Was „Bellezza“ mit Technik zu tun hat
Klaus Tragbar mag Italien. Seine Affinität zum Apenninen-Staat ist „die Schuld“ seiner Lehrer an der Technischen Hochschule Darmstadt, wie er mit einem Augenzwinkern erzählt. Bereits in den ersten Jahren seines Architekturstudiums hat Klaus Tragbar viel Zeit südlich des Brenners verbracht, um an archäologischen Ausgrabungen u.a. in Rom, Sizilien und Paestum teilzunehmen. Auch sein Interesse für Baugeschichte wurde schon während der ersten Semester geweckt. „Natürlich habe ich mein Architekturstudium mit der Absicht ‚Ich will bauen’ begonnen. Die historischen Wissenschaften sind in Darmstadt aber traditionell sehr stark vertreten, und so habe ich viele Seminare in Bau- und Kunstgeschichte, aber auch in Archäologie belegt“, schildert Tragbar. Bereits damals habe er den Bautrieb ein wenig verloren, so der neue Professor für Baukunst, Baugeschichte und Denkmalpflege. Nach dem Abschluss seines Studiums hat er dennoch ein Jahr in einem Architekturbüro gearbeitet, um sich schließlich endgültig der Baugeschichte zu zuwenden. Seither haben ihn zahlreiche Forschungsvorhaben nach Italien geführt. Sein erstes großes Projekt, an dem er mit seinem Doktorvater Walter Haas und dem Kunsthistoriker Dethard von Winterfeld gearbeitet hat, widmete sich den Kirchen von Siena, ihrer genauen Untersuchung, Erfassung und Dokumentation. Seine Forschungstätigkeit in der Toskana hat Klaus Tragbar zur Beschäftigung mit mittelalterlichen Wohnbauten inspiriert, über die er seine Dissertation verfasst hat. Diese wiederum haben ihm ein weiteres Forschungsfeld eröffnet: „Im Zuge der Recherchen für meine Doktorarbeit habe ich mich auch mit der Piazza Grande in Arezzo beschäftigt. Sie präsentiert sich heute als mittelalterlicher Stadtraum, der aber im Wesentlichen in den 1930er Jahren entstanden beziehungsweise rekonstruiert worden ist“, berichtet Tragbar. „Ebenso wie das dort jährlich stattfindende – angeblich – mittelalterliche Fest ist auch das Erscheinungsbild der Piazza Grande die Erfindung eines faschistischen Bürgmeisters“, erläutert er und resümiert: „So bin ich zu meinem zweiten großen Forschungsschwerpunkt, zur Architektur im Faschismus, gekommen.“
Tiroler Kulturerbe bewahren
Die Nähe zu Italien war für Klaus Tragbar mit ein Anreiz, dem Ruf an die Universität Innsbruck zu folgen. Besonders interessiert hat ihn am Innsbrucker Lehrstuhl für Baukunst, Baugeschichte und Denkmalpflege jedoch die mit der Professur verbundene Leitung des Archivs für Baukunst. „Diese Kombination aus universitärer Lehre und Forschungsarchiv ist im deutschen Sprachraum kaum anzutreffen und hat die Stelle sehr attraktiv gemacht. Wir können die Bestände des Archivs auf einem sehr kurzen Weg in der Lehre einsetzen. Umgekehrt können wir Ergebnisse, die ihm Rahmen von Lehrveranstaltungen entstehen, wiederum ins Archiv einpflegen, was wir auch bereits tun.“ Als Beispiel führt er ein Forschungsvorhaben von Lehrstuhlmitarbeiterin Sonja Mitterer an, die im Zuge von Lehrveranstaltungen begonnen hat, Bauerhöfe in Nord-, Ost, und Südtirole aufzumessen. „Diese ruralen Bauwerke zu dokumentieren lohnt sich. Sie unterliegen aufgrund des gesellschaftlichen Wandels einem starken Veränderungsdruck, werden umgebaut oder aufgelassen und verfallen. Dass dieses kulturelle Erbe zumindest im Archiv bewahrt wird, ist mir ein persönliches Anliegen“, so Tragbar, der das Vorhaben weiter forcieren will. Ebenso möchte er in Zukunft das Thema Bautechnik-Geschichte sowohl in der Lehre als auch als Schwerpunkt des Archivs für Baukunst noch stärker etablieren. Denn Architektur ist in seinen Augen weit mehr als ein gestalterisches Ereignis.
Technikgeschichte unverzichtbar für Architekten
Für ihn spielen bei der Auseinandersetzung mit Architektur vier Aspekte – Funktion, Konstruktion, Gestaltung und Bedeutung – eine Rolle. „Natürlich ist letztendlich der ästhetische Eindruck, die Bellezza, eines Gebäudes, entscheidend, aber es muss auch stehen. Als Architekt muss man sich daher mit Konstruktionsweisen, mit Materialen und ihren Eigenschaften beschäftigen, um die eigenen ästhetischen Konzepte umsetzen zu können“, legt Klaus Tragbar seine Sichtweise dar, die für seine Zukunftspläne in Hinblick auf das Archiv für Baukunst entscheidend ist. „Mein Vorgänger und Archivgründer Rainer Gräfe hat bereits einige Projekte im Bereich Konstruktionsgeschichte bearbeitet. Diesen Faden möchte ich gerne aufnehmen, allerdings mit stärkerem Schwerpunkt auf Tirol“, erläutert er seine Pläne. Tirol hat laut Tragbar, der im Übrigen Gründungsmitglied und Zweiter Vorsitzender der kürzlich in Berlin entstandenen Gesellschaft für Bautechnikgeschichte ist, einige konstruktionshistorisch hochinteressante Bauwerke. „Die Überwindung der Berge durch Straßen-, Brücken- und Tunnelbauten hat in Tirol eine lange Tradition und bietet viel Potenzial für mögliche Forschungsvorhaben. Auch die Erschließung der Alpen für den Fremdenverkehr gehören zur Technikgeschichte“, führt Klaus Tragbar seine Ideen für die nächsten Jahre aus.
Zur Person
Klaus Tragbar, geboren 1959, studierte Architektur in Darmstadt, 1997 wurde er mit einer Arbeit zum mittelalterlichen Wohnbau in der Toskana promoviert. Er lehrte er in Darmstadt und Mainz und hatte 1997/98 die Vertretung der Professur für Kultur- und Baugeschichte an der Fachhochschule Frankfurt am Main inne. Von 1998 bis 2001 war Tragbar Geschäftsführer der Deutschen Burgenvereinigung, ab 2002 Professor für Entwerfen, Baugeschichte und Architekturtheorie an der Hochschule Augsburg. Seit Februar 2013 ist er Professor für Baukunst, Baugeschichte und Denkmalpflege an der Universität Innsbruck und Leiter des Archivs für Baukunst.