Schnecken: Weich und hart zugleich
Schnecken stammen aus dem Meer. Ihre Form haben sie im Laufe ihrer Entstehung
vor 600 Millionen Jahren im Kambrium bis heute nur geringfügig verändert, ihre
Lebensweise allerdings sehr wohl. Etwa die Hälfte ihrer rund 43000 Arten hat
sich von Meeres- zu Landbewohnern entwickelt. An Land erfolgreich bestehen
konnten sie dank zahlreicher Anpassungen. Eine davon kann man als „evolutionären
Trick der Sonderklasse bezeichnen“, sagt A.-Univ.-Prof. Dr.
Reinhard Dallinger von der Abteilung Ökophysiologie
des Institutes für Zoologie der Universität Innsbruck, der Leiter des
Forschungsteams.
Die Anpassung ans Land brachte für Schnecken die Notwendigkeit mit sich,
mit erhöhten und variablen Metallkonzentrationen umgehen zu müssen. „Metalle
sind ja natürliche Bestandteile der Erdkruste. Bei jedem Regenguss erhöht sich
die Verfügbarkeit von Metallionen im Boden sprunghaft. Im Gegensatz zu ihren Verwandten
im Meer hatten Landschnecken aber nun nicht mehr ausreichend Wasser zur
Verfügung, um unerwünschte Metalle aus ihrem Körper zu spülen. Ihr Organismus passte
sich an und entwickelte intrazelluläre Mechanismen, um mit erhöhten und
variablen Metallbelastungen umzugehen“, erklärt Dallinger.
Blaublütig & wehrhaft
Schnecken benötigen für zentrale Stoffwechselvorgänge das Spurenelement Kupfer.
So enthält z. B. ihr Atmungsprotein Hämocyanin Kupfer und nicht Eisen,
wie etwa beim Menschen. Schneckenblut ist daher nicht rot, sondern hellblau.
Das für ihren Stoffwechsel so notwendige Kupfer können die Tiere in ihren
Zellen festhalten und speichern. Gleichzeitig können sie Überschüsse anderer
giftiger Metalle binden und entgiften, ohne dass dies den für die Tiere
lebenswichtigen Kupferstoffwechsel beeinträchtigt. Dies gelingt den Weichtieren
durch spezielle körpereigene Eiweißstoffe – so
genannte „Metallothioneine“. Eiweißstoffe dieser Klasse enthalten besonders viele
Aminosäuren mit Schwefelatomen (sogenannte Cysteine), die Metalle binden
können.
In Zusammenarbeit
mit Genetikern und Biochemikern der Universität Barcelona sowie der Sektion für
Genetische Epidemiologie der Medizinischen Universität Innsbruck konnte
Dallinger aufklären, wie spezifisch diese Metallbindung bei Schnecken abläuft. „Bei
den meisten Tieren binden Metallothioneine relativ unspezifisch Kupfer, Cadmium
und Zink gleichzeitig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bindung
zwischen den Schwefelatomen und gewissen Metallionen in diesen Proteinen wenig
selektiv ist“, erklärt der Zoologe. Im Gegensatz dazu ist es den Landschnecken
im Lauf der Evolution gelungen, diese geringe chemische Spezifität durch eine
Folge von evolutionären Vorgängen derart zu kompensieren, dass daraus Metall-spezifische
Isoformen entstanden. Isoformen sind genetische Varianten von Proteinen, die
sich voneinander durch den Austausch von einzelnen Aminosäuren unterscheiden.
Ausgangspunkt
dieser Entwicklung war ein evolutionärer Vorgang, der als Genduplikation
bezeichnet wird. Dabei entstand zunächst eine identische Kopie eines bereits
vorhandenen Metallothionein-Gens. Die darauf einsetzende, evolutionäre
Abwandlung der beiden Proteinketten hat dazu geführt, dass schließlich eine der
Isoformen eine räumliche Konfiguration einnimmt, bei der nur mehr Kupferionen
in trigonaler Koordination gebunden werden können, während eine zweite Isoform nur
mehr Cadmium in tetragonaler Koordination binden kann. Dabei wird die ausgeprägte Metall-Selektivität der beiden
Isoformen ausschließlich durch Abwandlung von Aminosäuren erreicht, die nicht
selbst an der Metallbindung beteiligt sind, sondern sozusagen von der
unmittelbaren Nachbarschaft aus Letztere räumlich „zurechtbiegen“.
Schnecken regulieren laut dem Ergebnis der Arbeitsgruppe als Resultat dieser
erfolgreichen evolutionären Anpassung so ihren Metall-Stoffwechsel. Sie können
in ihrer Mitteldarmdrüse, die in Leistung und Funktion in etwa der menschlichen
Leber vergleichbar ist, große Mengen giftiger Metalle binden und entgiften, ohne
dass dabei der Stoffwechsel des lebensnotwendigen Kupfers beeinträchtigt wird.
Dieser Umstand macht diese Tiere besonders widerstandsfähig gegenüber
Schwermetallbelastungen.
Metalloproteine – Eiweiße, die Metalle enthalten – sind für zahlreiche
physiologische Prozesse lebenswichtig. Ihre Synthese und Metallbindung unterliegen
bei allen Organismen denselben chemischen Regeln. Das Ergebnis des
österreichisch-spanischen Teams liefert neue Einblicke, wie es durch evolutionäre
Mechanismen zur Ausprägung von Metall-Spezifitäten in diesen Proteinen kommen
kann. Das mit Jahresende 2010 abgeschlossene Forschungsprojekt wurde vom
österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert.