Die Quadratur des Geistes
Im Rahmen der wöchentlich stattfindenden Ringvorlesung diskutierten an diesem Termin unter reger Beteiligung der Studierenden zwei hochdekorierte Wissenschaftler (beide derzeit als Professoren an der Universität Innsbruck tätig), deren Ankündigung auf den ersten Blick bereits ein gewisses Spannungsfeld erahnen ließ: zum einen Erziehungswissenschaftler Herr Prof. Ruprecht Mattig, der sich beruflich mit dem Formen von „Geistern“ befasst, zum anderen Herr Prof. Manfred Husty, ein Fachmann für kinematische Geometrie, dessen Betätigungsfeld neben der Lehre eher im geistigen Formen von Körpern liegt. Moderiert wurde der runde Tisch von Frau Prof. Brigitte Mazohl.
Abgrenzen des Feldes
Eröffnet wurde der eigentliche Teil der Veranstaltung von beiden Diskussionsparteien durch je eine kurze, „schlaglichtartige“ (Zitat Mattig) Präsentation ihres Fachgebietes. In beiden Fällen erfolgte die Vorstellung über einen fachgeschichtlichen Ansatz, wobei Prof. Mattig bis ins 16. Jahrhundert und Prof. Husty gar bis ins antike Griechenland ausholte. Daraus wurden dann einige der grundlegenden Fragen, Richtungen und Beschäftigungsgebiete der zwei Wissenschaftszweige abgeleitet, wobei Prof. Mattig ließ in großem Umfang Zitate auf die Zuhörer wirken ließ; die Aussage von R. Lassahn, „Erziehung bedeutet, dass der Mensch sich selbst zu dem machen muss, was er sein will“, brachte ihm im Anschluss die Frage ein, ob der Mensch sich in der modernen Pädagogik an die Stelle Gottes gesetzt habe – eine Thematik, die doch sehr an die Werke Aleister Crowleys erinnert. Prof. Husty dagegen argumentierte unter anderem mit Hilfe eines kleinen Modells zugunsten der Anwendbarkeit seiner doch zugegebenermaßen recht theoretischen Wissenschaft, indem er belegte, dass die Konstruktionsweise moderner Flugsimulatoren bereits 1904 auf dem Papier und ohne Kontrollmöglichkeit erdacht worden war.
„Die besten Ideen kommen mir im Halbschlaf!“
Grundverschieden ist die öffentliche Rezeption der beiden Themenbereiche: während Erziehung ein Thema ist, zu dem laut Mattig „auch jeder was zu sagen hat“, besteht Prof. Hustys Realität darin, dass bestimmte Themen „nur von einer Handvoll Eingeweihter weltweit verstanden und mit Interesse verfolgt“ werden. Wohl ebenfalls für eine kleine Gruppe von praktischer Anwendbarkeit – wenn auch nicht ohne tröstlichen Charakter – war dagegen Prof. Hustys Statement, seine besten Ideen kämen ihm üblicherweise im Halbschlaf.
Vor diesem Hintergrund erscheint es umso mehr verwunderlich, dass gerade die Erziehungswissenschaft laut Mattig aufgrund häufiger Anleihen aus benachbarten Fächern wie Soziologie, Psychologie und Neurologie mit einer gewissen „chronischen Identitätskrise“ zu kämpfen hat, während die kinematischen Geometer (zumindest die erwähnte Handvoll Eingeweihter) sehr genau zu wissen scheinen, wer sie sind und was sie tun – auch wenn das die Vermittlung desselben nur begrenzt einfacher macht.
Konsens
Gegen Ende der Diskussionsrunde erfolgte noch die für manchen Zuhörer vielleicht unerwartete, jedoch wunderbar zur Gesamtthematik passende Einsicht, dass zwischen den technischen und den geisteswissenschaftlichen Forschungsdisziplinen auch in Hinblick auf das Plädoyer für die Notwendigkeit der Grundlagenforschung Gemeinsamkeiten bestehen, selbst wenn diese nicht oder zumindest nicht unmittelbar zu messbaren Ergebnissen oder einer breiten Anwendbarkeit führen. Auch seitens der nach eigenen Angaben als Disziplin nicht genau einordenbaren Erziehungswissenschaften wurde explizit auf die Gefahren des Verlangens nach pädagogischen Patentrezepten oder, Gott bewahre, wirtschaftlichen und politischen Forderungen verwiesen.
(Elias Flatscher M.A.)