Per Anhalter zum Erdbebeningenieurwesen
„Nachdem ich 1964 an der Technischen Universität Wien meinen Diplomingenieur gemacht habe, bin ich über ein Fulbright Stipendium an die California State University gegangen – mit der Absicht, für ein Jahr zu bleiben“, erzählt Prof. Helmut Krawinkler, der mittlerweile seit über 46 Jahren in Kalifornien lebt und dort an mehreren Universitäten geforscht und gelehrt hat. „Das Vorhaben hat sich dann doch ein bisschen in die Länge gezogen“, ergänzt er mit einem Augenzwinkern. Seit 1973 forscht und lehrt er an der renommierten Stanford University. Zu seinen Schwerpunkten zählt das Erdbebeningenieurwesen, auf das er sich schon zu Beginn seines USA-Aufenthaltes spezialisiert hat. „Kollegen haben mich damals Professoren an der University of California in Berkeley vorgestellt, wo ich schließlich mein Ph.D. gemacht habe. Dort arbeiteten damals fast alle im Bereich Erdbebeningenieurwesen. So bin ich dazu gekommen“, sagt er. Es gab aber auch ein persönliches Erlebnis, das Krawinklers Interesse an der Thematik schon vorher geweckt hat: Als Student reiste er 1963 Auto stoppend in Türkei. Auf dem Rückweg war ein Aufenthalt samt Übernachtung in Skopje geplant. „Ich war mit einem Amerikaner unterwegs und wir hatten bereits ein Zimmer in Skopje bestellt. Die Stadt hat uns überhaupt nicht gefallen und wir sind noch am gleichen Tag weitergefahren“, berichtet Krawinkler. Am darauffolgenden Tag erfuhr er, dass es in Skopje ein schweres Erdbeben gegeben hatte. „Das Hotel, in dem ich ursprünglich übernachten wollte, war völlig eingestürzt“, schildert er diesen prägenden Eindruck.
Einsturz-Wahrscheinlichkeit
Die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Gebäude im Fall eines Erdbebens einstürzt, beschäftigt Krawinkler noch heute wissenschaftlich. Sein Spezialgebiet sind wirklichkeitsnahe Wahrscheinlichkeitsberechnungen, die verschiedenste Faktoren wie Zeitpunkt, Ort, Stärke, oder Entfernung zum Epizentrum bei der Abschätzung des Gefahrenpotenzials berücksichtigen. Die Methoden und Möglichkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung haben sich seit seiner Studienzeit aufgrund des technologischen Fortschritts verändert und werden heute hauptsächlich von Computerprogrammen übernommen. Auch wenn er selbst die Vorzüge dieser Programme zu schätzen weiß, betont Krawinkler, wie wichtig es für angehende Bauingenieure ist, die Methodik hinter diesen Programmen zu kennen. Und genau das ist es, was er auch den in Innsbruck Studierenden in seiner Gastvorlesung zum Thema „Performance-based earthquake engineering“ vermitteln möchte. „Am Ende kommen wir dann beim Thema Risikomanagement an“, sagt Krawinkler. „Natürlich könnte man ein Gebäude bauen, bei dem Einsturzwahrscheinlichkeit nahezu null ist. Dieses würde aber aussehen wie ein Bunker und ungeheuer viel Geld kosten.“ Es gehe daher auch immer um ein Abwiegen von Kosten und Nutzen. Eines aber steht über allem: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gebäude einstürzt und dabei ein Leben verloren geht, muss sehr, sehr gering sein“, so der Experte. „Im Extremfall ist es manchmal sogar das Sinnvollste an einem Ort gar nicht zu bauen.“
Zur Person
Der gebürtige Innsbrucker Helmut Krawinkler, studierte bis 1964 an der TH Wien (jetzt TU Wien) Bauingenieurwesen, bevor an die California State University nach San Jose ging und den Titel Master of Science erwarb. Es folgte ein Doktoratstudium an der University of California in Berkeley, wo er bis 1972 als wissenschaftlicher Mitarbeiter lehrte und forschte. Nach einer einjährigen Lehrtätigkeit an der California State University in San Jose wechselte er an die Stanford University, wo er in verschiedenen, leitenden wissenschaftlichen Positionen tätig war. Aktuell ist er dort John A. Blume Professor Emeritus of Engineering.
Professor Krawinkler hält heute um 17:00 im Großen Hörsaal der Baufakultät eine öffentliche Vorlesung.