Argentinien im Wandel
Lithium ist das Erdöl der Zukunft. Das Leichtmetall ist weltweit heiß begehrt. Denn nur wer Lithium besitzt, kann Elektroautos bauen. Schon heute sind Batterieproduzenten die größten Abnehmer von Lithium. Der Wettlauf um neue Abbaugebiete wurde längst eröffnet. Das Dreiländereck Bolivien, Chile und Argentinien steht dabei im Zentrum. In ausgetrockneten Salzseen auf den Hochebenen der Anden lagern riesige Mengen des begehrten Rohstoffs. Hotels mit Satellitentelefonen, moderne Geländewagen, internationale Fachleute und Manager bevölkern bereits die knapp 4000 Meter hoch gelegene Region. Sie treffen hier auf Einheimische, die seit Hunderten von Jahren in mühevoller Handarbeit Salz abbauen. Gemeinsam mit Lama-Hirten sind sie die traditionellen Bewohner dieser sehr dünnbesiedelten Region. „Dieses Aufeinandertreffen von globalen Wirtschaftsinteressen und lokalen Traditionen birgt beträchtliches soziales Konfliktpotential“, sagt Fernando Ruiz Peyré. Der gebürtige Argentinier arbeitet seit einigen Jahren in der Forschungsgruppe um den Lateinamerika-Spezialisten Prof. Martin Coy am Institut für Geographie der Universität Innsbruck. „Wir untersuchen, welche Vorteile diese Veränderungen für die Region bringen und welche Probleme damit zum Beispiel in Hinblick auf Wassernutzung und Energieversorgung verbunden sind“, sagt Ruiz Peyré.
Gemeinsam forschen
Globale Entwicklungen nehmen oft großen Einfluss auf regionale Räume. Für Regionen gilt es daher, Strategien zu entwickeln, mit diesen Veränderungen sinnvoll umzugehen und einen nachhaltigen Wandel sicherzustellen. Es sind diese entscheidenden Fragen, die im Zentrum der Forschung der Innsbrucker Geographen stehen. Der Nordwesten Argentiniens dient ihnen dabei als Modellregion, in der unterschiedliche Entwicklungen studiert und nachhaltige Strategien erdacht und erprobt werden können. Dies geschieht nicht von außen und abgelöst von der lokalen Gesellschaft. „Uns verbindet eine enge Partnerschaft mit argentinischen Wissenschaftlern“, betont Martin Coy. „So besteht eine Partnerschaft mit der Universität in San Miguel de Tucumán. Mit dortigen Geographen und Historikern arbeiten wir gemeinsam an mehreren Forschungsprojekten.“ Und auch mit politischen Entscheidungsträgern und Unternehmen suchen die österreichischen Wissenschafter Kontakt. „Die Entwicklung von nachhaltigen Strategien für eine Region kann nicht von außen erfolgen“, sagt Coy. „Wir wollen in den Dialog mit den Menschen vor Ort treten und voneinander lernen.“ Denn der Einfluss globaler Entwicklungen auf Argentinien hat durchaus auch Parallelen in Tirol. So verändert der Klimawandel die Lebensbedingungen im Gebirge in den Anden und den Alpen gleichermaßen. Deshalb ist auch das Tiroler Kompetenzzentrum alpS in die Kooperation eingebunden und pflegt mit argentinischen Partnern gemeinsame Forschungsinteressen.
Wein und Soja für Europa
Aufgrund ihrer vielfältigen Landschaft lässt sich in der
Region Nordwest-Argentinien eine ganze Reihe markanter Prozesse beobachten. „Unsere
Forschungen reichen vom Tiefland über die Städte bis ins Hochgebirge“,
schildert Prof. Martin Coy. Der Chaco im Norden Argentinien ist von
Trockenwäldern und Dornbuschsavannen geprägt und steht zunehmend unter Druck
der internationalen Agrarindustrie. „Der weltmarktdominierte, industrielle
Sojaanbau dringt aus der Pampa kommend immer stärker in diese Region ein“,
erklärt Coy. „Durch den Klimawandel haben die Niederschläge hier zugenommen,
was heute auch intensive landwirtschaftliche Nutzung ermöglicht. Dadurch kommt
es verstärkt zu Rodungen.“ Auch im Chaco wird die regionale Entwicklung von
globalen Wertschöpfungsketten dominiert. „Im Zentrum steht die Befriedigung des
Futtermittelbedarfs in Europa“, sagt der Geograph. Ein anderes Beispiel liefert
den Forschern die Region um Cafayate, wo seit vielen Jahrzehnten Weinbau betrieben
wird. Weil der Wein hier bis auf 3000 Meter Seehöhe angebaut wird, hat der
internationale Weinmarkt seit kurzem große Interesse an der Region gefunden.
Die Hälfte der Produktion geht bereits ins Ausland, und zahlreiche Bodegas
wurden an ausländische Investoren verkauft. Parallel dazu hat sich in der
Region ein florierender Wein- und Ethnotourismus entwickelt. „Obwohl wir hier nicht
von Massentourismus sprechen, haben diese Entwicklungen die Region stark
verändert“, erzählt Fernando Ruiz Peyré. „So sind zum Beispiel die
Grundstückspreise durch die Investitionen dramatisch gestiegen. Auch der Zugang
zu Wasser birgt großes soziales Konfliktpotential.“
„All diese Entwicklungen sind mit zahlreichen Risiken und
Chancen für die Region Nordwest-Argentinien verbunden. Für die Verantwortlichen
gilt es, Herausforderungen zu meistern und einen eigenen Weg zu finden“, sagt
Martin Coy. „Unsere gemeinsame Arbeit kann dazu beitragen, die Veränderungen zu
verstehen und neue, nachhaltige Strategien zu finden.“ Dabei können auch Ideen
für die Entwicklungen in Österreich abfallen, denn der vielzitierte globale
Wandel ist heute tatsächlich global.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „zukunft forschung“ erschienen.