Das Innenleben von Pflanzen
Die Lebensvorgänge in Pflanzen sind erst ansatzweise bekannt, meint Univ.-Prof. Ilse Kranner, die sich seit ihrer Diplomarbeit mit molekularen Mechanismen im Pflanzenreich beschäftigt. „Je intensiver man forscht, desto mehr erkennt man, wie wenig man eigentlich weiß“, sagt die gebürtige Kärntnerin, die nach ihrer Habilitation an der Universität Graz fast 10 Jahre lang als Senior Scientist an den Royal Botanic Gardens, Kew in London arbeitete. Dort wirkte sie an einem hochdotierten Großprojekt zur Sammlung von Wildpflanzensamen aus der ganzen Welt mit. „In der Millennium Seed Bank in Kew, Wakehurst Place, wurden in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends etwa 30.000 Samen von Wildpflanzen archiviert. Man nimmt an, dass sie Jahrhunderte und manche vielleicht sogar Jahrtausende lang lagerfähig sind. Um ihre Lebensfähigkeit zu überprüfen, müsste man regelmäßig Proben entnehmen und Samen keimen“, erläutert Kranner. Das sei bei Wildpflanzen allerdings leichter gesagt als getan, ergänzt sie. Im Gegensatz zu Kulturpflanzen ist das Keimverhalten von Wildpflanzen kaum bekannt. Manche müssen zuerst von Vögeln gefressen und wieder ausgeschieden werden, andere wiederum müssen kurzfristig besonders heißen Temperaturen oder langfristig kalten Temperaturen ausgesetzt werden, bevor sie keimen. „Dieses Phänomen nennt sich Dormanz. Wenn sich Samen nicht keimen lassen, sind sie entweder dormant oder tot. Meine Aufgabe war es, diagnostische Marker zu entwickeln, die Auskunft über die Samenqualität geben“, beschreibt Kranner einen Teil ihrer Aufgaben in England. Die Qualität von Saatgut wird die neuberufene Professorin auch an der Universität Innsbruck weiterhin beschäftigen, und zwar im Rahmen eines EU-Projekts, das in Kürze starten und in Kooperation mit weiteren 10 internationalen Partnern durchgeführt werden wird. „Das Projekt bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Naturschutz“, verrät Kranner.
Stressmodell für Pflanzen
Ein weiterer Schwerpunkt von Ilse Kranner sind austrocknungstolerante Flechten und Pflanzen. „Solche Pflanzen können bis auf etwa fünf Prozent Wassergehalt austrocknen und wenn es regnet, innerhalb kürzester Zeit wieder Photosynthese betreiben“, erzählt Kranner, die das faszinierende Phänomen in ihrer Habilitation behandelte. Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Untersuchung jener molekularen Prozesse, die diese schnelle Reaktivierung erlauben. Auch das weite Feld der Austrocknungstoleranz wird Ilse Kranner gemeinsam mit ihrer Forschungsgruppe für Biochemie und Stoffwechselphysiologie der Pflanzen in neuen Projekten behandeln. Innsbruck ist dafür ein idealer Standort, denn auch Flechten in Hochgebirgsregionen können extremen Trockenstress sehr gut bewältigen. Kranner kann dabei auf weitere Aspekte ihrer früheren Arbeiten zurückgreifen. „Flechten waren unter anderem Thema meiner Dissertation. Außerdem habe ich mich im Zuge meiner Forschung auch mit der Frage beschäftigt, was Stress bei Pflanzen bedeutet“, berichtet sie. Dazu hat sie Hans Selyes humanmedizinisches Stressmodell auf Pflanzen umgelegt und beschrieben, dass auch Pflanzen im Wesentlichen die Phasen Alarm, Widerstand und Erschöpfung durchlaufen, wobei Hormone und Botenstoffe besonders wichtige Rollen spielen.
Eine Herausforderung bei der Erforschung dieser molekularen Zusammenhänge sind laut Ilse Kranner nicht zuletzt die Messmethoden, die dabei zum Einsatz kommen. „Ich habe einen Großteil meiner Karriere damit verbracht, auszutüfteln, wie bestimmte Substanzen messbar sind“, sagt die Forscherin, die an der Universität Innsbruck an der weiteren Verbesserung beziehungsweise an der Verbindung verschiedener Messverfahren mit bildgebenden Verfahren arbeiten möchte.
Zur Person
Ilse Kranner habilitierte sich 2002 an der Universität Graz im Rahmen eines APART-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Postdoc-Erfahrung in den USA, Indien, Südafrika, Slowenien und Japan. Im Anschluss daran nahm sie eine Forschungsstelle im englischen Staatsdienst an den Royal Botanic Gardens, Kew in London an und ist dieser Institution nach wie vor als Honorary Research Associate verbunden. Im März folgte sie dem Ruf an die Universität Innsbruck. Ilse Kranner publizierte in zahlreichen international renommierten Journalen und kann Veröffentlichungen mit Koautoren von 27 Institutionen aus 14 Ländern vorweisen. Darüber hinaus ist sie Gutachterin für über 30 Fachzeitschriften.