Eine hochalpine Idee: „Die Grenzen meiner Wissenschaft – die Grenzen meiner Welt?“

In einer Ringvorlesung stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Semester ihre jeweilige Disziplin vor – und stellen sich der Diskussion. Auftakt für diese Ringvorlesung war eine Podiumsdiskussion Mitte März.
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Die Teilnehmerinnen Teilnehmer an der Podiumsdiskussion (von links): Roman Siebenrock (Institut für Systematische Theologie), Andreas Hauser (Echo Tirol), Rektor Tilmann Märk, Christoph Ulf (Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik), Gabriele Starck (Tiroler Tageszeitung), Robert Schuler (ORF Tirol). Nicht im Bild: Timo Heimerdinger, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. (Foto: Philippa Ettenauer)

Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – vom Quantenphysiker über den Historiker bis zur Psychologin – diskutieren im Sommersemester 2014 an acht Mittwoch-Abenden an der Universität Innsbruck über ihr Verständnis von Wissenschaft und darüber, wo die Grenzen ihrer Wissenschaft liegen. Am 12. März 2014 fand die Einführungsdiskussion der interdisziplinären Ringvorlesung „Die Grenzen meiner Wissenschaft – die Grenzen meiner Welt?“ im New-Orleans-Saal im Universitäts-Hauptgebäude statt. Die Ringvorlesung ist Teil des Programms des Forschungsschwerpunkts Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte.

Podiumsdiskussion

Bei dieser Podiumsdiskussion trafen Rektor Tilmann Märk, Prof. Timo Heimerdinger vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie und Prof. Roman Siebenrock vom Institut für Systematische Theologie mit der Journalistin Gabriele Starck (Tiroler Tageszeitung) und den beiden Journalisten Robert Schuler (ORF Tirol) und Andreas Hauser (Echo Tirol) zusammen, um über ihr Verständnis der Universität von innen und außen zu sprechen. Ein zahlreiches Publikum von inner- und außerhalb der Universität nahm an der Diskussion teil.

Schwerpunkt bei der Auseinandersetzung an diesem Abend war, über das Verhältnis von Gesellschaft und Universität zu diskutieren. Unter anderem wurden Fragestellungen wie „Wie wird die Universität von außen wahrgenommen?“, „Was bringt die Universität der Gesellschaft?“ und „Was für eine Rolle spielt die Öffentlichkeit dabei?“ behandelt. In der Diskussionsrunde wurden zudem nicht nur zahlreiche Fragen beantwortet, sondern zugleich auch neue Fragestellungen aufgeworfen, die wohl in den folgenden Vorlesungen zu beantworten sein werden – etwa: „Ist Wissenschaft Wahrheitssuche?“, „Was ist der Bildungsauftrag?“. Im Anschluss an die Vorträge konnte das Plenum Fragen an die Vortragenden richten und mitdiskutieren.

Eine hochalpine Idee

Entstanden ist die Idee für dieses Experiment bei einer zweitägigen Leistungsschau im Universitätszentrum Obergurgl. Es ist also eine „hochalpine Idee“, wie Prof. Brigitte Mazohl vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie zu Beginn der Einführungsveranstaltung mitteilte. Die verschiedenen Vertreterinnen und Vertreter aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen haben untereinander festgestellt, dass sie in ihren Disziplinen sehr unterschiedliche Sprachen sprechen. Das Ziel dieser Idee und des Experiments der Ringvorlesung ist es daher, die an der Universität Innsbruck vertretenen Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen und dem Publikum ihre Wissenschaft zugänglicher zu machen.

In den kommenden Vorlesungen werden jeweils zwei Forschende aus zwei unterschiedlichen Disziplinen ihre jeweilige Disziplin vorstellen und die Anliegen und Motivation ihrer Wissenschaft vorstellen, die anschließend mit dem Plenum diskutiert werden. Organisiert wurde diese interdisziplinäre Lehrveranstaltung von Prof. Brigitte Mazohl, Prof. Timo Heimerdinger, Prof. Martin Sexl, Prof. Christoph Ulf und Alexander Piff, Bakk. phil.

