Wissenschaftler im Labor
Wissenschaftler um Andreas Bernkop-Schnürch arbeiten intensiv an Alternativen zur Spritze.

Alternativen zur Spritze

Insulin in Tablettenform – Was vor zwanzig Jahren noch unmöglich schien, wird dank Nanotechnologie bald möglich sein. xxxDie Forschungsgruppe um den pharmazeutischen Technologen Andreas Bernkop-Schnürch ist weltweit führend, wenn es darum geht, Spritzen zu vermeiden.

„Wann immer es darum geht, einen Wirkstoff in ausreichender Menge in den Körper zu bekommen, sind wir pharmazeutische Technologen an der Reihe“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Andreas Bernkop-Schnürch die Grundlagen seines Forschungsgebietes. Ganz besonderes Interesse haben die Wissenschaftler um Bernkop-Schnürch dabei an sogenannten Biopharmazeutika. Darunter fallen Arzneistoffe, die mit Mitteln der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden, wie zum Beispiel Proteine oder Wirkstoffe auf DNA oder RNA-Basis. Ziel dieser Wirkstoffe ist es, gezielt in die Vorgänge im Körper einzugreifen. „Biopharmazeutika werden immer wichtiger. Der Peptidwirkstoff Insulin ist ein prominentes Beispiel für diese Wirkstoffart. Aber auch bei anderen Medikamenten wie Impfstoffen, Interferonen, Gerinnungsfaktoren oder weiteren Hormonen spielen Biologics eine immer größere Rolle. Bei den Wirkstoff-Neuzulassungen liegen Biopharmazeutika bereits vorne“, erläutert Andreas Bernkop-Schnürch die aktuelle Entwicklung auf dem pharmazeutischen Markt. „Ein Nachteil dieser Wirkstoffe ist der, dass sie bislang nur mittels Spritze verabreicht werden können.“

Den Wirkstoff ans Ziel bringen

Aus diesem Grund arbeitet er mit seiner Forschungsgruppe bereits seit einiger Zeit an verbesserten Verabreichungsformen. In einem Nanomedizin-Projekt entwickelte Andreas Bernop-Schnürch bereits vor über 10 Jahren die so genannte Thiomer-Technologie, bei der die therapeutische Effizienz von Medikamenten mit Hilfe thiolisierter Makromoleküle erhöht wird. Diese werden eingesetzt, um Medikamente zielgenau in den Körper zu transportieren oder eine optimale Wirkstoffaufnahme zu ermöglichen. „Ein großer Vorteil der Thiomere ist, dass sie mukoadhäsiv sind, also an Schleim haften. Diese Methode haben wir ständig weiter entwickelt und arbeiten auch immer noch daran, sie zu verbessern. Daneben verfolgen wir verschiedene weitere Strategien, um die Bioverfügbarkeit der Wirkstoffe zu verbessern“, erklärt der Pharmazeut. Ein für die orale Gabe von Biopharmazeutika besonders interessanter Ansatz sind selbstemulgierende Systeme auf fettlöslicher Basis. Dabei lagern die Wissenschaftler den Wirkstoff in eine ölige Lösung ein. Nach der Einnahme bildet diese Öllösung im wässrigen Milieu des menschlichen Dünndarms Öltröpfchen im Nanometer-Bereich, die den Wirkstoff dann durch die Schleimschicht ins Blut bringen. „Die Nanotröpfchen werden im Vorfeld auch mithilfe der Thiomertechnologie mit zusätzlichen Eigenschaften versehen, die sie zum Beispiel gegen Verdauungsenzyme schützen.“ Was relativ einfach klingt, ist in der Umsetzung nicht ganz so leicht, denn die meisten Biopharmazeutika sind nicht öllöslich (lipophil) sondern wasserlöslich (hydrophil).

Modifikation

Bei ihrer Arbeit können die Wissenschaftler auf jahrelange Erfahrungen im Bereich der Forschung an festen Nanopartikeln aufbauen. „Weltweit wurde jahrelang an festen Nanopartikeln gearbeitet. Diese sind aber nicht nur in der Herstellung kompliziert, sondern auch in der Handhabung schwer in den Griff zu bekommen“, erklärt Andreas Bernkop-Schnürch. „Bei unserer neuen Methode profitieren wir aber sehr von diesem Wissen, das sich einfach auf die neue Technologie übertragen lässt.“ Im Vergleich zu festen Nanopartikeln sind ölige Lösungen sehr leicht herstellbar. Diese Lösung kann dann in Weichgelatinekapseln verabreicht werden und bildet so ein eigenes System. Dass diese Verabreichungsform funktioniert, zeigen bereits am Medikamentenmarkt etablierte Produkte wie das Imunsuppressivum Cyclosporin. „Hierbei handelt es sich um einen Peptidwirkstoff, der sich allerdings bereits ohne Modifikation in Öl lösen lässt, also lipophil ist“, erklärt Andreas Bernkop-Schnürch. „Viele Biologics – wie beispielsweise Insulin – wurden lange als für diese Methode ungeeignet angesehen, da sie hydrophil sind und so nicht mit Öl emulgieren.“ Um einen Wirkstoff, der eigentlich wasserlöslich ist, in eine Öllösung zu bringen, haben die Pharmazeuten um Bernkop-Schnürch Strategien entwickelt, um diesen entsprechend zu verändern. Dazu lagern sie Kohlenstoffketten als lipophilen Teil rund um den Wirkstoff an, um diesen insgesamt öllöslich zu machen. „Wir geben sozusagen einer ursprünglich wässrigen Hülle eine ölige Oberfläche“, so Bernkop-Schnürch.

Kostenfaktor

Neben der Technologie spielt auch die Wirtschaftlichkeit eine Rolle: So ist es grundsätzlich schon lange möglich, Insulin oder auch andere Biologics oral zu verabreichen. „Die entscheidende Frage ist, wie viel Wirkstoff am Ende im Blut ankommt – also wie hoch die Bioverfügbarkeit ist“, verdeutlicht Andreas Bernkop-Schnürch. Hier spielen die Kosten eine große Rolle: Noch vor 15 Jahren mussten zehn Prozent des Insulins in einer Tablette im Blut ankommen, um wirtschaftlich rentabel zu sein. Heute liegt dieser Bereich aufgrund immer effizienterer Herstellungsmethoden bei rund ein bis zwei Prozent. „Auf der einen Seite werden also die Kosten der Wirkstoffproduktion immer geringer – das betrifft alle Peptidwirkstoffe – und auf der anderen Seite werden unsere Formulierungen immer effizienter und auch in der Herstellung kostengünstiger. Meiner Meinung nach ist es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis Insulintabletten und weitere oral verabreichbare Biopharmazeutika auf den Markt kommen werden“, ist Bernkop-Schnürch überzeugt.

Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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