Monster und Konstruktivisten

Am sechsten Termin der Ringvorlesung „Die Grenzen meiner Wissenschaft – die Grenzen meiner Welt?“ trafen Professor Albrecht Becker vom Institut für Organisation und Lernen (BWL) und Professor Frank Welz vom Institut für Soziologie aufeinander. Moderiert wurde diese Sitzung von Brigitte Mazohl.
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Prof. Albrecht Becker, Moderatorin Prof.in Brigitte Mazohl, Prof. Frank Welz (von links)

Die beiden Institute, denen die Vortragenden angehören, waren bis 2003 Teil der gleichen Fakultät. Organisatorische und konzeptuelle Gründe machten die Umstrukturierung notwendig. Am Mittwochabend standen sich bei der Veranstaltung dabei nicht nur zwei unterschiedliche Disziplinen gegenüber, sondern auch handfeste hochschulpolitische Themen auf der Tagesordnung.

Becker: „Die Betriebswirtschaftslehre ist ein technikorientiertes Monster!“

In seinem Grundlagenvortrag lag es Albrecht Becker vor allem daran, die Diversität der Betriebswirtschaftslehre herauszustreichen, die so disparate Gebiete wie u.a. Finance, Human Resources, Management, Operations, Marketing, Strategy und das Accounting ­– Beckers Domäne – umfasst. Angesichts dieser heterogenen Gegenstands- und Methodologie-Landkarte sind integrative Bestrebungen zum Scheitern verurteilt. Frei nach J. Law machte Becker klar: „Die Betriebswirtschaftslehre ist ein Monster, ein technikorientiertes Monster!“

Der Begriff „Technik“ sollte im weiteren Verlauf der Veranstaltung als Reizwort fungieren, das gleichermaßen die Beliebtheit und Fragwürdigkeit der „Optimierer“ zusammenfasste. Becker räumte durchaus bereitwillig ein, dass sich in seinem Feld Theorie und Praxis spannungsreich, wenn nicht gar widersprüchlich zueinander verhalten: Einerseits der Auftrag, Techniken und Verfahren zu vermitteln, die dem Primat der Effizienzsteigerung und Rentabilität unterstehen, andererseits die wissenschaftliche Kritik an Firmenpolitiken, die den Faktoren „Mensch“ und „Nachhaltigkeit“ keinen Platz einräumen.

Becker unterbreitet den Vorschlag, die BWL hinsichtlich ihrer wissenschaftsethischen und methodologischen Ausrichtung als „performativ“ einzuordnen: Es geht um „performance“, aber eben auch um eine wissenschaftliche Praxis, die „sich selbst setzt“ und stärker nach dem „Handeln“ zu begreifen sei denn aus einem klar abgesteckten Wissenssegment.

Welz: „Sind wir nicht alle ein bisschen Konstruktivisten?“

Mit dieser Ansicht konnte sich Frank Welz, der zweite Referent des Abends, durchaus anfreunden, wobei es ihm sehr viel mehr um große Theorie-Entwürfe in seiner Disziplin ging. Die erste Richtung der beiden großen bis heute dominierenden Wissenschaftstheorien ist, so Welz, der wissenschaftstheoretische, kritische Realismus und die zweite Richtung der Konstruktivismus. Jedenfalls wagte er die These, „dass 95 Prozent der Geisteswissenschaftler und 80 Prozent der Sozialwissenschaftler von der zweiten Richtung angetörnt sind“ und bereitete damit den beiden Vorträgen einen gemeinsamen Boden, auch wenn diese Gemeinsamkeit im weiteren Verlauf der Diskussion kaum erwähnt wurde.

Welz erläuterte am Gegensatz von Positivismus, Realismus und Konstruktivismus die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Disziplinen. Ein Großteil der von ihm und seinen KollegInnen gelesenen Abschlussarbeiten von Innsbrucker BWLerInnen lassen einen positivistischen Einfluss erkennen.

Der Konstruktivismus und der wissenschaftstheoretische, kritische Realismus befinden sich im Dauerstreit und der große Nutznießer ist der Positivismus, den Welz mit der Position des Wolfes im Schafspelz vergleicht.

Welz ließ keinen Zweifel daran, dass er dies – zumindest wissenschaftlich – als einen Anachronismus einschätzt, wenn er anhand der jüngeren Wissenschaftsgeschichte selbst in der Quantenphysik einen weitreichenden Paradigmenwechsel beobachtet. 

Die neue Weltauffassung ist keine Welt der Wiederholung, keine Welt des Gleichgewichts, sondern eine Welt der Fluktuation und der Evolution. Ein neuer Ansatz, der das Denken revolutionieren und vielleicht zu einem gemeinsamen Sprachuniversum führen kann.

Das Spannungsverhältnis zwischen Bildung und Ausbildung bzw. Kunstlehre und Wissenschaft sorgte für Debatten in der Diskussionsrunde. Messen, Kontrollieren und Optimieren als Handwerkszeug für die Studierenden einerseits und die kritische Forschung der Wissenschaft andererseits – diese Pole bildeten den Ausgangspunkt für das Nachfragen über Aufklärung und Intervention bis hin zur Frage nach der Wahrheit. Das Ringen um die Wahrheit, ein Kernproblem der Universität?

(Nadine Kuppelwieser)