(Philippa Ettenauer)

 

 

Auftaktveranstaltung am 12.3.2014: Podiumsdiskussion mit Rektor Tilmann Märk, Andreas Hauser (Echo), Robert Schuler (ORF Tirol), Gabriele Starck (Tiroler Tageszeitung), Timo Heimerdinger (Europäische Ethnologie) und Roman Siebenrock (Systematische Theologie)

Am Beginn der Diskussion am Podium skizzierte Rektor Märk den Weg der Universität aus den Verhältnissen der 1960er Jahre in die internationale Welt der Gegenwart mit ihren von der Gesellschaft an die Universität gerichteten Auftrag, Bildung zu vermitteln, die auch die intellektuelle Förderung des Individuums beinhaltet. Diesen aus der Tradition des Humboldt’schen Ideals einer universellen Gelehrsamkeit kommenden Forderungen stehen die Vorstellung der notwendigen employability der Studienabgänger („Bologna-Prozess“) und die in Evaluationen auch nachzuweisende möglichst effiziente Organisation der Universitäten gegenüber. Auf der Seite der Journalisten unterschied Robert Schuler zwischen der Universität als Bildungseinrichtung und als Forschungsinstitution. Er verwies auf Umfragen, die ein hohes Interesse an Wissenschaftsthemen belegen, und ermunterte dazu, „spannende Geschichten“ zu liefern, die journalistisch verwertbar sind. Gabriele Starck setzte bei dem Thema der Veranstaltung „Grenzen meiner Wissenschaft – Grenzen meiner Welt“ an, ein Sachverhalt, der auch im Journalismus seine Gültigkeit besitze. Sie bezeichnete Wissenschaft und Universität durchaus als einen Luxus, den wir uns leisten sollten. Auch sie forderte auf, mit attraktiven Themen die Öffentlichkeit zu „reizen“, die Ergebnisse von Wissenschaft zu konsumieren. Andreas Hauser stimmte hierin überein, spezifizierte aber insofern das Feld des für die Öffentlichkeit Attraktiven, als er Themen mit lokalem Bezug (samt Bild) hinwies, die erst die Berichterstattung über Forschung an der Universität möglich macht. An diesen Stellungnahmen fiel auf, dass das lange Zeit mit der Universität verbundene Klischee des Elfenbeinturms keine Rolle mehr spielt, was nicht zuletzt auch auf eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit der Universität selbst zurückgeführt wurde. So blieben in dieser Hinsicht etwas überraschte Wissenschaftler am Podium zurück, von denen zwei zusätzliche Aspekte ins Spiel gebracht wurden: Wie kann Wissenschaft spannend sein, wenn ihre Aufgabe nicht nur die Produktion von neuem Wissen ist, sondern auch die Dekonstruktion von Klischees und Stereotypen, welche die Wahrnehmung der Öffentlichkeit von sich selbst, aber auch des Fremden bestimmen. Nur so aber können Forschungsergebnisse im engeren Sinn in den weiteren Horizont des Lebens eingebettet werden. Dies führte im Verlauf des weiteren Gesprächs dazu, über die Notwendigkeit der Rechtfertigung der Universität in und gegenüber der Öffentlichkeit weiter nachzudenken. Dabei wurde von Rektor Märk auch mit dem Gedanken gespielt, ob der Bildungsauftrag der Universität nicht allein durch die hohe Zahl an jährlichen Studienabgängern schon erfüllt sei.

Die Weiterführung der Gedanken in der von Martin Sexl vorgesehenen Zusammenfassung konnte aus Zeitgründen nicht mehr gegeben werden, wird aber hier nachgeholt.

(Christoph Ulf)


Es ist klar, dass es die Universität nicht gibt, und dies gilt heute mehr denn je: Neben der staatlichen Volluniversität Humboldtscher Prägung gibt es spezialisierte Privatuniversitäten, Pädagogische Hochschulen, medizinische Universitäten, Fachhochschulen, Grandes Écoles, Akademien und vieles mehr. Trotz des unbestreitbaren Vorteils der Vielfalt und des hohen Grades an Ausdifferenzierung steckt darin auch die Gefahr, dass Volluniversitäten zu verschwinden drohen, das diese jene Bereiche abstoßen/ausgliedern, die keinen vordergründigen Nutzen haben, keinen ökonomischen Gewinn haben oder nicht ökonomisierbar sind. Allerdings sind auch diese Bereiche für eine Gesellschaft wichtig, müssen aber anders beurteilt werden als nach utilitaristischen oder ökonomischen Maßstäben.

