Oswald von Wolkenstein, nachgedichtet
„Es fuegt sich, do ich was von zehen jaren alt, ich wolt besehen, wie die werlt wer gestalt, …“: Im Alter von zehn Jahren, um 1387, wird Oswald von Wolkenstein Knappe und bereist die damals bekannte Welt. Nicht zuletzt durch seine autobiografischen Lieder wissen wir heute sehr viel über das Leben des Südtiroler Dichters. „Diese Weltgewandtheit, die er sich in seinen Jahren als Knappe aneignet, nutzt er später in seinen Liedern meisterhaft“, erklärt Max Siller, Professor für Ältere Deutsche Sprache und Literatur, der sich jahrelang mit dem Schaffen Oswalds auseinandergesetzt hat. Oswald von Wolkenstein wird als zweiter Sohn eines Landadeligen, vielleicht auf Burg Wolkenstein in Gröden, geboren. „Oswald lernt dort Ladinisch – dass er diese Sprache beherrscht, schreibt er später selbst in seinen Liedern“, sagt Max Siller. Er wächst schließlich auf der Trostburg im Eisacktal auf, wo er auch Deutsch, einen Eisacktaler Dialekt, lernt.
Frühneuhochdeutsch
Die Sprache, in der Oswald später schreibt, wird in der Sprachwissenschaft als Frühneuhochdeutsch bezeichnet – das heute bekannteste Werk in dieser Sprachstufe ist die Bibelübersetzung Martin Luthers aus 1545. „Ein Merkmal des Frühneuhochdeutschen und ein Unterschied zum Mittelhochdeutschen ist zum Beispiel die Diphthongierung verschiedener Laute, die im süddeutschen Sprachraum schon 200 Jahre vor Oswald ihren Ausgang nimmt“, erklärt Max Siller. Aus langem „i“ wird „ei“, das lange „u“ wird zum „au“: „Min Hus“ wird zu „mein Haus“. Diese Lautverschiebung, neben anderen Änderungen, breitet sich vom heutigen Bayern und Österreich nach Norden aus – nur im Alemannischen und in Norddeutschland gibt es diese Änderung nicht. „In Vorarlberg und in der Schweiz hat es diese Diphthongierung nicht gegeben, was wir ja auch heute noch sehen.“ Oswald von Wolkenstein macht sich diese regionalen Unterschiede in der Sprache zunutze: „Zum Beispiel baut er in ein Lied über Überlingen am Bodensee alemannische Brocken ein und bringt so gewissermaßen Lokalkolorit in seine Dichtung“, beschreibt Max Siller. Auch Soziolekte, die Sprechweise unterschiedlicher sozialer Schichten, nutzt er geschickt aus: Einen Kastelruther Bauern lässt er hörbar „bäurisch“ sprechen, eine Adelige entsprechend eine prestigewertigere Sprachvariante.
„Oswald spielt mit sprachlichen Varietäten wie im Mittelalter kein anderer“, sagt der Germanist. „Er hat ein ausgesprochen gutes Gehör für Sprache.“ Nach dem Tod seines Vaters 1399 kehrt Oswald wieder nach Tirol zurück, nimmt an Kreuzzügen und Pilgerreisen teil. Ein Höhepunkt seines Lebens ist die Teilnahme am Konzil von Konstanz 1415 im Gefolge des Tiroler Herzogs Friedrich IV. „In Konstanz war er ganz in seinem Element, traf eine Vielzahl anderer Sänger und trat auch mit seinen Liedern auf.“ Dort entdeckt ihn auch Sigismund, römisch-deutscher König und König von Ungarn, und nimmt ihn in seine Dienste auf. Eine Gesandtschaftsreise zur Beseitigung des Schismas der katholischen Kirche führt ihn über England und Schottland nach Portugal, dort beteiligt er sich am Eroberungszug zur damals maurischen, heute zu Spanien gehörigen Stadt Ceuta. „Meine These ist, dass Oswald von Sigismund auch als ‚Bodyguard’ angeheuert wurde – für diese Aufgabe war er wie geschaffen: Er hatte Kampferfahrung, war ein Draufgänger, zugleich aber auch ein sprachlich unglaublich talentierter Mann.“ 1417 heiratet Oswald die Adelige Margareta von Schwangau, mit der er sieben Kinder haben sollte und der er auch mehrere Lieder widmet.
Politiker
Oswald ist aber nicht hauptsächlich Sänger: Heute würde man ihn auch als Politiker bezeichnen. „Er spielte eine nicht unbedeutende Rolle in der damaligen Politik Tirols, legt sich mit dem Tiroler Herzog Friedrich IV. an und trägt relativ brutale Kämpfe um sein Erbe und die Burg Hauenstein bei Seis aus“, sagt Max Siller. Das ist auch ein Grund, warum er erst im 20. Jahrhundert wieder entdeckt und zu Lebzeiten kaum rezipiert wurde: „Als Adeliger hatte Oswald das Singen nicht nötig, um zu überleben, und war auch kein fahrender Sänger – er hat gesungen, wann es ihm gepasst hat.“ Heute existieren zwei Prachthandschriften seines Werks, die er selbst in Auftrag gegeben hat, und eine zeitgenössische Abschrift auf Papier. Durch seine Eigenart, Brocken anderer Dialekte und Sprachen in seine Lieder zu bringen, gibt es auch heute noch Teile, die nicht eindeutig übersetzt werden können. „Oswald ist inzwischen gut erforscht, einige wenige Wörter geben uns aber noch Rätsel auf“, sagt Max Siller.
Der Germanist und Innsbrucker Altrektor Prof. Hans Moser hat ausgewählte Lieder Oswalds von Wolkenstein unter dem Titel „Wie eine Feder leicht“ in modernes Deutsch übertragen. „Er hat sie nicht einfach übersetzt, sondern nachgedichtet – häufig geht die Poesie bei einfachen Übersetzungen verloren, Moser hat sie behalten und so auch die Wirkung der Lieder beibehalten“, beschreibt Max Siller die Arbeit seines Kollegen. Die von Hans Moser übertragenen Lieder sind sogar zu den ebenfalls erhaltenen Original-Melodien singbar.
Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version steht hier zur Verfügung (PDF).