Licht ins Dunkel von Tibets Besiedelungsgeschichte
Das Tibetische Hochland liegt zwischen 4000 und 5500 Metern über dem Meeresspiegel und zählt nicht zuletzt aufgrund des Sauerstoffangebots zu den eher lebensfeindlichen Gegenden der Erde. Wann erstmals Menschen das Dach der Welt erkundeten beziehungsweise dieses dauerhaft besiedelten, ist noch weitgehend unerforscht. Die ersten wissenschaftlichen Nachweise früher menschlicher Aktivität im Ost-Himalaya erbrachte vor einigen Jahren Dr. Michael Meyer vom Institut für Geologie und Paläontologie gemeinsam mit Kollegen der Universität Wien. „Damals haben wir in den angrenzenden Himalaya-Regionen Bhutans geforscht und konnten zeigen, dass Menschen bereits vor rund 6700 Jahren in diesen hohen Lagen unterwegs waren und spätestens seit 4700 Jahren permanent in den Hochgebirgsregionen Bhutans lebten“, erklärt Meyer und ergänzt: „Wir vermuten, dass Tibet viel früher von Menschen besiedelt wurde. Die Forschungs- und Datenlage ist aufgrund der geographisch und politisch erschwerten Zugänglichkeit jedoch sehr schlecht.“
Permanente Besiedelung
Renommierte amerikanische Archäologen um David Madsen von der University of Texas und Jeffrey Brantingham von der University of California gehen davon aus, dass die permanente Besiedelung Tibets vor rund 10.000 Jahren über den so genannten Gansu-Korridor im Nordosten erfolgte. Ihre Theorie fußt auf archäologischen Ausgrabungen im Norden und Nordosten Tibets und der Überlegung, dass ein Überleben auf dem Plateau nicht möglich war, bevor Yaks domestiziert wurden. Laut Michael Meyer gibt es jedoch einige archäologische Fundstellen, besonders im zentralen und südlichen Bereich des Hochplateaus, die wesentlich älter als 10.000 Jahre aussehen. „Wir widmen uns insbesondere einer konkreten Fundstelle in der Nähe von Lhasa, wo vor gut zehn Jahren menschliche Hand- und Fußabdrücke im Quellkalk entdeckt wurden“, beschreibt Meyer einen Hauptgegenstand der Untersuchungen, die er gemeinsam mit seinem Team im Rahmen eines FWF-Projektes zur Besiedlungsgeschichte Tibets durchführt. „Zum Alter der Abdrücke in Quesang gibt es nur völlig ungesicherte Daten, die besagen, dass sie 20.000, vielleicht sogar 30.000 Jahre alt sein könnten. Wir wollen jetzt exakte Altersdaten liefern“, erklärt er das Ziel des fächerübergreifenden Projekts, in dem nicht nur die Besiedelungsgeschichte, sondern auch die Klima- und Landschaftsentwicklungen Hochasiens im Mittelpunkt stehen.
Gespeicherte Lichtsignale
Michael Meyer arbeitet mit modernsten Datierungstechniken, insbesondere mit Optisch Stimulierter Lumineszenz (OSL), einem Verfahren, das es ermöglicht, das Alter von Sedimenten exakt zu bestimmen. Im Gegensatz zur wesentlich bekannteren Radiokarbon-Methode funktioniert OSL auch dann, wenn keine organischen Reste vorhanden sind, und erlaubt – je nach Mineralienart – Datierungen, die bis zu dreimal so weit zurückreichen. OSL basiert auf der Tatsache, dass ein Sediment, zum Beispiel ein Sandkorn, in dem Augenblick, in dem es abgelagert wird, durch die vorhandene natürliche Radioaktivität Energie in Form von Strahlenschäden im Kristallgitter akkumuliert. Diese Energie wird als so genanntes Lumineszenz- Signal im Sediment gespeichert. Sie ist dafür verantwortlich, dass Sedimentkörner unter bestimmten Bedingungen leuchten. Dieses Prinzip machen sich die Forscher dann in einem Speziallabor für die Datierung zunutze: „Wir entsenden Licht einer definierten Wellenlänge auf die Sedimentprobe und stimulieren somit die natürliche Lumineszenz. Dann messen wir die Lichtsignale, die von der Probe zurückgeworfen werden. Extrem vereinfacht ausgedrückt: Je mehr Lichtsignale ein Sediment speichert und im Labor wieder abgibt, desto älter ist es“, erklärt Meyer die Arbeitsmethode, die neben weiteren Datierungsverfahren Licht ins Dunkel der Besiedelungsgeschichte Tibets bringen soll. Aktuell werden die Proben, die Zhijun Wang, ein Mitarbeiter von Michael Meyer aus Quesang, mitgebracht hat, für die Datierung im OSL-Labor vorbereitet. Die Präparation der Proben ist langwierig und erfolgt größtenteils unter Rot-Licht, weil das Lumineszenz-Signal unter Einfluss von (weißem) Tageslicht wieder gelöscht wird. Noch aufwändiger ist schließlich die Auswertung und Interpretation der Daten. Das Ergebnis erwartet Michael Meyer mit Spannung: „Wenn die Abdrücke tatsächlich älter als 20.000 Jahre wären, so würde das bedeuten, dass bereits vor dem Höhepunkt der Eiszeit Menschen in dieser Höhe gelebt haben, und zwar ohne domestizierte Yaks“, sagt der Wissenschaftler, der sich auch in den kommenden Jahren mit dem größtenteils unerforschten Himalaya-Raum beschäftigen will.
