Flächenstaat und Fleckerlteppich
Das Populärste am alten Perserreich ist wohl sein Untergang,
der untrennbar mit Alexander dem Großen verbunden ist. Aus dem Geschichtelehrbuch bekannt sind
vielen vielleicht auch noch die Perserkriege. Damit hat sich das kollektive
Wissen um eines der größten Reiche der Weltgeschichte jedoch häufig erschöpft.
Laut Prof. Robert Rollinger vom Institut für Alte Geschichte und
Altorientalistik ist ein Grund dafür in der ausschließlich westlichen
Perspektive zu suchen, die die Forschung lange Zeit geprägt hat. „Die ältere
Imperien-Forschung hat sich fast ausschließlich auf griechisch-römische Quellen
gestützt. Quellen aus dem Perserreich hingegen spielten kaum eine Rolle“,
verdeutlicht der Historiker. Aus diesem Grund blieb die Betrachtung des antiken
Perserreichs meist oberflächlich und gefärbt. „Man muss sich das antike
Perserreich als einen riesigen Fleckerlteppich aus unterschiedlichen Kulturen
vorstellen. Dieses 200 Jahre lang zusammenzuhalten, ist eine beachtliche
Leistung, die unser Interesse und Aufmerksamkeit verdient“, sagt Rollinger, der
ein anders Bild des Perserreichs zu zeichnen weiß. Er beschäftigt sich seit
vielen Jahren intensiv mit persischen Imperien; sein Interesse gilt dabei
insbesondere reichsinternen Quellen.
Einblicke in Struktur, Organisation und Ideologie des
teispidisch-achaimenidischen Reiches (siehe Chronik) geben unter anderem
Inschriften und Verwaltungstexte aus dem Archiv von Persepolis, die – obwohl
bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ausgegraben – bis vor Kurzem noch
weitgehend unbearbeitet blieben. Verfasst wurden diese meist in mehreren
Sprachen: ein großer Teil in der Lokalsprache Elamisch, viele aber auch auf
Babylonisch, Altpersisch, Aramäisch oder Phrygisch. Dieser sprachliche
Pluralismus drücke bis zu einem gewissen Grad die grundsätzliche Haltung der
Herrschenden aus, so Rollinger.
„Die Perser hatten keine Veranlassung einen rein persischen
Nationalstaat zu gründen. Wollte man es modern ausdrücken, so könnte man sagen,
dass die persischen Herrscher durchaus einen multikulturellen Ansatz verfolgt
haben“, ergänzt er. Das Perserreich war also keine Einheitskultur, sondern ein
sehr heterogenes Imperium, das von einem hochentwickelten Verwaltungsapparat
regiert wurde. „Diese Vielfalt in der Einheit ist wohl ein Grund für das lange
Bestehen“, vermutet Rollinger.
Hochentwickelte Infrastruktur
Im antiken Perserreich gab es ein sehr dichtes Netz an
Provinzen, denen jeweils ein Statthalter sowie ein Verwaltungsapparat vorstand.
Die Höfe der Statthalter waren kleine Abbilder des Königshofes, hatten für Ruhe
und Ordnung sowie die Einhebung von Steuern zu sorgen. Im Kriegsfall mussten
die Provinzen Truppenkontingente stellen. Verbunden waren die Zentren des
Reiches durch ein großes Straßennetz, Nachrichten konnten dank sogenannter
Schnellreiter relativ rasch über gigantische Distanzen hinweg transportiert
werden. „Entlang der Reichsstraßen gab es Raststätten, wo frische Pferde, aber
auch Reiter zur Verfügung standen, die Botschaften übernahmen und sie bis zu
nächsten Raststätte brachten“, schildert Rollinger die hochentwickelte
Infrastruktur.
Ein weiterer Aspekt, der zum langen Bestehen des antiken
Perserreichs beigetragen hat, war die Herrschaftsideologie: So verstanden sich
persischen Könige als Weltenherrscher; die Reichsgrenzen bedeutenden das Ende
der Welt. Der König erhielt sein Amt im Auftrag der höchsten Gottheit
„Ahuramazda“, der er auch Rechenschaft abzuliefern hatte. „Den Text, der die
Beauftragung des Königs regelt kennen wir übrigens in einer persischen und in
einer babylonischen Fassung. In der babylonischen ist es die babylonische
Gottheit ‚Marduk“, die den Herrscher beauftragt“, weist Rollinger einmal mehr
auf das Bewusstsein für die kulturellen Unterschiede hin.
