Sprachverfall im Internet?
Historisch betrachtet war die Verwendung des Internets zunächst elitären Kreisen im universitären Bereich vorbehalten. Erst ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre waren immer breitere Bevölkerungsschichten „online“ und das Internet entwickelte sich zu einem Massenphänomen. Durch die beinahe flächendeckende Verwendung kristallisierten sich nach und nach Merkmale der Online-Kommunikation heraus. Die Nachahmung von mündlichem Sprechen steht hier im Vordergrund: Spuren des Mündlichen in der syntaktischen Struktur bzw. dialektale Färbungen sind typische Eigenschaften der Schriftsprache in Online-Zusammenhängen. Weite Verbreitung haben natürlich auch Emoticons, meist in Form verschiedener Smileys, oder Interjektionen, wie „äh“, „hä“, „brr“, „oida“ gefunden, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Deutsche Sprache in Gefahr?
Online-Kommunikation wird von vielen in erster Linie mit sozialen Netzwerken assoziiert, die momentan in aller Munde sind und geradezu einen Boom erleben: Allein bei facebook sind gegenwärtig knapp 2,4 Millionen Österreicherinnen und Österreicher registriert (Stand: 20. März 2011). Bei einer solch massenhaften Verwendung und angesichts der typischen Merkmale der Schriftsprache bleibt die Frage: Haben facebook, twitter und Co. Auswirkungen auf die Entwicklung der deutschen Sprache? Heike Ortner, Universitätsassistentin am Innsbrucker Institut für Germanistik, setzt sich seit Jahren in ihrer Forschung mit Merkmalen der Online-Kommunikation auseinander und betont: „In dieser Hinsicht haben sich in den letzten Jahren hartnäckige Vorurteile etabliert, die meist jeder Grundlage entbehren“. Die deutsche Sprache sei in Gefahr, die Rede ist von Sprachverfall und einer „Verlotterung“ des Deutschen – schuld daran sei das Internet.
Bildungssystem am Zug
Da besonders für Kinder und Jugendliche die Verwendung des Internets eine große Bedeutung hat und ein fixer Bestandteil des Alltags ist, wird die Sprachkompetenz der nachfolgenden Generation als besonders gefährdet angesehen. Meist wird die Ursache in sozialen Netzwerken gesucht, da hier korrekte Rechtschreibung und Grammatik in den Hintergrund gedrängt werden. Durch negative Ergebnisse der so genannten PISA-Studien gibt es vonseiten der Lehrerinnen und Lehrer immer wieder Aufschreie hinsichtlich der Mängel in der schriftlichen Verwendung der eigenen Muttersprache. Dem Bildungssystem kommt laut Ortner hier auch eine ganz wesentliche Rolle zu.
Kommunikationsvielfalt
Bestimmte Situationen machen einen gewissen Sprachgebrauch erforderlich, in diesem Sinne gilt es vielseitige Kommunikationszusammenhänge und damit auch unterschiedliche Textsorten zu berücksichtigen. „Darauf muss früh genug hingewiesen werden“, betont Ortner. Die Gefahr sei also nicht im Verfall der deutschen Sprache zu sehen, sondern vielmehr in der Tatsache, dass Jugendliche Kommunikationssituationen nicht auseinander halten können. „Ein echter Mangel liegt dann vor, wenn Schülerinnen und Schüler nicht mehr unterscheiden können, ob sie einen Aufsatz schreiben oder eine Statusmeldung auf facebook abgeben. Das gibt Anlass zur Sorge“, verdeutlicht die Wissenschaftlerin. Daher müssten gerade junge Menschen genauer über die modernen Kommunikationsformen informiert werden, damit sie sich über Funktionen, Wirkungsweise und Auswirkungen im Klaren sind. In diesem Zusammenhang sollten allerdings keineswegs nur Lehrerinnen und Lehrer in die Pflicht genommen werden, über die Wichtigkeit dieses Aspekts der Sprache sollte gesamtgesellschaftlicher Konsens herrschen.
Bewertungsschwierigkeiten
Ob die Online-Kommunikation negativen oder positiven Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache hat, ist nicht eindeutig festzustellen. „Wissenschaftlich fundierte Aussagen können hier nicht getroffen werden, da Sprache viel zu lebendig und wandelbar ist und gerade im Internet sehr viele unterschiedliche Formen annimmt“, erklärt Ortner die Herausforderung. Mängel in der Sprachkompetenz will die Germanistin damit allerdings nicht in Abrede stellen: „Natürlich sind Defizite vorhanden, sie sind vergleichsweise aber nicht schlimmer geworden“. Ganz im Gegenteil lasse sich sogar ein Trend in Richtung folgerichtiger Argumentation und normgerechten Schreibens beobachten. „Woran sich die Menschen nach wie vor stoßen, sind sinnentstellende Falschschreibungen und schlechter Aufbau. Mit Usern, die fehlerhaft schreiben, wird mitunter sehr hart ins Gericht gegangen, sie verlieren ihre Glaubwürdigkeit“. Dass gutes und richtiges Deutsch in Online-Zusammenhängen keine Rolle mehr spielt, sei also schlicht falsch, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. „Ich sehe die Sache relativ entspannt, denn Klagen über den Verfall der deutschen Sprache sind wesentlich älter als die Online-Kommunikation. Früher war das Fernsehen der Übeltäter, heute das Internet“, schildert Ortner.
Zur Person
Heike Ortner schloss ihr Studium der Deutschen Philologie und Angewandten Sprachwissenschaft 2004 an der Universität Graz ab. Neben ihrer Tätigkeit als selbstständige Lektorin ist die Wissenschaftlerin seit 2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. als Universitätsassistentin am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienlinguistik in den Bereichen Sprache im Web und Online-Kommunikation sowie Text- und Emotionslinguistik.
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert – dem Magazin der Universität Innsbruck in der Tiroler Tageszeitung – erschienen. Weitere interessante Beiträge rund um Lehre und Forschung an der Universität Innsbruck finden Sie in der Online-Ausgabe von wissenswert.