Alpen und Hochasien: ein kurzer Vergleich
Höhe: Der höchste Gipfel des Himalaya ist der Mount Everest mit 8848 Metern, der höchste Gipfel der Alpen der Mont Blanc mit 4810 Metern. Das Tibetische Plateau und die Hochtäler des Himalaya liegen auf einer Meereshöhe, die den höchsten Alpengipfeln entspricht.
Gletscher: Die Gletscher in weiten Teilen des Himalaya und in Teilen Tibets werden vom indischen Sommermonsun gesteuert. Intensive Monsunphasen führen – trotz der damit verbundenen höheren Temperaturen – dazu, dass auf den Gletschern mehr Schnee fällt und diese vorstoßen können. Die Steuerungsmechanismen der Gletscher und die resultierende Landschaftsdynamik in Hochasien sind daher andere als in den Alpen.
Erste menschliche Spuren: Die ältesten Funde in den Alpen, die auf die Anwesenheit des modernen Menschen hin-deuten, sind rund 25.000 Jahre alt. Es handelt sich um steinzeitliche Werkzeuge, die aus Höhlen in ca. 400 bis 900 Metern Höhe stammen. Solche Funde sind in Hochgebirgen wie den Alpen oder dem Himalaya erosionsbedingt extrem selten. Auf dem Tibetischen Hochplateau sind die Chancen, dass alte menschliche Spuren konserviert wurden, größer, weil aufgrund der Trockenheit die Vereisung während der Eiszeit nicht so großflächig war. Es könnten bis zu 30.000 Jahre alte Funde existieren.
Permanente Besiedelung: Um Höhen jenseits von 2500 bis 3000 Metern permanent bewohnen zu können, mussten sich die ersten Menschen, die auf das Tibetische Hochplateau und bis in den Hohen Himalaya vordrangen, genetisch an das reduzierte Sauerstoffangebot anpassen. Die Höhenanpassung moderner Tibeter und Himalaya-Bewohner ist dermaßen fortgeschritten, dass Genetiker davon ausgehen, dass die Adaption schon vor mehreren zehntausend Jahren begonnenhaben muss. Im Gegensatz dazu waren für die Besiedelung der Alpen keinerlei physiologische Höhenadaptionen notwendig.
Zur Person
Michael Meyer studierte Geologie an der Universität Wien, 2006 promovierte er an der Universität Innsbruck. Von 2007 bis 2011 forschte er im Zuge eines Schrödinger-Auslandsstipendiums sowie eines europäischen Marie-Curie-Stipendiums an der University of Wollongong (Australien), wo er sich intensiv in die OSL-Datierung vertiefte. Sein Forschungsfokus liegt auf der Lumineszenzdatierung und deren Anwendung auf quartärgeologische und geoarchäologische Fragestellungen. Weitere Forschungstätigkeiten umfassen paläoseismologische Untersuchungen sowie die Speleothem- und Klimaforschung. Seit 2011 ist er Universitätsassistent am Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Innsbruck.
Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version steht hier zur Verfügung (PDF).