Archaea oder die Liebe zum Extremen

Archaea leben bevorzugt dort, wo keine anderen Lebewesen mehr überleben, im Labor sind sie jedoch nur schwer zu kultivieren.Obwohl sie klein sind, spielen sie auf unserem Planeten eine große Rolle: Paul Illmer stellt die noch wenig erforschten Mikroorganismen vor.
Archaea
Methanogene Archaea werden durch ein spezielles fluoreszenzmikroskopisches Verfahren zum Leuchten gebracht und dadurch von Bakterien unterscheidbar. (Foto: Illmer)

Archaea wurden lange Zeit zu den Bakterien gezählt. Seit den 1990er Jahren bilden sie neben Bakterien und den sogenannten Eukaryoten, zu denen unter anderem Menschen, Tiere und Pflanzen zählen, eine eigenständige und damit dritte Domäne unter den Lebewesen. „Rein genetisch betrachtet sind Mensch und Regenwurm näher verwandt als Archaea und Bacteria, obwohl letztere oft nicht einmal im Mikroskop zu unterscheiden sind“, verdeutlicht ao. Univ.-Prof. Paul Illmer vom Institut für Mikrobiologie die Position der Archaea innerhalb der Lebewesen. Bei den Archaea handelt es sich um äußerst diverse, einzellige Mikroorganismen, die oft in extremen Umgebungen wie zum Beispiel in Salzwüsten, vulkanischen Gebieten, Gletschergebieten, aber auch im Pansen von Kühen oder ganz alltäglichen Habitaten, wie dem Boden, leben. Für ihren Stoffwechsel benötigen sie organische oder anorganische Verbindungen, auf Sauerstoff können viele von ihnen verzichten, oft ist dieser für Archaea sogar bereits in geringsten Dosen toxisch. „Man findet sie nahezu überall, dennoch sind sie noch wenig erforscht“, sagt Illmer. Er widmet sich den relativ unbekannten Mikroorganismen schon seit mehreren Jahren und seine Arbeitsgruppe zählt – wie er nicht ohne Stolz erwähnt – zu den wenigen in Österreich, die imstande sind, Archaea im Labor zu kultivieren. „Kulturen von Archaea müssen oft einen Monat oder länger heranwachsen und entwickeln sich damit viel langsamer als die meisten anderen Mikroorganismen“, nennt er einen Grund, wieso viele KollegInnen vor der Untersuchung dieser Organismen zurückschrecken.

Methanproduzenten

Zu den Spezialgebieten der Innsbrucker Mikrobiologen rund um Paul Illmer zählen die methanogenen Archaea. Diese sind in der Lage, aus organischen Substanzen oder Kohlendioxid Methan zu erzeugen. Sie sind somit essentiell für die Biogaserzeugung, , die in großen Gärbehältern, sogenannten Fermentern erfolgt. Dort wird zum Beispiel homogenisierter Bioabfall hineingepresst und Mikroorganismen setzen im Fermenter einen Vergärungsprozess in Gang, bei dem brennbares Methangas entsteht. Diesen Prozess konnte Illmer im Rahmen einer Studie in Zusammenarbeit mit der Biogasanlage in Roppen genau untersuchen. „Bei solchen Anlagen kam und kommt es immer wieder zu unerklärlichen Störungen des Gärprozesses. Auch in Roppen war das der Fall, aber keiner konnte genau sagen warum“, erklärt Illmer den Ausgangspunkt der Studie. Sein Forschungsteam konnte starke Schwankungen in der mikrobiellen Zusammensetzung nachweisen und diese auf saisonal geänderte Substratzusammensetzungen zurückführen. Um dies experimentell untersuchen zu können, erzeugten die Wissenschaftler in Laborreaktoren die gleichen Zustände wie im Fermenter. „Wir haben in unserem Labor-Fermenter zunächst künstlich Störungen herbeigeführt. Dann haben wir ihn durch gezielte Beimpfung mit speziellen, von uns adaptierten Archaea-Kulturen wieder erstaunlich schnell in Gang setzen können“, beschreibt Illmer. Eine Methode, die auch in Großanlagen zu Abhilfe bei Störungen sowie zu einer wesentlichen Verbesserung des Gasertrages führen kann. Neben der positiven Rolle der Archaea bei der Biogasproduktion spielen diese Organismen aber auch in anderen Bereichen eine wichtige, allerdings problematischere Rolle.

