00 Uhr ausgestrahlt.