Frauen sind nicht das friedlichere Geschlecht
Kriege und bewaffnete Konflikte sind keine Phänomene der Vergangenheit, sondern finden heute noch entgegen der Haltungen vieler Menschen statt. Infolgedessen nimmt das Bemühen um Weltfrieden in der Geschichte der Menschheit einen entscheidenden Platz ein. Der Weltfrieden ist ein gesellschaftlich normatives Ideal, das viele engagierte Bürgerinnen und Bürger anzustreben versuchen, dafür kämpfen und deren Engagement nicht in Vergessenheit geraten sollte. Vor allem der Aspekt, dass Frauen bei den politischen Entscheidungsprozessen kaum präsent sind und ihre Beiträge und Leistungen nach wie vor als Randerscheinungen behandelt werden, war der Ausgangspunkt für die großangelegte Forschung von Dr. Laurie R. Cohen. „Ist die scheinbare Abwesenheit der Frauen ein Zeichen mangelnden Interesses, stummer Unterstützung oder Marginalisierung? Zu diesem Thema liegen kaum Untersuchungen vor“, erklärt Cohen. Primär interessierte sie die Trennung zwischen der Friedens- und Frauenbewegung, auf die sie in ihrer Forschungsarbeit immer wieder stieß. „Sowohl die feministische als auch die pazifistische Geschichtsschreibung behandelten den Feminismus und den Pazifismus als voneinander getrennte Sphären. Fast so, als hätten die Zielsetzungen der Bewegungen keine Gemeinsamkeiten oder Synergien. Dies mag vielleicht ideologische oder taktische Motive haben“, so Cohen. Ihr Befund ist ein anderer: „Die starke Verbundenheit, der gemeinsame Geist und die Zusammenarbeit der Feministinnen, Pazifistinnen und der feministischen Pazifistinnen geht aus den historischen Primärquellen eindeutig hervor.“
Vergessene Aktivistinnen
Cohen untersuchte die Biographien und Aktivitäten von Frauen, die sich im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert in Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland und den USA für Antimilitarismus und Pazifismus einsetzten und dabei auch einen internationalistischen Weg verfolgten. Tatsächlich sind indes nur wenige dieser außergewöhnlichen Frauen bekannt. Lediglich die Namen der beiden ersten Friedensnobelpreisträgerinnen Bertha von Suttner und Jane Addams, die den Nobelpreis in den Jahren 1905 und 1931 erhielten, sind den meisten namentlich vertraut. Demzufolge war es Cohen ein großes Anliegen, diese Einseitigkeit in der Geschichtsschreibung auszugleichen und die vergessenen Frauen oder „frechen Frauen“, wie sie die Frauen selbst bezeichnet, sichtbar zu machen. „Diese Frauen setzten sich für menschenwürdigere Lebensbedingungen sowohl auf lokaler als auch nationaler und internationaler Ebene ein. Ihre konkreten Anliegen konzentrierten sich dabei auf das Prinzip der demokratischen Diskussion, auf Erziehung und Bildung, auf die Beseitigung von Waffen und militärischen Strukturen, auf Selbstbestimmung und auf die grundlegenden Menschenrechte.“ Die Frauen traten mit geschärftem Verstand und enormem Selbstbewusstsein auf, um ihren Stimmen Gehör zu verschaffen und die Männer von ihrem Pazifismus zu überzeugen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es nämlich verpönt, dass sich eine Frau in der Politik oder in der Öffentlichkeit äußert, geschweige denn aktiv daran teilnimmt. Durch Ehrgeiz und Beharrlichkeit, zwei Eigenschaften, die diese Frauen bewegten, konnten viele der zu erreichenden Ziele ermöglicht werden. So forderte die österreichisch-ungarische Staatsbürgerin und Mitbegründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, kurz I.F.F.F., Rosika Schwimmer, im Jahr 1915 die Ministerpräsidenten, Außenminister, Könige als auch den Papst eindringlich dazu auf, sich für das unverzügliche Ende des Krieges einzusetzen. „Frauen sind nicht das friedlichere Geschlecht“, sagt Cohen. „Frauen setzen in ihrer Funktion als Pazifistinnen die Waffen ein, die ihnen zur Verfügung stehen, und das sind die Waffen des Verstandes und der Sprache.“
Ein Wesensmerkmal, das die meisten Pazifistinnen ihrer Zeit miteinander verband, ist ihre internationale oder zumindest transatlantische Aktivität. Ein Beispiel hierfür ist die amerikanische Pazifistin Andrea Hofer Proudfoot, die ihren Aufenthaltsort zwischen den USA und Österreich wechselte. Sowohl in dem einen als auch in dem anderen Land engagierte sie sich im Rahmen der Frauenfriedensbewegung, organisierte zum Teil den 21. Internationalen Friedenskongress oder begleitete Bertha von Suttner bei ihrer Vortragsreise durch die USA. Für ihre Verdienste wurden Proudfoot im Jahr 1928 die Salvator-Medaille der Stadt Wien und das silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen. Zudem wurde sie auch zum Ehrenmitglied der Universität Innsbruck ernannt. Der in Chicago veröffentlichte Nachruf auf ihre Person barg keinen Hinweis auf ihre Friedensarbeit. „Um einen Überblick über Proudfoots Engagement zu erhalten, ist es notwendig, zahlreiche über den Atlantik verstreute Details ihres Lebenswegs in den USA und Österreich zu einem Gesamtbild zu kombinieren“, sagt Cohen. „Die von mir untersuchten Personen bewegten sich sowohl gedanklich als auch körperlich innerhalb wie außerhalb ihrer nationalen Grenzen und entwickelten so ein zunehmend weltbürgerliches Selbstverständnis.“
Neue Pazifistinnen
Das auf drei Jahre angelegte FWF-Forschungsprojekt „Pazifistinnen im neuen Kontext. Ein transatlantischer Dialog (Elise-Richter- Programm)“ ist zwar offiziell 2010 beendet worden, das Thema erlaubt aber aufgrund seiner Gegenwärtigkeit nachfolgende Forschungen. So lässt sich die Aktualität des Forschungsthemas anhand von gegenwärtigen Bewegungen wie der Occupy-Bewegung oder der Friedensbewegung Code Pink erkennen. „Die neuen Aktivistinnen sind die Gründerinnen der US-amerikanischen Friedensbewegung Code Pink, deren oberstes Ziel die Beendigung des Irakkriegs war. Die Bewegung wird dabei vorwiegend von Pazifistinnen getragen“, erklärt Cohen. Der Name der Bewegung spielt dabei auf zwei Punkte an, einerseits wird damit auf das von George W. Bush und seiner Regierung eingeführte Farbcodesystem Bezug genommen – der Farbcode Pink ist zwar heikel, aber noch nicht derart gefährlich wie der Farbcode Rot – und andererseits wird die Farbe Pink immer noch mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht.
Info: Internationaler Frauentag
Der erste Frauentag wurde am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert, nachdem sich die deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker bei der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen im Jahr 1910 dafür eingesetzt hatten. Die Idee zur Einführung eines Frauentages kam aus den USA. Die amerikanischen Sozialistinnen gründeten dort ein nationales Frauenkomitee, das beschloss, einen nationalen Kampftag für das Frauenwahlrecht in die Wege zu leiten. Der erste Frauentag in den USA fand bereits im Februar 1909 statt und war ein voller Erfolg. Erst einige Jahre später wurde der 8. März zum „Internationalen Frauentag“ erklärt.
(Nina Hausmeister)
Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version steht unter folgendem Link zur Verfügung: wissenswert 1/2012