Neuberufung: Professionalisierung des Lehrens
Zur Bildungsforschung ist Ilse Schrittesser über einen Umweg gelangt. „Ich habe ursprünglich Anglistik und Romanistik mit Schwerpunkt Französisch studiert und bin über meine Dissertation in diesen Fächern zur Bildungswissenschaft gekommen“, erklärt sie. Ilse Schrittesser ist seit Herbst 2010 Professorin für Lehr- und Lernforschung am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (ILS), das sie auch leitet. Ihre Dissertation aus 1991 handelt über den didaktischen Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht an Schulen. „Da bin ich auf viele genuin bildungswissenschaftliche Fragen gestoßen, denen ich mich seither widme.“
Lehren lernen
Etwa in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern: „Die Schulen haben klare gesellschaftliche Aufträge, darunter besonders die Erreichung eines bestimmten Zielniveaus an Kompetenzen. Dabei sollten – aus pädagogischer Sicht – auch die Initiierung von Bildungs- und Selbstbildungsprozessen bei den Heranwachsenden nicht aus den Augen verloren werden“, erläutert Ilse Schrittesser. In der Ausbildung von angehenden Lehrerinnen und Lehrern und auch in der Forschung legt sie einen Schwerpunkt auf die Vermittlerrolle, die Lehrer einnehmen müssen: „Lehrende müssen einen Spagat schaffen zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und der individuellen Autonomie von Schülerinnen und Schülern. Sie haben den Auftrag der Institution Schule und zugleich den dem manchmal entgegenstehenden Auftrag, der individuellen Entfaltung der Lernenden nicht im Weg zu stehen, in Einklang zu bringen.“
Zudem müssten angehende Lehrer auch lernen, ihre Handlungen in der Schule wissenschaftlich zu reflektieren. „Die Universitäten geben ihnen hier das zur Analyse des eigenen Unterrichts nötige Methodenrepertoire in die Hand“, erklärt Ilse Schrittesser. Sie ist auch Sprecherin der „Universitären Plattform für LehrerInnenbildung“ (UPL), die universitären Lehrerbildungseinrichtungen eine Stimme geben will. „Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung an den Universitäten ist zu Unrecht als schlecht verschrien“, Universitäten und Pädagogische Hochschulen (PH) könnten in vielen Bereichen enger kooperieren, mit klarer Federführung der Unis in bestimmten Bereichen: „Die Unis könnten ohne Probleme die Ausbildung von Lehrern für die Sekundarstufe I und II übernehmen. Die großen Vorteile, die Universitäten bieten, sind die Ausbildung in Forschung und Analyse, über die angehende Lehrer auch den für ihren Beruf nötigen analytisch-reflexiven Habitus entwickeln können“, ist Ilse Schrittesser überzeugt.
Lernforschung
Ein weiteres zentrales Interesse von Ilse Schrittesser ist die Lernforschung: Was kann die Schule leisten, damit Lernprozesse befördert und nicht behindert werden? Hier arbeitet das ILS unter anderem an einem Projekt der OECD mit, bei dem Zugänge zum Lernen in institutionalisierten Lernumgebungen untersucht werden. „Wir untersuchen mehrere österreichische Schulen, die innovative Lernformen anbieten“, erklärt Ilse Schrittesser. Etwa eine Volksschule in Wien mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund: „Jedes Kind kann sich hier für eine Sprache anmelden, die in der Klasse gesprochen wird und lernt dadurch, dass es auch selbst irgendwo auf der Welt fremd ist – und dass in der Klasse auch jemand sitzt, der sich genau dort auskennt, wo diese Sprache gesprochen wird.“ Oder eine Neue Mittelschule, in der bis zur vierten Klasse Noten durch eine schriftliche Leistungsbeurteilung mit Auflistung der Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler ersetzt werden: „Aus Befragungen der Schüler wissen wir, dass sie sich durch dieses Feedback ernstgenommen fühlen in ihrem Lernprozess. Die Schule hat damit großen Erfolg.“
Bologna
Vor ihrer Berufung an die Universität Innsbruck war Ilse Schrittesser unter anderem Leiterin des Bologna-Büros der Universität Wien; Aufgabe dieses Büros war es, die Fakultäten und Zentren der Uni Wien bei der Einrichtung der Bachelor- und Masterstudien zu unterstützen. Die Bologna-Umstellung an den österreichischen Universitäten beschäftigt Ilse Schrittesser auch heute noch wissenschaftlich: „Die Bologna-Papiere geben ja keineswegs diese Verschulung vor, die in den Bachelor-Studiengängen passiert ist. Viele Universitäten haben diese Verschulung aufgrund einer gewissen Misstrauenskultur gegenüber den Studierenden einerseits und den anderen Unis andererseits bewirkt.“ Studierenden müsse die fallibilistische Logik der wissenschaftlichen Forschung mit auf den Weg gegeben werden: „Widerspruch hilft mir bei der Forschung und führt zu größerer Erkenntnis, weil ich meine Ergebnisse absichern muss – nicht zuletzt deshalb muss auch im Bachelor forschungsgeleitete Lehre angeboten und Studierende in Forschung einbezogen werden.“