Geistliche in der Politik
Orden, Klöster und Stifte präsentieren sich heute als rein religiöse Institutionen– das war aber nicht immer so: Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren sie einerseits wirtschaftliche Betriebe, andererseits ließen sich Träger und Trägerinnen hoher geistlicher Würden in ihrer Rolle als weltliche Fürsten huldigen. Darüber hinaus hatten sie in den Reichs- und Landtagen Mitspracherechte. „Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang, dass nicht nur Männerklöster, sondern auch einige Frauenklöster und Damenstifte mit Sitz und Stimme auf Landtagen vertreten waren“, erklärt Dr. Ellinor Forster vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. „Das klassische Bild einer Klosterfrau oder Stiftsdame, die zurückgezogen hinter Klostermauern lebt, trifft in dieser Form auf viele geistliche und weltliche Frauengemeinschaften nicht zu“, ergänzt Forster, die sich in einem Forschungsprojekt mit Damenstiften beschäftigt hat. Auf Tiroler Landesebene waren sowohl das Klarissenkloster in Meran als auch das Stift Sonnenburg im Pustertal bis zu ihrer Aufhebung im Zuge der Reformen Josephs II. (1780 – 1790) im Landtag vertreten und machten auch Gebrauch von ihrem Mitspracherecht. „Die ältere Regionalforschung war lange der Ansicht, dass die Äbtissinnen dieses Recht zwar nominell hatten, aber kaum wahrnahmen. Jedoch stimmt das so nicht“, räumt Forster mit diesem Vorurteil auf. Zwar kamen die Klosterfrauen und Stiftsdamen nicht persönlich zum Landtag, sondern schickten – wie häufig auch Äbte oder Bischöfe – einen sorgfältig ausgewählten Vertreter aus dem Ritterstand, allerdings mit einem sehr klaren Auftrag, wie HistorikerInnen heute aus der Korrespondenz zwischen den Klöstern und ihren Bevollmächtigten am Landtag wissen. Der Bevollmächtigte hatte die Interessen seiner Auftraggeber zu verhandeln, die bei Weitem nicht nur geistlicher Natur waren. In den Landtagen ging es vor allem um ökonomische Anliegen, wie zum Beispiel die Höhe der abzuliefernden Steuern oder die Bewirtschaftung der eigenen Besitzungen, ebenso wie um Fragen der Selbstverwaltung. „Es gab natürlich Bestrebungen der Landesfürsten wie auch der Bischöfe, in die Klöster und Stifte hineinzuregieren“, sagt Ellinor Forster. „Je besser die jeweilige Institution nach außen vernetzt war, was meist mit dem adeligen Stand der Stiftsdamen und Klosterfrauen zu tun hatte, desto schwieriger war es jedoch, von außen einzugreifen.“
Geistlicher Adel
Macht und Gewicht in der Landespolitik hatten – egal ob es sich nun um Männer- oder Frauengemeinschaften handelte – also insbesondere jene Orden, Stifte und Klöster mit Mitgliedern aus dem hohen Adel. Ein Paradebeispiel dafür ist auch der Deutsche Orden, der um 1190 als Ritterorden gegründet wurde und besonders im Fokus der Geschichtswissenschaftlerinnen und Geschichtswissenschaftler an der Universität Innsbruck steht. Und das nicht nur, weil auch er im Tiroler Landtag als Landstand vertreten war: Ähnlich wie der Johanniter- und der Templerorden wurde der Deutsche Orden ursprünglich mit dem politisch-religiösen Auftrag gegründet, sich in den von ihm betriebenen Spitälern und Pfarren um das körperliche und seelische Wohl der Kreuzfahrer zu kümmern. „Dieser Auftrag verliert sich mit dem Ende der Kreuzzüge und der weitgehend abgeschlossenen Christianisierung Europas. Aber auch die politische Großwetterlage änderte sich, sodass der Deutsche Orden sich immer wieder an neue Umstände anpassen musste“, erklärt Dr. Niels Grüne, dessen Lehr- und Forschungsschwerpunkt die Frühe Neuzeit (ca. 1500 – 1800) ist.
In den Augen von Niels Grüne, seiner Kollegin Ellinor Forster und Univ.-Prof. Dr. Mark Mersiowsky von der Geschichte des Mittelalters, lässt sich am Beispiel des Deutschen Ordens daher die Verflechtung zwischen Klerus und Politik, aber auch die Organisation und Kommunikation von Ritterorden sehr gut veranschaulichen. Aus diesem Grund steht der Deutsche Orden ab Herbst im Mittelpunkt von Lehrveranstaltungen und fungiert in diesem Rahmen als „Testfall“ für neue Forschungsperspektiven zur politischen Kommunikation. „Am Institut decken wir dabei das Mittelalter, die Frühe Neuzeit und – hier vor allem für das 19./20. Jahrhundert – die Österreichische Geschichte ab“, erläutert Grüne. „Ergänzt werden unsere Perspektiven noch durch Gastvortragende aus der Deutschordensforschung und eine Exkursion, welche die Resultate auf der Tiroler Ebene sichtbar macht“, betont Mersiowsky. Eingebettet ist die Lehrveranstaltung in die Arbeit der beiden Cluster „Politische Kommunikation“ und „Gewalt, Verwaltung, Praxis“ des universitären Forschungsschwerpunkts „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“. Dadurch können aktuelle Untersuchungsergebnisse unmittelbar in die Lehre einfließen.
Vormoderner Landtag
Im Rahmen des Landtags kamen ab dem Spätmittelalter die politisch berechtigten Stände eines Landes regelmäßig zusammen, um aktuelle Anliegen des jeweiligen Landesfürsten zu verhandeln.
Landstände hießen die politischen Vertretungen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, wie etwa des Adels, der Geistlichen, Bürger und Bauern. Ihre Zusammensetzung war je nach Land und Zeit sehr verschieden. Alle Landstände zusammen bildeten die „Landschaft“.
Deutscher Orden
Der Deutsche Orden, auch Deutschherren- oder Deutschritterorden genannt, ist heute eine geistliche Ordensgemeinschaft mit Hauptsitz in Wien. Auf dem dritten Kreuzzug um 1190 bei Akkon als Spitalsgemeinschaft gegründet, war er durch Stiftungen und Schenkungen neben Palästina bald überall im Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus, wie etwa in Preußen und Livland, präsent. Auch im südlichen Tirol konnte er sich sehr früh etablieren, wohl weil dieses auf dem Weg nach Palästina, dem Zentrum des Ordens bis 1291, lag. Seit dem 16. Jahrhundert war der Deutsche Orden insbesondere mit zwei historischen Entwicklungen konfrontiert, die sein neuzeitliches Erscheinungsbild nachhaltig prägten: Zum einen stellte sich die Frage, wie er sich in einem politischen Umfeld behaupten sollte, das immer mehr der Logik räumlich geschlossener Herrschaft („Staatsbildung“) folgte. Zum anderen zerbrach im Zuge der Reformation die religiöse Einheit des Ordens, weil sich seine regionalen Zweige in einigen Territorien dem Luther- bzw. Reformiertentum zuwandten.
Bei seiner Gründung wurde das Nebeneinander von geistlichen und weltlichen Aspekten in den Statuten angelegt. Er bestand einerseits aus Rittern, die sich neben Gehorsam und Armut auch zum Zölibat verpflichteten, und andererseits aus Priestern, die die Seelsorge in den geschenkten Pfarreien versahen. Der Orden stand unter der zentralen Leitung eines Hochmeisters, aus den Ordensbesitzungen hatten sich Balleien als Verwaltungseinheiten gebildet.
Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).