Dies entlässt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch nicht aus der Verantwortung, ihre Anliegen, ihre Arbeit und auch ihren Aufwand plausibel zu machen, und zwar nicht nur plausibel gegenüber dem Ministerium oder der Universitätsleitung, sondern auch und vor allem gegenüber der Gesellschaft – denn diese hat ein berechtigtes Interesse daran, dass die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Mittel so eingesetzt werden, dass es der Gesellschaft dient und dass sie auch Auskunft darüber erhält. Das heißt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen – und die Medien bilden dabei eine wichtige Vermittlerrolle – die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit vermitteln können. »Dienen« mag ein pathetisches Wort sein, »nützen« erscheint auf jeden Fall nicht das richtige zu sein.

Erinnert werden muss auch daran, dass es die Wissenschaften ebenso wenig gibt wie die Universität. Auch die Einteilung in zwei große Wissenschaftsbereiche – Natur- und Geisteswissenschaften – greift viel zu kurz, aber doch ist diese ebenso tief in unseren Köpfen verankert wie die Wertungen, die dabei immer mitschwingen. Inwieweit diese Wahrnehmungsmuster unser Tun leiten und wie sie medial vermittelt werden, wurde am ersten Abend der Ringvorlesung angerissen, und diese Frage wird auch für die gesamte Lehrveranstaltung richtungsweisend bleiben. Was diesbezüglich bereits bei der Auftaktveranstaltung sichtbar wurde, ist die Forderung nach der Schaffung von (zusätzlichen) Schnittstellen zwischen Universität und Wissenschaft auf der einen, Öffentlichkeit und Gesellschaft auf der anderen Seite. Und diese Schnittstellen haben notwendigerweise nicht nur mit Medien, also mit Kommunikation, also mit Sprache zu tun, sondern auch damit, das wissenschaftliche Tun in einen Zusammenhang zu bringen, der Sinn ergibt. Die Form, Sachverhalte in sinnvolle Zusammenhänge zu bringen, nennt sich in den Kultur- und Geisteswissenschaft »Narration«, Erzählung. Und solche werden von den Medien gesucht, um das manchmal sperrige Gut der Wissenschaften der breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen.

Plausible Erzählungen sind auch deshalb wichtig, um mit ihnen einer gewissen Wissenschaftsskepsis der Bevölkerung entgegenzuwirken, wobei damit nicht die Angst gemeint ist, dass Teilchenbeschleuniger die ganze Welt in ein schwarzes Loch befördern könnten (um nur ein besonders drastisches Beispiel zu nennen), sondern etwas, was in der oft abwertend gemeinten (weil die Antwort vorwegnehmenden) Frage »Wofür brauchen wir das?« zum Ausdruck kommt. Es kann durchaus sein, dass die Wissenschaft die Antwort auf diese Frage wegen des Komplexitätsgrades ihrer Forschung nicht immer auf ein Niveau runterbrechen kann, das diese Antwort für jede und jeden verständlich macht. Die Verantwortung, dies zu versuchen oder Gründe für die genannte Unmöglichkeit anzugeben, bleibt aber ebenso aufrecht, wie die Anstrengung, für Vertrauen in die Wissenschaften und die Universität zu werben.

Die Frage »Wofür brauchen wir das?« müsste natürlich weiter ausdifferenziert werden, und dabei würden Begriffe und Themen wie Bildung, Ausbildung, Finanzierung von Hochschulen, Studienplatzfinanzierung, Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren oder Ähnliches mehr ebenso zur Sprache kommen wie die Tatsache, dass ›unser‹ Minister dem Wirtschaftsministerium vorsteht. Aber das steht auf einem anderen Blatt …

(Martin Sexl)