Überdehnung und Niederlagen
„Die Leistung der Perserkönige erscheint umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass es nach Alexanders Tod keiner mehr schaffte, das gesamte Territorium zusammenzuhalten“, betont Robert Rollinger. Daher müsse man auch den Untergang des Perserreichs differenziert betrachten: „Die gängige Meinung war, dass Alexander der Große den ohnehin dekadenten Persern und ihrem bereits im Verfall befindlichen Reich ein Ende setzte. Das stimmt so nicht, denn wenn man sich das Perserreich ansieht, zwanzig Jahre bevor Alexander kam, dann funktionierte eigentlich alles wie immer. “ Die mehrfachen militärischen Niederlagen gegen die Heere Alexanders seien letztendlich der entscheidende Grund für den Untergang des teispidisch-achaimenidischen Reiches. Allerdings macht die moderne Imperienforschung auch eine sogenannte „Überdehnung“ für das Ende viele großer Reiche verantwortlich. „Wenn Imperien immer weiterwachsen, geht irgendwann einmal die innere Balance verloren, weil aus dem Wachstum kein ökonomischer Gewinn mehr gezogen werden kann“, erklärt Rollinger. Auch das könne ein weiterer Faktor für den Untergang gewesen sein.
Zur Person
Robert Rollinger, geboren 1964 in Bludenz, studierte an der Universität Innsbruck Sprachen und Kulturen des Alten Orients sowie Geschichte und Alte Geschichte. Er promovierte 1993 und habilitierte sich 1999 im Fach Alte Geschichte. 2000 wurde er zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt, 2005 wurde er auf eine Professur am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik berufen.
Kleine Imperien-Chronik
Assyrer: Aus dem mittleren beziehungsweise nördlichen Mesopotamien stammend beherrscht das Volk der Assyrer noch vor den Persern einen Flächenstaat, der nahezu den ganzen heutigen Nahen Osten umspannt und vom 14. Jahrhundert v. Chr. bis ca. 600 v. Chr. existiert.
Neubabylonisches Reich: Es besteht für kurze Zeit im 6. Jh. v. Chr. und füllt das Intervall zwischen Assyrer- und Perserreich. In der Erinnerungskultur wird es meist mit Nebukadnezar II. assoziiert.
Teispiden: Sie sind die erste persische Herrscherdynastie. Kyros der Große etabliert im späten 6. Jahrhundert v. Chr. das Persische Großreich. Sein Sohn Kambyses kann durch Eroberung Ägyptens das Reichsgebiet noch einmal beträchtlich erweitern.
Achaimeniden: Die Achaimeniden sind jenes Herrschergeschlecht, unter dem das Perserreich seine größte Ausdehnung hatte. Sie folgen nach einem Bürgerkrieg den Teispiden nach. Der erste Herrscher dieses Geschlechts war Dareios I. Die moderne Wissenschaft bezeichnet das Persische Großreich als teispidisch-achaimenidisches Reich.
Iran: Der Begriff „Iran“ hängt ursprünglich mit der Volksgruppe der „Arier“ im persischen Kerngebiet zusammen, die zur Zeit der Achaimeniden erstmals auftauchen. Als Orst- bzw. Landesbezeichnung gewinnt er im nachchristlichen Sasanidenreich an Bedeutung. Als Iran gilt dort alles, was die Sassaniden beherrschen. Der Rest der Welt ist „An-Iran“, also Nicht-Iran.
Alexander der Große: Seine Feldzüge gegen Persien beginnen ab 334 v. Chr. In mehreren Schlachten bringt er das Großreich zu Fall. Es zerbricht unter Alexanders Nachfolgern in Einzelstaaten.
Parther: Die Parther sind die großen Gegenspieler des Imperium Romanum. Ihr Reich entwickelt sich ab 250 v. Chr. im Osten von Alexanders Nachfolgestaaten und findet durch die Sasaniden um ca. 220 n. Chr. ein Ende.
Sasaniden: Die Großmacht der Sasaniden erstreckt sich vom Euphrat bis nach Usbekistan. Sie geht mit der Expansion des Islam im 7. Jahrhundert zu Ende.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins "zukunft forschung" der Universität Innsbruck erschienen.