Ein Blick auf europäische Teller
Univ.-Prof. Dr. Ursula Peintner ist Mikrobiologin mit dem Spezialgebiet Mykologie. „Pilze stehen im Zentrum meiner Forschungsarbeit, das Spektrum reicht dabei von der Taxonomie über die Phylogenie bis hin zur Erforschung der Pilzökologie oder der Ethnomykologie“, beschreibt Peintner ihr breites Forschungsgebiet. In den Bereich der Ethnomykologie fällt auch ihre jüngste Publikation, in der sie sich mit dem europäischen Speisepilzverhalten auseinandersetzte. „Die Begriffe mykophil und mykophob existieren bereits sehr lange. Es ist allgemein bekannt, dass es in Europa Länder gibt, in denen Speisepilze sehr beliebt sind – Italien gilt beispielsweise als mykophiles Volk. Im Gegensatz dazu spielt der Verzehr von Pilzen in Großbritannien eine geringe Rolle, dort könnte man sogar von einer Pilz-Phobie sprechen“, beschreibt die Mikrobiologin. Um diese allgemeine volkstümliche Meinung auch wissenschaftlich zu hinterfragen, machte sich Peintner daran, die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen in Europa zu untersuchen. „Wenn in einem Land Pilze gegessen und gehandelt werden, benötigt man Gesetze, die beispielsweise den Handel regeln, um Vergiftungen zu minimieren oder zu vermeiden“, erklärt Peintner. Die Untersuchungen gestalteten sich allerdings sehr schwierig, da im Bereich der Speisepilze europaweit keine einheitliche Regelung vorherrscht. „In einigen Ländern gibt es Gesetze, in anderen nur Abschnitte im Lebensmittelgesetz und in anderen gibt es nur Richtlinien, die den Umgang mit Speisepilzen regeln“, so die Mykologin. Erschwerend hinzu kam, dass die einzelnen Regelungen natürlich nur in der jeweiligen Landessprache verfügbar waren. „Die Analyse aller europäischen Unterlagen war nur mithilfe der Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland möglich“, räumt Peintner ein. Zudem wurden in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und in den skandinavischen Ländern erst kürzlich Guidelines erlassen, was eine komplette Überarbeitung der Studie nötig machte.
Mykophil und mykophob
„Die Analyse der einzelnen Gesetze und Guidelines zeigte sehr deutlich, welche Rolle der Verzehr von Speisepilzen in den einzelnen Länder spielt“, resümiert Ursula Peintner. So ergab ihre Untersuchung beispielsweise, dass die gemeinhin als mykophob eingestuften Länder wie Großbritannien oder Deutschland keine ausdrücklichen Regelungen zum Verzehr und Handel von Pilzen besitzen. „Es wird zwar im Lebensmittelschutzgesetz auf den Verzehr und Vertrieb von Pilzen eingegangen, jedoch Listen mit erlaubten Speisepilzen, fehlen hier gänzlich“, erklärt Peintner. Anders ist die Situation beispielsweise in Frankreich. Hier umfasst die Liste der erlaubten Speisepilze 122 Arten. „Frankreich, aber auch Spanien und Italien haben eine lange Tradition im Pilzkonsum, das zeigt sich auch am Umfang der Pilz-Listen, die in den Gesetzen erfasst sind“, beschreibt die Mikrobiologin. Ebenfalls ein Spitzenreiter in der gesetzlich geregelten Speisepilzvielfalt ist die Schweiz. Peintner erklärt sich diese Tatsache durch die kulturelle Vielfalt in der Schweiz: „Die Schweiz liegt mit 114 Arten auf der gesetzlichen Liste auf Platz zwei. Hier gibt es einen stark mykophilen französischen Anteil in der Bevölkerung, auf den in der Gesetzgebung natürlich eingegangen werden muss.“ Insgesamt ergibt Peintners Studie eine klare Tendenz: Romanisch geprägte Länder, wie Frankreich, Spanien und Italien sind klar mykophile Länder, germanisch geprägte Länder wie Großbritannien, Deutschland oder Skandinavien mykophob.
Kulturspezifische Präferenzen
Im Durchschnitt umfassen die Listen der einzelnen Länder rund 60 Arten. „Interessant ist auch, dass die Listen extrem unterschiedlich sind. Es gibt vielleicht eine Handvoll Pilzarten, die auf allen Listen genannt sind“, erklärt Peintner. „Insgesamt sind auf allen Listen 282 Speisepilzarten genannt.“ Ein Beispiel dafür, wie sehr der kulturelle Umgang mit Pilzen in der Gesetzgebung widergespiegelt wird, zeigt der Regelung zur Pilzart Lorcheln in Finnland: „In Finnland sind Lorcheln sehr beliebte Speisepilze. Dieser Pilz, der eigentlich giftig ist und nur durch die richtige Zubereitung genießbar wird, ist in vielen anderen Ländern verboten, da der richtige Umgang mit diesem Pilz dort nicht bekannt ist. In Finnland dagegen, wo die Zubereitungsart allgemein bekannt ist, ist dieser Pilz erlaubt und darf auch gehandelt werden“, erklärt Peintner. Österreich liegt bei Peintners Untersuchungen im Mittelfeld. „Hier spielt natürlich auch die Tatsache eine Rolle, dass Österreich ein Grenzland ist und Handel mit seinen mykophilen Nachbarländern betreibt“, so die Mykologin. In Österreich sind 63 Pilzarten auf der Liste der erlaubten Speisepilze genannt, genießbare Arten gäbe es in Österreichs Ländern laut einer groben Schätzung der Mykologin rund 200.
Insgesamt sieht Peintner die klare Trennung zwischen mykophilen und mykophoben Völker in jüngster Zeit immer mehr verschwimmen: Grenzüberschreitender Handel und Ernährungstrends, die durch die Globalisierung der Medien europaweit verbreitet werden, verwischen die klaren Grenzen immer mehr. „Pilze gelten durch ihre stimulierende Wirkung auf das Immunsystem als extrem gesunde Nahrungsmittel, was ihre Beliebtheit natürlich auch in bislang mykophoben Gesellschaften sicher steigert“, ist Peintner überzeugt. Die Wissenschaftlerin hofft auch, dass die Ergebnisse ihrer Studie dazu führen, dass in einer möglichen gesamteuropäischen, gesetzlichen Lösung nationale, lokale und kulturell bedingte Unterschiede Berücksichtigung finden.