Interdisziplinäre Bioethik-Exkursion nach Israel

Die Komplexität bioethischer Fragestellungen und Dilemmata im Spannungsfeld zwischen heilkundlicher Grundversorgung und modernster Medizin-Technologie erfordert eine möglichst umfassende und differenzierte Annäherung an das Thema Tod und damit verbundenen aktuellen Kontroversen zu Todeskriterien, Hirntod, Organspende oder Euthanasie. „Sterben und Tod vor unterschiedlichem kulturellem Hintergrund“, lautete daher der Titel einer interdisziplinären Studienreise, die nach kollegialer Vorbereitung durch Prof.in Werner-Felmayer vom Innsbrucker Biozentrum und Prof. Josef Quitterer vom Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck vom 19. bis 30. März 2012 abgehalten wurde. Die Thematik der Exkursion erfuhr und erfährt in Israel auf Grund seiner kulturellen und politischen Gegebenheiten sowie der Holocaust-Erfahrung für die aktuelle bioethische Debatte, aber auch für die Beschäftigung mit der Rolle der medizinischen Forschung während der NS-Zeit besondere Bedeutung. Den Exkursions-TeilnehmerInnen wurde dadurch Gelegenheit geboten, sich vor diesem Hintergrund mit unterschiedlichen Traditionen sowie eigenen Haltungen in reflexiver Art und Weise auseinanderzusetzen“, betont Prof.in Werner-Felmayer, die die Studierenden beider Universitäten gemeinsam mit Prof. Quitterer begleitete. Weiters nahm die Ärztliche Leiterin des Hospiz, Drin Elisabeth Medicus, an der Reise teil und stand für Diskussionen zur Verfügung. Von Seiten der Universität Innsbruck wurde die Exkursion vom Vizerektorat für Lehre sowie von der Katholisch-Theologischen Fakultät unterstützt. Dort war die Exkursion auch Teil eines eigenen Moduls, in welchem für die Studierenden bereits im Wintersemester 2011/12 vorbereitende Lehrveranstaltungen angeboten wurden.
Vorbereitung und Reise durch …
In einer
Einführungsphase zur Exkursion im Wintersemester 2011/12 wurde für die
TeilnehmerInnen das Seminar „Bioethik in der Medizin“ (MUI) und die Vorlesung
„Methodische Einführung“ (LFU) abgehalten, um auf diesem Weg grundsätzliche Einblicke
in die Themen Leben, Tod und Auferstehung und deren kulturelle Interpretationen
zu geben. Ein Schwerpunkt widmete sich dabei der Frage nach klinischen
Todeskriterien und ihrer Diskussion aus anthropologischer und philosophischer
Sicht. Weiters wurden in den Lehrveranstaltungen die Problematik von Medizin
und Forschung während des NS Regimes durch Doz. Dr. Horst Schreiber vom Institut
für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck beleuchtet, sowie die kulturellen
und religiösen Hintergründe von Auferstehungs- und Jenseitsvorstellungen im
Mittleren Osten durch den Theologen Dr. Peter Marinkovic, Universitätspfarrer
der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ergänzend wurden zwei Filme
gezeigt, und zwar die Dokumentation „Wenn Ärzte töten“ zur Rolle von Ärzten in
Auschwitz mit
anschließender Diskussion
zwischen Horst Schreiber und der Anatomin Prof.in Helga
Fritsch, sowie „Das Herz von Jenin“, eine mit Betroffenen und Schauspielern
nachgestellte Darstellung der Ereignisse um den Tod eines palästinensischen Buben
in Jenin, dessen Vater einer Organentnahme zustimmt.
