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1.
CAMESINA, Alberto (Albert)
Camessina; Carmessina;
Carmesina; Camesini; Camesino
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2.
BERUFSBEZEICHNUNG
Stuckateur,
Stuckplastiker, Marmorierer (Saur, Bd. 15, S. 674ff.) |
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3. BIOGRAPHIE
* 15.2.1675, San Vittore
19.10.1756, Wien
San Vittore war neben Roveredo (Misoxtal, an der Grenze des heutigen
Tessin) der bedeutendste Auswanderungsort der Graubündner
Baumeister und Stuckateure. Die dürftigen Archivalien in
den Gemeindearchiven lassen vermuten, dass
Camesina in der
Tradition der Graubündner Meister aufgewachsen ist: Die Lehrzeit
betrug durchschnittlich drei Jahre, und
meist nahm der Lehrmeister
seine Lehrlinge ins Ausland mit. Die Graubündner waren allgemein
hervorragend organisiert.
Selbst im Ausland gab es Bruderschaften,
die ihre Landsmänner vertraten und Aufträge vermittelten.
Lehrbriefe bezeugen,
dass das Fachwissen mündlich und
geheim, meist vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde. Diese
Tradition der Geheimhaltung setzte sich bei Graubündnern
lange durch (Pfister, S. 27 ff.).
Man weiß nicht, wann und wie Camesina nach Wien gekommen
ist. Es wird vermutet, dass er vielleicht über die steirische
Künstlerkolonie, wo eventuell Verwandte tätig waren,
oder im Gefolge von Enrico Zucalli bzw. Gabriele
de Gabrieli nach Wien kam (Schemper-Sparholz, S. 344 f.).
Camesina erlangte unter Kaiser Leopold I. den Titel eines hofbefreiten
Stuckateurs.
Diesen Titel musste er jedoch nach dessen Tod
1706 abgeben. Seinem mehrmaligen Bemühen um die Wiedererlangung
der Hoffreiheit wurde von Seiten der Regierung nicht Folge geleistet
und Camesina sah sich daher gezwungen am 21.1.1710 der Wiener
Stuckateurinnung beizutreten.
Im selben Jahr erlangte er auch
das Bürgerrecht. Seine Werkstatt wurde entsprechend den Steuerleistungen
als Großbetrieb eingestuft. 1714 wurde er zusammen mit Santino
Bussi - in dessen Schatten er Zeit seines Lebens gestanden
hatte - zum Hofstuckateur ernannt. In diesem Nominierungsdokument
wird ausdrücklich auf seine außergewöhnlichen
Fähigkeiten und
seine Erfahrung als Stuckateur hingewiesen (DBI,
Bd.17, S. 195). Der gutgehende Stuckateurbetrieb, das Vermögen
seiner
Frau und zahlreiche Einkünfte aus Baukommissionen,
machten ihn zu einem wohlhabenden Bürger. Er galt als Meister
figürlicher Stuckplastik und beherrscht die Technik des Stucco
lustro meisterlich. Camesina wird auch im Rahmen der Entwicklung
des Bandlwerkornaments in der Literatur erwähnt (Irmscher).
Seinem Oevre, insbesondere seiner Wiener Schaffensperiode, wird
jedoch im DBI (Bd. 17, S. 196) keine so große Bedeutung
zugeschrieben. |
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4. FAMILIEN-,
FREUNDES- UND AUFTRAGGEBERKREIS
In den Eintragungen
des Taufbuchs von San Vittore, werden Antonio und Barbara, eine
Tochter der Familie Angelini, als Eltern Albertos genannt (Zendralli,
Graub. Bm., S. 137). Wir erfahren auch von einer Schwester Barbara
und zwei Brüdern, Henricus und Julius. Nach Zendralli hatte
diese Familie in ihrer Heimat keine wesentliche Bedeutung. Die
Bedeutung erhält sie erst mit Alberto, der - wenn auch vor
ihm und um seine Zeit Baukünstler mit diesem Namen im deutschsprachigen
Raum tätig waren - als Gründer der Stammlinie geführt
wird. Am 29.1.1713 heiratete Camesina Maria Elisabeth Carove,
die Tochter des Maurermeisters Andrea Simone Carove (Caroveri)
mit der er vier Kinder (lt. Sailer 5) hatte. Keiner seiner drei Söhne
führte den väterlichen Betrieb fort: Der ältester
Sohn Albert war Hofkriegsratskanzlist, Josef Baccalaureus und
Anton war beim Tod seines Vaters "bei keiner Stelle engagiert"
(Sailer, S. 76). Seine Tochter Maria Katharina war mit Johann
Adam Mayr, einem Hofbeamten verheiratet. Sein Onkel Giovanni Battista
(Johann Baptist) Camesino (1642-1724) war zunächst als Maurermeister
im Umkreis von Giacomo Angelini, gen. Jakob Engel, dem wohl berühmtesten
Graubündner Baumeister, tätig. Camesino galt als erfolgreicher
Baumeister und fungierte u.a. als Gutachter im Hochstift Eichstätt (Zendralli,
Graub. Bm., S. 136 f.). Der berühmte Historiker und Graphiker
Albert (Joseph Erwin) Camesina (1806 bis 1881), war Albertos Urenkel
und bereits als Österreicher gefeiert (F.Czeike.).
