„Bist du echt ein Russe? Literarisches aus der Wendezeit
Die kommunistische Hinterlassenschaft wird genauso angesprochen wie die Fußangeln der Alltagssprache, und die Suche nach neuen Bewältigungsstrategien wird zu einem Abenteuer mit unsicherem Ausgang.
Das neue Russland
Sieben Autoren vermitteln mit ihren Protagonisten Einblicke in Reibeflächen des Denkens und Sprechens im neuen Russland.
Aleksej Slapovskij lässt uns in seiner Erzählung „Er spricht, sie spricht“ an den Verständigungsschwierigkeiten und den Erwartungsunterstellungen eines ehemals kritischen Intellektuellen der 60-er Generation teilhaben.
Sergej Nosov zielt auf das „Damals im Heute“ ab und verknüpft in seinem Drama „Hinter Glas“ durchaus ironisch das 19. Jahrhundert mit der Sowjetzeit und mit der aktuellen Gegenwart.
Auch die vier Kurzgeschichten von Evgenij Popov, die in der Wendezeit der 1990er Jahre handeln, haben einen deutlich ironischen Unterton. Er lässt seine Figuren, die noch stark in ihren alten Denk- und Sprachschemata verankert sind, mit den neuen Zeiten zusammenprallen.
Petr Aleškovskij gestaltet Figuren, die in ihrer krausen Denkmixtur vor allem in der russischen Provinz vorstellbar sind. Der Protagonist von „Drüberstehen“, ein Möchtegern-Schriftsteller, ist dafür ein treffendes Beispiel.
Der Autor, der dem deutschsprachigen Publikum sicher am bekanntesten ist, ist Viktor Pelevin. Er braut in seiner Erzählprosa eine fulminante Mischung aus sowjetischen, westlichen und buddhistischen Denkmustern – eine Mischung, die wir auch in seiner Erzählung „Time-out oder Moskau am Abend“ antreffen.
Michail Veller unterscheidet sich in seiner Schreibabsicht von den bisher genannten Autoren. Mit Vorliebe modelliert er auf der Handlungsebene durch Zufall herbeigeführte Wendungen, die vorhandene Denkmuster durchkreuzen und damit als inadäquate Schablonen erkennbar machen. Seine vier Kurzgeschichten in diesem Band sind am Anfang der Wendezeit, in den späten 1980er, beginnenden 1990er Jahren entstanden.
Einen noch mal anderen Zugang wählt Andrej Levkin. In seinem kurzen, verdichteten Text „Mediterraner Krieg“ bringt er das Versagen der Sprache, ihr Unvermögen vor dem allzu Entsetzlichen zum Ausdruck. In einer komprimierten, rhythmisierten Sprache wird eine paradiesische mediterrane Landschaft evoziert, die durch einen Vernichtungs- und Zerstörungskrieg verwüstet wurde.
Bibliographische Daten
Christine Engel (Hrsg.): „Bist du echt ein Russe?“ Literarisches aus der Wendezeit
Verlag Kitab: Klagenfurt, Wien 2006, 155 S., ISBN 3-902005-76-9, 18 €.
Zur Herausgeberin
Christine Engel ist Slawistin an der LFU Innsbruck. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der russische Film, zu dem sie die „Geschichte des sowjetischen und russischen Films“ (Stuttgart: Metzler 1999) herausgegeben hat. Kulturwissenschaftliche Fragestellungen zu den Veränderungen, die in Russland derzeit vor sich gehen, sind ein Interessensgebiet, das sie auch in der zeitgenössischen russischen Literatur verfolgt und u.a. in der „Russischen Literaturgeschichte“ (K. Städtke, Hg., Stuttgart: Metzler 2002) behandelt hat. Gemeinsam mit Studierenden erarbeitet sie immer wieder literarische Übersetzungen, die nun in Buchform vorliegen.
Zu den ÜbersetzerInnen:
Unter der Leitung von Christine Engel haben Studierende der Slawistik und der Translationswissenschaft an den Universitäten Innsbruck und Salzburg die Texte des vorliegenden Bandes übersetzt.
In der Werkstatt der Salzburger literarischen Übersetzerinnen (SALITÜR) entstanden die Übersetzungen von Evgenij Popov. Daran beteiligt waren Melanie Dutzler, Beata Flach, Iris Gruber, Sandra Hartl, Gisela Kastner, Elvira Opalić, Barbara Pichler, Sibille Rigler, Verena Skokan und Angelika Wittmann.
In den Arbeitsgruppen der LFU Innsbruck wurden die Texte von Petr Aleškovskij, Sergej Nosov, Viktor Pelevin, Aleksej Slapovskij und Michail Veller übersetzt. Daran beteiligt waren Elisabeth Giacomuzzi, Elizabeta Grgičević, Nicole Griesmaier, Ljubica Mihajlović, Veronika Prantner, Claudia Schleret, Ruth Seifriedsberger, Barbara Steiner und David Zipperle.
Juliana Kaminskaja, Literaturwissenschaftlerin an der Universität St. Petersburg, hat den Text von Andrej Levkin übersetzt. Zusätzliche Anregungen kamen von den Innsbrucker Arbeitsgruppen.