Bei der Geburt von Sternen zusehen
Als Rekordhalter bei der Geburt neuer Himmelskörper gilt die „Galaxie Zw II 96“. Die 2008 entdeckte Formation ist 500 Millionen Lichtjahre entfernt. Sie trägt den Spitznamen „Baby Boomer Galaxy“, produziert sie doch jährlich laut astrophysikalischen Berechnungen viertausend Sterne. Im Vergleich dazu entsteht in unserer Galaxie, der Milchstraße, rund einmal pro Jahr ein neuer Himmelskörper. „Voraussetzung dafür sind ursächlich Reaktionen zwischen neutralen Molekülen und Ionen, also geladenen Teilchen. Diese Entstehungsprozesse sind schwer zu erforschen. Sie laufen schließlich unvorstellbar weit von uns entfernt über Jahrmillionen und unter den extremst harschen Bedingungen des Alls ab. Wer daher verstehen will, wie sich die ersten Bausteine von Sternen bilden, für den führt kein Weg vorbei an Laborastrophysik“, betont Wester.
Das All ins Labor holen
Der Experimentalphysiker hat zusammen mit seinen
Mitarbeitern am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität
Innsbruck nun ein neues Labor aufgebaut, in dem er die Vorgänge in den
molekularen Riesenwolken erforschen kann. Herzstück ist eine eigens
konstruierte Ionenfalle. Die jetzt in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass
die Wechselwirkung interstellarer Moleküle mit Licht mithilfe dieser
ausgeklügelten Erfindung unter Weltraumbedingungen nachgestellt und analysiert
werden kann. Die untersuchten negativen Molekül-Ionen werden dabei durch das
Licht nicht so schnell zerstört, wie dies erwartet worden war. Das könnte
erklären helfen, warum diese Ionen aus Kohlenstoff und Wasserstoff, die erst
vor wenigen Jahren im Kosmos entdeckt worden waren, inzwischen in überraschend
großer Häufigkeit in verschiedenen Gebieten in unserer Milchstraße gefunden
wurden.
„Mit unserer Ionenfalle können wir, vereinfacht
gesagt, das All ins Labor holen. Sie hat bis zu 22 Elektroden und wird durch
ein elektrisches Wechselfeld angetrieben. Stark abgekühlte Ionen können sich in
dieser Apparatur in einem relativ weiten Bereich frei bewegen und werden dabei
mit einem UV-Laser beschossen. Wenn zwei Teilchen reagieren, stören keine
anderen, auch gibt es durch thermische Energie keine Einflüsse. Diese
Verhältnisse der Versuchsanordnung entsprechen daher jenen in interstellaren
Wolken. Dort verdichten sich Staubwolken, bilden unter dem Einfluss kosmischer
Strahlung neue Moleküle und lassen schließlich Sterne entstehen“, erklärt Dr.
Thorsten Best, der sich in der Arbeitsgruppe schon seit mehreren Jahren mit
kalten Ionen in Fallen beschäftigt.
Forschungsfeld mit Überraschungen
Das Team rund um Wester will insgesamt einen Beitrag dazu leisten, die Entwicklung elementarer Moleküle im All besser zu verstehen. In diesem aktiven Forschungsfeld ist die Gruppe auch laufend mit Überraschungen konfrontiert. Bis zur Entdeckung der ersten negativ geladenen Kohlenstoffverbindungen im Kosmos im Jahr 2006 ging die Wissenschaft davon aus, dass interstellare Wolken nur positiv geladene Ionen enthalten. Kollisionen mit anderen Atomen oder Molekülen würden negativ geladene Teilchen, Anionen, genau so zerstören, wie UV-Licht. Auf unserer Erde würden diese Teilchen nur ganz kurz existieren können. In interstellaren Wolken dagegen werden sie kontinuierlich produziert und überleben viele Jahre. Übergeordnet wurde außerdem lange Zeit angenommen, dass extreme Kälte chemische Reaktionen überhaupt zum Stillstand bringt. Ionen sind allerdings insgesamt dafür verantwortlich, dass dem nicht so ist. Sie spielen bei der Entstehung elementarer Moleküle in den extremst kalten und dichten interstellaren Wolken eine Schlüsselrolle. Ionen sorgen dafür, dass sich sogar bei tiefsten Temperaturen von fünf bis fünfzig Kelvin, also bei rund Minus 268 bis 223 Grad Celsius, in den überwiegend aus Wasserstoff bestehenden Riesenwolken erste Kettenmoleküle, hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff bilden können. Bei der Geburt neuer Sterne stehen all diese Prozesse ganz am Anfang.