Für die Exkursion bearbeitete die interdisziplinär zusammengesetzte
Studiengruppe schließlich wissenschaftliche Publikationen zu Personsein und
Bewusstsein, Nachweis von Bewusstseinszuständen, klinischen Todeskriterien
(Hirntod vs. Herztod) und assistiertem Suizid, beides vor allem im Kontext der
Organspende, sowie Therapie-Entscheidungen am Lebensende. „Ihre Arbeiten
präsentierten die Studierenden während der Exkursion in Seminaren, die auch unter
freiem Himmel, etwa am See Genezareth oder im Wüstenzelt stattfanden“, erzählt
Prof.in Werner-Felmayer.
… viele Stationen und Inhalte
Auf der Reise
durch vielfältige Landschaften und Kulturräume zwischen Galiläa, dem Jordantal, der Judäischen Wüste und Jerusalem
ermöglichte Reiseleiter Israel Ariel zahlreiche Begegnungen mit den Mythen und
Traditionen Israels abseits gängiger Pfade, verwies auf die heute wirksamen, zumTeil
daraus resultierenden politischen Probleme der Region, und vermittelte auf Wanderungen
die eindrucksvolle Natur des Landes. Auf dem Programm der Studienreise stand zudem
der Besuch zahlreicher Institutionen: Am Zefat Academic College boten Prof.
Amnon Carmi, UNESCO Chair of Bioethics in Haifa, derzeit Dekan der juridischen
Fakultät, und sein Kollege, Advokat Oren Asman, eine Darstellung des, bezüglich
seiner Entstehungsgeschichte und Ausprägung weltweit einzigartigen und kontroversiell
diskutierten, Patient near Death Law
von 2005 mit anschließender Gelegenheit zur Diskussion; einen weiteren
Programmpunkt stellte das Seminar mit Prof. Mayer
Brezis und Prof. Alan Rubinow von der Hadassah Medical School in Ein Kerem,
Jerusalem, dar, in dem drei klinische Fälle zu Entscheidungen am Lebensende aus
der Erfahrung der Studierenden vorgestellt und ausführlich mit KollegInnen und
Studierenden aus Israel diskutiert wurden. „Weitere KollegInnen konnten wir auf
Einladung von Dr. Daniel Sperling, Hebrew University, im Jerusalem Forum of
Bioethics treffen und nach unserer Präsentation `Philosophy of Mind and Brain
Death´ konzeptuelle Überlegungen zu Hirntod diskutieren. Und schließlich
besuchten wir die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Ein Kerem, Jerusalem, wo
unter anderem auch die Medizinexperimente und die Grundlagen der
biologistischen Rassenideologie didaktisch eindringlich dargestellt sind“, berichtet
Prof.in Werner-Felmayer.
Bis zum Ende
des Sommersemesters werden die Resultate der bioethischen Reflexion nun von den
Studierenden in Essays dargestellt werden. Fraglos konnte der Zugang zur komplexen
Thematik durch die Erfahrungen der Reise in vielen Facetten eröffnet werden.
Darüber hinaus erfuhr die seit 2007 bestehende Zusammenarbeit mit dem
israelischen UNESCO Chair of Bioethics, sowie zahlreichen israelischen
Kolleginnen und Kollegen weitere Impulse. Im Rahmen der Bioethik-Lehre ist die
Frage nach geeigneten Lehrformaten vordringlich. Dementsprechend widmet sich im
September 2012 eine Konferenz in Tiberias dieser Thematik. Das ambitionierte
Lehrangebot der interdisziplinären Bioethik-Exkursion wurde daher mit großem
Interesse von den israelischen Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen. Studierende
wie Lehrende waren der einhelligen Meinung, dass das Format der Exkursion in
besonderer Weise dazu geeignet ist, sich vertieft mit komplexen bioethischen
Fragen zu befassen. Die Reise bot nicht nur Gelegenheit, neue Kontakte zu
knüpfen und Freundschaften zu schließen, sondern erwies sich durch die
Kombination kultureller und bioethischer Perspektiven sowie die Kooperation
zwischen Biomedizin und Philosophie als Bildungsreise im besten Sinn.
(Doris Heidegger)