Klimafaktor

In Permafrostböden sind jede Menge organische Substanzen wie beispielsweise abgestorbenes Pflanzenmaterial eingeschlossen. Wenn diese Böden durch die zunehmende Erwärmung auftauen, beginnen Verrottungsprozesse. Überall dort, wo methanogene Archaea vorhanden sind, Sauerstoff jedoch fehlt, wird Methan freigesetzt, das als Treibhausgas über zwanzig mal so stark wie Kohlendioxid wirkt. „Wenn man bedenkt, dass alleine die Permafrostgebiete in Sibirien eine Fläche einnehmen, die größer als die USA ist, kann man sich ansatzweise vorstellen, welches Methan-Potenzial darin steckt. Die gleichen Phänomene treten auch in unseren Breiten, im Hochgebirge auf“, erläutert Illmer. Gelangt das Methan in die Atmosphäre, beschleunigt es wiederum den globalen Erwärmungsprozess.

Methan-Potenzial ist aber auch auf Tiroler Almwiesen vorhanden, wie Illmer basierend auf einer weiteren aktuellen Untersuchung zu berichten weiß. Im Rahmen eines Projekts im Stubaital haben die Mikrobiologen erforscht, wie sich die Aktivität von Archaea in Abhängigkeit von der Bewirtschaftung verändert: Sie konnten beobachten, dass auf Brachland nahezu kein Methan erzeugt wird. Wenn hingegen Kühe eine Almwiese beweiden, dann bringen diese durch ihren Dung methanproduzierende Archaea in den Boden ein – und zwar umso mehr, je stärker die Beweidung ist. „Wie hoch das Methanpotenzial in Böden sein kann, haben wir unter Laborbedingungen gemessen und sind hochgerechnet auf über 1 Millionen Liter Methan pro Hektar und Woche gekommen“, sagt Illmer. Dabei handle es sich zwar nur um ein theoretisches Potenzial, wie er betont, das Ergebnis sei aber doch eine beachtenswerte Menge. Der unkontrollierten und unerwünschten Methanproduktion in Böden könne aber wiederum auf mikrobiologischem Weg entgegengewirkt werden. „Es gibt auch Mikroorganismen, die methanotroph sind, also das von Archaea gebildete Methan gleich wieder verstoffwechseln.“ skizziert Illmer seine aktuellsten Ansätze. „Diesbezüglich ist die Forschung aber erst am Anfang.“

Frühe Erdenbewohner

Entdeckt wurden die Archaea Ende der 1970er Jahre von US-amerikanischen Mikrobiologen. Ihren Namen verdanken sie dem griechischen Wort archaĩos, das „uralt“ oder „ursprünglich“ bedeutet. Sie wurden früher Urbakterien genannt, weil die Bedingungen, unter denen sie leben, jenen ähneln könnten, die zu Beginn des Lebens auf der Erde vorherrschten. Unter allen bekannten Arten ist bislang keine einzige für Mensch, Tier oder Pflanze pathogene Art gefunden worden.

Zur Person

Paul Illmer, geboren 1964 in Innsbruck, studierte an der Uni Innsbruck Mikrobiologie. 1992 promovierte er zum Doktor der Naturwissenschaften, 2001 habiltierte er sich für das Fach Mikrobiologie. Er beschäftigt sich mit der Physiologie von aeroben und anaeroben (Boden-)Mikroorganismen und deren biotechnologischen Anwendungen. Darüber hinaus engagiert er sich in Lehre und Selbstverwaltung der Uni und ist derzeit Leiter des Instituts für Mikrobiologie.

Dieser Artikel ist  in der aktuellen Ausgabe des Magazins wissenswert erschienen. wissenswert ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Uni Innsbruck und der Tiroler Tageszeitung und liegt dieser fünf Mal pro Jahr bei. Eine digitale Version steht unter folgendem Link zur Verfügung:
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