Flurnamengeschichten Vinschgau - Pustertal
In alten Zeiten, als es noch keine Landkarte gab, schufen sich die Menschen ein sehr effizientes System, um sich in der Landschaft zu orientieren: Sie prägten eine Landkarte im Kopf, deren Elemente keine Höhenschichtenlinien waren und die weder Maßstab noch Koordinaten kannte.
Die Landkarte im Kopf bestand lediglich aus Namen. Im Rahmen eines fünfjährigen Forschungsprojektes an der LFU Innsbruck wurden rund 130.000 Flurnamen in allen Südtiroler Tälern, vom Talboden bis zu den Bergspitzen, gesammelt: Bezeichnungen für Äcker, Wälder, Wiesen, Felder, Wege, Zäune, Gewässer, Höfe, Mühlen, Scheunen u.v.a. Doch nicht nur die Flurnamen selbst wurden gesammelt, sondern darüber hinaus noch eine Fülle an Geschichten und Anekdoten, die in den Tälern zu den Flurnamen erzählt werden. Eine Auswahl solcher „Flurnamengeschichten“ aus dem Vinschgau und dem Pustertal, zwei großen Südtiroler Tälern, wurde für dieses Lesebuch ausgewählt und vom Tiroler Maler und Karikaturisten Christian „Yeti“ Beirer illustriert.
Dem Buch sind sieben illustrierte Postkarten mit Text beigelegt. Im folgenden Abschnitt zwei Beispiele:
In die Sümpfe
Die einstigen Sümpfe am Aufstieg von der Stierbergalm zum Tscharser Wetterkreuz im Vinschgau sind heute nicht mehr vorhanden, wohl aber sind die Vertiefungen noch deutlich zu sehen, die die morastigen Pfützen in den Böden hinterlassen haben. Mit dem heutigen Anblick der Sümpfe verbindet niemand mehr den Gedanken des Gefährlichen und Unheimlichen. Jedoch zu Unrecht, denn nichtsdestotrotz bergen die trockenen Mulden der Sümpfe noch tückische Gefahren. Bei einem schweren Schneesturm am Auffahrttag (Christi Himmelfahrt) im Jahre 1927 suchten in diesen Mulden 36 Schafe des Falzrohrerbauern Schutz vor dem eisigen Wind und dem Wetter. Was als Schutz gedacht war, wurde zum Gefängnis: die Schafe wurden eingeschneit, mit Schneeverwehungen bedeckt und mussten ersticken.
Der Teufelsstein
In Pichlern in der Pustertaler Gemeinde Terenten steht der Teufelsstein, in den drei Striche eingekerbt sind, die ein H bilden. Der Teufel, erzählt man sich, wollte einst einen Stein in seiner Kraxe von Lüsen durch das Pustertal bis aufs Joch und hinüber nach Mühlwald tragen. In Pichlern hat er gerastet, als plötzlich das Betleuten der kleinen Wallfahrtskirche in Hofern ertönt ist. Wie der Teufel das Betläuten hörte, stellte er den Stein ab und eilte davon. Die Spuren im Stein zeigen noch heute, wo die Kraxe abgestellt war.