Architektonisches Gespräch über Verwerfungen in Wissenschaft und Kunst
Christoph Spötl zeichnete anhand der Institutionalisierung der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften die historische Entwicklung seiner Wissenschaft in Innsbruck nach. Seine wissenschaftlichen Interessen, beispielsweise an „Quaternary dynamics und climate change“ und „Sedimentary geochemistry“, blieben dabei nicht unerwähnt, aber im Hintergrund, stattdessen vermittelte er dem Publikum Grundlegendes seiner Disziplin: Die Geologie orientiert sich an weiten Skalen und steckt ihr Untersuchungsfeld innerhalb kleiner Einheiten (Nanometer) oder sehr großer Bereiche (Kontinente) ab. Dabei durchmisst sie Zeitspannen von wenigen Sekunden bis hin zu Millionen Jahren. Ähnlich wie die Geometrie verlange seine Wissenschaft räumliches Vorstellungsvermögen, deshalb versucht Spötl Studierende in ihrem drei- und vierdimensionalem Denken zu schulen. Forschung kann und soll für zeitgemäße, qualitative Ausbildung in die Lehre übergehen, aber auch anwendungsorientiert und prognostischer Art sein. Feldevidenz, Empirie und experimentelle Zugänge lassen Geolog_innen an Schnittstellen zu anderen Disziplinen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommen. An solchen Schnittstellen und auch außerhalb der Fachgrenzen seien es immer wieder quer-denkende Wissenschaftler_innen gewesen, die neue Theorien formulierten, aber oftmals zunächst innerhalb des Fachdiskurses unbeachtet blieben. Fasziniert von dessen damals innovativer Idee, verwies Spötl unter anderem auf Alfred Wegener, dem erst posthum Anerkennung für die Theorie der Kontinentalverschiebung zukam. Für die Geologie lasse sich also festhalten, richtungsweisende Ideen kommen nicht immer aus der Mitte des Faches und wichtige Theorien werden mitunter an den Grenzen dieser Wissenschaft formuliert. Zudem seien es eher „junge Postdocs“, die Umwälzendes und Die-eigenen-Annahmen-infrage-Stellendes hervorbringen, augenzwinkernd fügte er hinzu, bei ihm sei diese Zeit wohl vorbei.
„Architekt_innen bauen keine Häuser“
„Ist Architektur eine Wissenschaft?“, fragte Bart Lootsma zu Beginn seines Vortrag und antwortete mit einem unerwarteten „normalerweise Nein“. Indem er Forschungsfelder der Architekturtheorie aufzeigte, machte er dann aber deutlich, wie eng er Wechselwirkungen zwischen architektonischen Überlegungen, Sozialtheorien und politischen Strategien denkt. Architektur lasse sich als „kultureller Ausdruck“ begreifen, zugleich sei sie in gewisser Weise eine Kunst, erfordere kreatives Potenzial, innovatives Entwerfen und Können. Jedoch könnten Architekt_innen keine Häuser bauen, wie Lootsma hervorhob, sie erdenken sich Formen und designen. Das Bauen würden andere Menschen mit anderen Professionen ausführen, schließlich sei es einem/einer Architekt_in in Österreich untersagt, ein Haus zu bauen. Sich selbst wollte Lootsma an diesem Abend auch nur ungern als Architekt bezeichnet wissen, seine Forschungen am Lehrstuhl für Architekturtheorie an der Fakultät für Architektur konzentrieren sich auf Städtebau und Landschaftsarchitektur des 20. und 21. Jahrhunderts und Relationen von Gesellschaft und Architektur. Architektur und Architekturtheorie ließen sich als Verstehen von Stadt, Visualisieren von Verhältnissen, als selbstreferenzielles System aber auch als Kritik und Strategie begreifen. Lootsma sprach von „Wellen der Öffnung und der Schließung der Architektur“ für andere Wissenschaften und verwies in seinem Vortrag auf Arbeiten wie jene Otto Neuraths. Er zeigte an mehreren Beispielen, dass Architektur in den Grenzen ihrer Haltbarkeit jeweils eng mit zeitgenössischen politischen Theorien verknüpft ist und als Ausdruck politischer Strategien untersucht werden kann.
Über Kunst und Wissenschaft
Inwiefern Architektur eine Wissenschaft sei, wollte Timo Heimerdinger im direkten Anschluss an den zweiten Vortrag wissen. Er sei ein „großzügiger Mensch“ der sein „Leben lang lerne“, also glaube er auch, dass die Architektur eine Wissenschaft sei, meinte Christoph Spötl. Als „eigentlicher Naturwissenschaftler“, der sich an Fakten orientiere und versuche Emotionen „runter zu halten“, fragte er aber, ob „emotionale Diskurse ein echtes Kennzeichen von Architektur“ seien? Es seien gerade die gemeinsamen Felder der Geologie und der Architektur: Tektonik und Denkmalpflege, in denen die Auseinandersetzungen und Diskurse mitunter sehr emotional seien, erklärte Bart Lootsma.
Wenn die Architektur eine Wissenschaft sei, was wäre dann ihr Gegenstand? Oder ist die Architektur, da sie doch Können vermittle, nicht eher eine Kunst? (Brigitte Mazohl). Sein Gegenstand sei die „Theorie und Geschichte der Architektur“ so Lootsma, der mit der Beschreibung seiner Disziplin die grundsätzliche Frage evozierte: Auf welche Konzepte von Kunst und Wissenschaft könnte man sich für eine bessere Verständigung innerhalb der Universität und zwischen den Disziplinen einigen?
Kunst dürfe dabei nicht mit einem „bürgerlichen Kunstbegriff“ gleichgesetzt werden, so Christoph Ulf, der auf einen Begriff von Kunst, orientiert am mittelalterlichen Ars und Scientia, hinwies. Ihm sei für die Wissenschaften aufgefallen, dass es immer bestimmte Regelwerke gäbe, auf die sich Wissenschaftler_innen verständigen. Auch die Architektur mit Ansprüchen nach Individualität und Kreativität befolge ein Regelwerk. Für die Architektur seien es die Regeln der Logik oder jene, die durch Mechanismen wie „Peer Review“ ermittelt werden. (Lootsma)
Unterscheidungsprobleme zwischen Kunst und Wissenschaft gäbe es in der „Juristerei“ nicht. (Bernhard Rudisch) Wenn er davon ausgehe, Kunst sei etwas zu Können, dann trenne er nicht zwischen Kunst und seiner Disziplin, schließlich sei die Anwendung bestimmter Fertigkeiten doch das Ziel der juristischen Ausbildung. Wolle man sich „ein Bild vom Ganzen machen, von dem was unsere Wirklichkeit zusammenhält“ dann könne man Kunst und Wissenschaft nicht „gegeneinander ausspielen“. (Roman Siebenrock) Aber es sei ein wissenschaftlicher Habitus, des sich angreifbar und widerlegbar Machens, zusammen mit einer ständigen Metareflexion, wodurch sich Wissenschaft auszeichne.
Im Laufe der angeregten Diskussion, die sich entlang der vermeintlichen Verwerfung zwischen Kunst und Wissenschaft entwickelte, wurden nicht nur die Grenzen der jeweiligen Wissenschaften reflektiert. Spannend waren vor allem die fließenden Übergänge, die sich sowohl zwischen den Konzepten Kunst und Wissenschaft als auch zwischen den verschiedenen Disziplinen, auftaten.
(Nadja Neuner)