Buchtipp: Ronald Weinberger: Die Astronomie und der liebe Gott
Der Untertitel „Frevelhafte Gedanken eines ‚typischen’ Naturwissenschaftlers“ sagt eigentlich schon alles. Da frevelt einer. Im Verein mit dem Titel des Buches „Die Astronomie und der liebe Gott“ scheint es klar, worin der Frevel begründet ist. Dabei möchte der Autor – ein Astronom, wer denn sonst – gar nicht mit der Tür ins Haus fallen. Ganz im Gegenteil. Auch wenn im Prolog bereits ein wenig gespöttelt wird. Über die Gläubigen. Über die Theologen und die Geisteswissenschaftler. Freilich klingt auch an, dass die Naturwissenschaftler ebenfalls ihr Fett abbekommen werden. Manche andere ebenso.
Dann breitet sich der Autor, im Folgekapitel, über sich selbst aus. War offensichtlich ein guter, braver Junge, viel zu anständig für diese Welt. Hat sich womöglich deswegen teils von dieser Welt ab- und dem Weltraum zugewandt. So nebenbei reklamiert er, als Kind nicht in religiöser Hinsicht konditioniert worden zu sein. Gut so, denn sonst würde man ihm vielleicht seine Anti-Glauben-Haltung nicht ganz abnehmen. Aber greifen wir nicht dem Lauf der Dinge im Buch vor. Denn nun wird es so richtig kosmisch.
Besser ausgedrückt: Komisch kosmisch. Oder kosmisch komisch, je nachdem. Denn die „Alltägliche Astronomie“ entbehrt nicht eines gerüttelten Maßes an Komik. Dazu wird viel Lehrreiches verabreicht. Wobei Letzteres vor allem im ersten Unterkapitel des Kapitels 3 ausgewalzt wird. Da werden die ach so trügerischen Sinne des Menschen aufs Korn genommen. Trügerisch auch, nein – vor allem! – wenn es um astronomische Dinge geht. Denn der Milliarden und Billionen sind die Otto’s und Resi’s Normalverbraucher vorstellungsmäßig nicht mächtig. Es wird doch nicht umsonst „astronomisch“ als Synonym für „unvorstellbar“ verwendet.
Unvorstellbar könnten auch die Inhalte der weiteren Unterkapitel sein, hätte sich der Autor nicht eifrig und erfolgreich bemüht, dem Fachchinesisch zu entsagen. So vermochte er doch ein wenig dem Leser die Sterne vom Himmel zu holen, in dem er sie teilhaben lässt an den häufig so wundersam erscheinenden und von den Forschern zumeist gut verstandenen Vorgängen, wie der Bildung von Sternen und Galaxien, der Entstehung von Planeten, den Roten Riesen, Weißen Zwergen und Schwarzen Löchern und was sonst das All an seltsam, sittsam und gefährlich klingenden Himmelsobjekten zu bieten hat. Auch der – im Grunde noch unbeantwortbaren! – Frage, ob wir im Universum unsere Existenz alleine fristen müssen, wird eines der Unterkapitel gewidmet. Die Antwort ist, sagen wir mal, noch nicht ganz zufrieden stellend. Aber immerhin plausibel.
Plausibel ist es auch, dass der Autor im darauf folgenden Buchabschnitt den Naturwissenschaftler in den Vorruhestand schickt und sein alter ego hervorkehrt. Letztgenannter bereitete nunmehr so richtig den Boden auf, um sich dem religiösen Glauben zuzuwenden. Da muss man nämlich wissen, wie Wissen, Wahrheit und Glaube, wie Wahrnehmung und Wissenschaft, wie Wirklichkeit, Realität und Wahrheit, wie Objektivität und Zufall eigentlich definiert und beschreibbar sind. Seltsamerweise gelingt es dem Autor sogar hier, nicht einen trockenen Schreibstil ins Kraut schießen zu lassen, sondern mannigfach zu witzeln beziehungsweise zu spötteln. Allerdings hat, so meint offensichtlich der Verfasser, spätestens jetzt die Leserschaft jenen Grad an Vorwissen angehäuft, um dem Glauben und Wissen unverblümt ins Auge zu sehen. Und siehe da: Jetzt gerät unser Autor langsam so richtig in Fahrt und wird bisweilen sehr direkt.
All das wird in dem recht umfänglichen, in mehrere Unterkapitel segmentierten Kapitel 5 „Ansichten und Einsichten“ bewerkstelligt. Ei, wie wird da – nach unterhaltsamen, aber auch gewissermaßen entlarvenden Aussagen über das Nichts und den Zufall – an der Schöpfung herumgemäkelt! Und erst am Schöpfer! Und an Gläubigen! Eine Wohltat, dass der Verfasser auch mit Selbstkritik nicht spart, etwa wenn er den Naturwissenschaftlern Arroganz und Ignoranz, Weltfremdheit und so manch anderes vorwirft. Er wird es schon wissen. Hoffentlich. Erstaunlich übrigens, angesichts der Fülle von Themen, die der Autor meint abhandeln zu müssen (darunter Medien- und Politiker-Schelte, sowie die seiner Meinung nach nicht ausgewogene Objektivität bei dem heutigen Umgang mit der NS-Zeit), dass ein Roter Faden in dem ganzen Buch sichtbar ist und bleibt. Es ist die stete Suche nach (oder Sucht nach?) Objektivität. Dass sich bei dieser Suche an etlichen Stellen des Buches immer wieder auch subjektive Beimengungen einschleichen, ist zu erwarten. Diesen Erwartungen wird entsprochen, denn selbst Naturwissenschaftler sind – so der Autor – abhängig von „Bauchgefühlen“. Wer hätte das gedacht.
Ziemlich spöttisch, nein rotzig frech, wird der Verfasser im vorletzten Kapitel, nach dem Epilog. Das nennt er Nekrolog. Da wird sozusagen Gott verbal zu Grabe getragen. Noch dazu in Reim-Form. Wenn es heutzutage so etwas wie gelebte Exkommunikation gäbe … Im letzten Buchabschnitt, der Dankesbezeigung, macht sich noch einmal der Schalk bemerkbar. Etwa, wenn es heißt, der Hauptdank müsste eigentlich an den Zufall, besser, an eine ganze Sippschaft Zufälle, gerichtet sein. Der Verfasser bedankt sich dann aber trotzdem, wenngleich nicht vollends konventionell, bei Personen – sowie dinglichen Gegebenheiten. Und schließt mit den Worten: „Per aspera ad astra. Müheselig sei es demnach, zu den Sternen zu gelangen. Sehr erbaulich, halte ich dagegen, freilich auch“. Das ganze Buch, eine Sternstunde für einen sich für das Spannungsfeld „Wissen und Glaube“ interessierenden Leserkreis? Mag durchaus sein. Womöglich haben Sie Lust bekommen, das selbst herauszufinden.
Die Astronomie und der liebe Gott - Frevelhafte Gedanken eines "typischen" Naturwissenschaftlers
Ronald Weinberger
ISBN: 978-3-86683-441-5
2008, Wagner Verlag GmbH