Eine Verwandtschaft
Camesinas zu dem in den Wiener Archivalien geführten Anton
Camesina, der 1716 in Wien geheiratet hatte, kann nicht nachgewiesen
werden. Bei Thieme-Becker ist ein Baumeister namens Camesini erwähnt,
der während
1720 bis 1740 in der Steiermark tätig war (Thieme-Becker,
Bd. 5, S. 439). Eine mögliche Verwandtschaft ist nicht ausge-schlossen,
da Gabriel de Gabrieli 1710 Alberto Camesina als Lehrmeister Domenico
Androys (Androi) - einem Verwandten Giovanni Gaetano Androy, der
Hauptvertreter des Bandlwerks in der Steiermark - erwähnt
hatte. Die Vermittlung Camesinas nach Wien, über die steirische
Künstlerkolonie, wäre damit naheliegend. In Wien hatte
aber auch ein Zusammenhalten der Graubündner um Henrico Zuccalli
und Gabriel de Gabrieli stattgefunden. Eine eventuelle Vermittlertätigkeit
ist auch hier nicht auszuschließen.
Camesina arbeitete für den kaiserlichen Hof, für die
Stadt Wien, den Hochadel und für geistliche Auftraggeber.
Der wichtigste Auftrag seiner Frühzeit kam vom Salzburger
Fürstbischof Franz Anton von Harrach (Kontrakt vom 23.03.
1710; Sailer, Graub. Bm. S. 138). Camesina war auch zusammen mit
J.L. von Hildebrandt, Antonio Beduzzi, Matthias Steinl und Anton
Ospel
tätig. Santino Bussi war Albertos Lehrmeister, Konkurrent
und Compagnon (Jakob Werner). |
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5.
WERKE (WIEN)
5.1 Melkerhof,
Wien I., 1711
Im Oevre Camesinas
wird dieser Auftrag (in Zusammenarbeit mit Antonio Beduzzi) nur
im DBI (Bd. 17, S.195) erwähnt.
5.2 Altes
Rathaus, sog. Wappensaal, Wien I., um 1713
Laut "Kammerrathrechnungen
der Gemeinde", fertigte Camesina 1713 die Plafondverzierungen
in der inneren "Rathstube"
für 87 fl.. Zur gleichen
Zeit war auch der Maler J.M. Rottmayer im Großen Ratssaal
beschäftigt. Beide Künstler erhielten für
ihre
Arbeiten eine niedrige Entlohnung (Hajos, in: Wr. Gesch.bl. 27,
1972, S. 470 ff.). Schemper-Sparholz vermutet, dass
es sich
aufgrund der niedrigen Entlohnung bei Camesina um Ausbesserungsarbeiten
handeln könnte. Andererseits stand er noch am Beginn seiner
Karriere.
5.3 Unteres
und Oberes Belvedere, Wien III., um 1714 bis 1723
Die reichen
Stuckaturen in den Belveder-Schlössern und im Winterpalais
von Prinz Eugen werden Camesina zugeschrieben.
Bei Ilg und Grimschitz
ist die Zusammenarbeit mit Santiono Bussi erwähnt. Laut DBI
(Bd. 17, S.195) sind diese Angaben
nicht verifizierbar.
5.4 Schloss
Hetzendorf, Decke im Erdgeschoss, 1716
Die Stuckdecke
im Erdgeschoss wird Camesina zugeschrieben, da dieser 1721
einen Betrag nach dem Tod des Bauherrn
Fürst Anton Florian
von Liechtenstein einforderte, das geht aus der Publikation Rizzis
hervor (Rizzi, in: Wr. Gesch.bl.,
37, S. 93).
5.5 St.
Peter, Tambourzone, Wien I., um 1716
Gemeinschaftsauftrag
mit Matthias Steinl. Der Kontakt kam vermutlich durch J.L. von
Hildebrandt oder Antonio Beduzzi zustande. Steinl erhielt den
entscheidenden Anteil an der Innendekoration des Kuppelraumes
von St. Peter. 1716 führte Camesina mit seinem Mitarbeiter
Paolo de'Allio den Bandwerkstuck in der Tambourzone der Kuppel
aus. Vorzeichnungen
und Angaben stammen von Steinl (F.Polleroß,
S.160).
5.6 Palais
Liechtenstein, Herrngasse, Wien I., 1720
Im Oevre Camesinas
nur bei Seiler und DBI erwähnt, jedoch ohne nähere Angaben.
5.7
Figarohaus, ehem. Camesinahaus in der Schulerstraße 8,
Wien I., zw. 1720 und 1740
Camesina erwarb
dieses Haus 1719 von seinem Schwiegervater Andrea Simone Carove.
