Bergbauern im Nationalsozialismus
Es ist einer der großen Zielkonflikte im Nationalsozialismus: Rassistisch-ideologischer Anspruch und kriegsbedingte Realpolitik standen häufig im Widerspruch zueinander. Deutlich wird das auch im Umgang des NS-Regimes mit den Bergbauern, wie der Innsbrucker Historiker Dr. Gerhard Siegl herausgearbeitet hat: „Der sogenannte ‚Anschluss’ Österreichs 1938 war ernährungspolitisch eine Herausforderung für NS-Deutschland: Österreich war damals nur zu 75 Prozent autark, Deutschland zu 83 Prozent“, erklärt er. So gab es bald nach dem Anschluss Überlegungen, die Berglandwirtschaft gar nicht zu unterstützen und im Gegensatz landwirtschaftlich ertragreichere Großbetriebe zu fördern.
Ideologen setzen sich durch
Durchgesetzt haben sich am Ende aber die Ideologen: Der alpine Bergbauer galt ihnen als „Lebensquell der Nordischen Rasse“, der – im Gegensatz zu Stadtbewohnern – noch am wenigsten „rassisch verwässert“ sei und mit Zähigkeit, Unerbittlichkeit gegenüber der Natur und sich selbst sowie Bescheidenheit und Bedürfnislosigkeit dem Idealbild der NS-Ideologen entsprach. Mit dieser Argumentationslinie sollten sich die Bauernfunktionäre, allen voran der spätere VdU- und FPÖ-Politiker Anton Reinthaller, in Berlin auch während des Kriegs mehrmals durchsetzen – die Absiedelung von Bergbauern war mehrfach Thema. „Unter Verwendung von Argumenten der ‚Blut-und-Boden’-Ideologie wurden die Bergbauern verhältnismäßig stark gefördert. Infrastrukturmaßnahmen wie der ‚Gemeinschaftsaufbau im Bergland’ gehören da dazu, aber auch ein Fixpreissystem für agrarische Produkte samt Abnahmegarantie waren Mittel, mit denen die Landwirtschaft unterstützt wurde“, sagt Gerhard Siegl. Mit Mitteln aus dem „Gemeinschaftsaufbau im Bergland“ wurden Genossenschaften zur Kultivierung und Attraktivierung von Gemeinden in den Alpen gegründet, deren Aktivitäten vor allem landwirtschaftstechnische und infrastrukturelle Ziele verfolgten. Daran konnten sich alle landwirtschaftlichen Betriebe einer Gemeinde – offiziell freiwillig – beteiligen. „Die Freiwilligkeit war aber nur auf dem Papier gegeben – wer nicht mitmachen wollte, wurde entsprechend unter Druck gesetzt.“
Die Bauern hatten ihre neue finanzielle Sicherheit durch den Verlust ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit und Freiheit teuer erkauft: „Aufgrund der Ablieferungspflicht konnten die Bauern sicher sein, dass sie alles verkaufen würden und wussten auch genau, wie viel sie bekommen – zugleich verloren sie aber jegliche Möglichkeit, selbst über diese Dinge zu entscheiden“, erklärt Gerhard Siegl. Diese wirtschaftliche Sicherheit führte auch dazu, dass während der NS-Zeit in Österreich kaum Höfe aufgelassen wurden – im Gegensatz zur Zeit des Austrofaschismus davor und der Nachkriegszeit, wo viele Höfe schließen mussten. „Die Bergbauern haben materiell von der NS-Zeit profitiert und konnten sich teilweise sogar finanzielle Reserven ansparen. Die persönlichen Verluste waren aber natürlich auch unter den Bauern hoch, nicht selten starben alle männlichen Mitglieder einer Bergbauernfamilie im Krieg.“
Nachwirkungen
Die Vehemenz, mit der das Nazi-Regime seine Maßnahmen durchgesetzt hat, unter nahezu vollständiger Ausschaltung des Mitspracherechts Einzelner, sollte auch Auswirkungen auf die Zeit nach dem Krieg haben. „Meine These ist, dass diese Brutalität in der Umsetzung dazu geführt hat, die Akzeptanzgrenzen in der Bevölkerung zu verschieben – nicht zuletzt deshalb dürften die Bauern den enormen und historisch unvergleichlichen agrarischen Strukturwandel der 1950er- und 1960er-Jahre praktisch widerspruchslos hingenommen haben“, sagt der Historiker.