Bis 1799 blieb es in Familienbesitz
(lt. Sailer 1801). 1784 bis
1787 bewohnte es Wolfgang Amadeus Mozart, der dort seine Oper
"Die Hochzeit des Figaro" komponierte. Der darin befindliche
kostbar stukkierte Raum, darf wohl als Musterdekoration für
seine Kunden verstanden werden. Ähnlichkeiten zur Stuckdekorationen
in den Belvedere-Schlössern fallen auf.
5.8 Deutschordenskirche
und Deutschordenshaus, Wien I., um 1722
1720 bis 1722
erfolgte die barocke Umgestaltung der Kirche. Im Zusammenhang
mit der Stuckverzierung für die Kirche und
das Deutschordenshaus
wird auch Alberto Camesina genannt.
5.9 Wallfahrtskirche
Mariabrunn, Eustachiusaltar, um 1724
Die kostbare
Altardekoration wird gemäß neuester Forschungsergebnisse
Camesina zugeschrieben, der nach einem Entwurf von Anton Ospel
die ornamentalen und figürlichen Arbeiten am Eustachiusaltar
ausgeführt hat (Schemper-Sparholz, S. 358; Kilian, S. 15).
5.10
Karlskirche, Stuckdecke in den Sakristeien und Oratorien, Wien
I., ab 1725 und 1736/1737
Die Werkstatt
Camesinas hatte Anteil an dem Großauftrag der dekorativen
Ausgestaltung der Wiener Karlskirche. Den Stuck
in der Chorkuppel
fertigte Camesina nach Plänen der beiden Fischer von Erlach.
Die vergoldeten Stuckgirlanden über den
Bögen der Kreuzarme
sind ebenso ein Werk Camesinas. 1726 wurde Camesina für Auszierungen
bezahlt: Er erhielt für den Lorbeer um die Uhren und Arbeiten
in der Sakristei 1.600 fl.. 1728/29 hatte er nochmals Zahlungen
erhalten (L. Popelka,
S. 130 ff.)
5.11
Hofbibliothek, Prunksaal, Stuckreliefs mit Allegorien der Schreib-
und Druckkunst, Wien I., vor 1727
Camesina stellt hier sein Talent als Figurenbildner unter Beweis.
Aufgrund der hohen Forderung, die aus Abrechnung des Hofbauamts
von 1717 bis 1728 und 1729 hervorgehen, darf angenommen werden, dass
Camesina auch mit weiteren Arbeiten in der Hofbibliothek bauftragt
wurde (Zendralli, Graub.
Baum., S. 140 f.).
5.12
Aus dem Protokoll für Hofsachen des Obersthofmeisteramts
geht hervor, dass Camesina viel in der Wiener Hofburg
(Die Decken aus dieser Zeit sind nicht mehr erhalten), aber auch
in anderen Gebäuden hoher Fürstlichkeiten gearbeitet
hat. (Protokoll in Hofsachen des Obersthofmeisteramtes, 1713-1717,
Fl. 243 a; ÖKT 14, S. 243; Benedikt). Die neuere Forschung
schließt eine Erweiterung seines Oevres im Rahmen der Recherchen
zu seiner Tätigkeit in Österreich, insbesondere in Wien,
nicht aus (Ingeborg Schemper-Sparholz). |
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6.
ABBILDUNGEN
5.7
Zimmer mit Stuckmarmorausstattung im Figarohaus,
ehem.
Camesinahaus, ab 1720
Abbildungsnachweis:
Schemper-Sparholz, Ingeborg, Graubündner Stukkateure in Österreich,
S. 353, Abb. 24, in: Michael Kühlenthal (Hg.),Graubündner
Baumeister und Stukkateure, München 1997
5.11
Prunksaal der Hofbibliothek, Stuckmedaillons als
Supraporten, vor 1727
Abbildungsnachweis:
Schemper-Sparholz, Ingeborg, Graubündner Stukkateure in Österreich,
S. .357, Abb. 30-31, in: Michael Kühlenthal (Hg.),Graubündner
Baumeister und Stukkateure, München 1997
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7.
BIBLIOGRAPHIE
Benedikt,
Ch., Die Wr. Hofburg unter Kaiser Karl VI.. Probleme herrschaftlichen
Bauens im Barock, ungedr. Diss., Wien 1989
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II. bis IX. und XX. Bezirk, Wien 1993
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Pfister, Max, Die Graubünder Baumeister im Umfeld ihrer Region
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und Stukkateure, München 1997
Pfister, Max, Baumeister aus Graubünden. Wegbereiter des
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Die Wiener Peterskirche als barockes Gesamtkunstwerk, in: Jahrbuch
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lieferte 1964 die erste zusammenfassende Bestandsaufnahme der
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Sailer, L., Die Stukkateure- die Künstler Wiens, Wien 1943
Saur, Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 15, München-Leipzig
1997
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Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler,
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Werner, Jakob, Santino Bussi, 1664-1736, Magisterarbeit, Wien
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Zendralli, A. M., I Magistri Grigioni, Poschiavo, 1958
Zendralli, A. M., Graubündner Baumeister und Stukkateure
in deutschen Landen zur Barock- und Rokokozeit, Zürich 1930
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©Marianne
Faustmann, Mai 2002 |
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