Zweiter Schall in Quantengas beobachtet
Bei sehr tiefen Temperaturen werden bestimmte Flüssigkeiten suprafluid und verlieren dabei jede innere Reibung. Zudem können Flüssigkeiten in diesem Zustand Wärme extrem effizient ableiten, der Energietransport erfolgt dabei in Form einer besonderen Wärmewelle. Wegen der Ähnlichkeit zu einer Schallwelle wird diese Temperaturwelle auch Zweiter Schall genannt. Um die Eigenschaften von Supraflüssigkeiten zu erklären, entwickelte der Physik-Nobelpreisträger Lev Landau 1941 in Moskau ein Zweiflüssigkeitsmodell. Er ging davon aus, dass Flüssigkeiten bei diesen tiefen Temperaturen aus einem suprafluiden und einem normalen Anteil bestehen, wobei zweiter mit sinkender Temperatur immer kleiner wird. Experimentell beobachtet wurde das Phänomen der Suprafluidität bisher nur in verflüssigtem Helium und in ultrakalten Quantengasen. Es gibt aber auch starke Hinweise auf die Suprafluidität von Atomkernen und von Neutronensternen. Das Phänomen der Suprafluidität ist eng verwandt mit der technologisch sehr wichtigen Supraleitung, bei der elektrische Ladungen reibungsfrei transportiert werden.
Temperaturwelle beobachtet
Ultrakalte Quantengase sind ein ideales Modellsystem, um quantenmechanische Phänomene wie Suprafluidität im Labor zu beobachten. Dabei werden hunderttausende Atome in einer Vakuumkammer beinahe auf den absoluten Nullpunkt (−273,15 °C) abgekühlt. Mit Hilfe von Lasern können die Teilchen in diesem Zustand kollektiv sehr gut kontrolliert und manipuliert werden. „Trotz der intensiven Forschung in diesem Feld ist es seit mehr als zehn Jahren nicht gelungen, das Phänomen des Zweiten Schalls in Quantengasen nachzuweisen“, erzählt Rudolf Grimm vom Institut für Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Letztlich war es dann aber verblüffend einfach, diesen Nachweis zu erbringen.“ Die Quantenphysiker um Grimm beobachteten im Labor ein Quantengas aus rund 300.000 Lithium-Atomen. Die zigarrenförmige Teilchenwolke erhitzten sie an einer Stelle mit Hilfe eines modulierten Laserstrahls und beobachteten dann die sich ausbreitenden Temperaturwelle. „Während in suprafluidem Helium nur eine Entropiewelle auftritt, zeigte sich in unserem Fermigas auch eine gewisse thermische Ausdehnung und damit eine messbare Dichtewelle“, erläutert Grimm den entscheidenden Unterschied. Erstmals gelang es den Innsbrucker Physikern mit ihren Messungen auch, den suprafluiden Anteil im Quantengas exakt zu beziffern. „Das hat bisher noch niemand geschafft, und es schließt eine wesentliche Lücke bei der Erforschung von Fermigasen“, freut sich Rudolf Grimm.
Nach über 50 Jahren Theorie bestätigt
Die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Arbeit ist das Ergebnis einer langjährigen, engen Kooperation der Innsbrucker Physiker mit Forschern des Zentrums für Bose-Einstein-Kondensation in Trient, Italien, um Sandro Stringari und Lev Pitaevskii. Der heute in Italien tätige Pitaevskii war von 1955 bis 1962 in Moskau Mitarbeiter von Lev Landau. Die Theoretiker in Trient haben den von Landau entwickelten Formalismus zur Beschreibung des Zweiten Schalls für die nahezu eindimensionale Geometrie des Innsbrucker Experiments angepasst. „Mit diesem Modell konnten wir unsere Messergebnisse sehr leicht interpretieren“, sagt Rudolf Grimm. „Daneben haben die Kollegen aus Trient unser Experiment in konzeptueller Weise intensiv unterstützt. Dieses Ergebnis stellt einen wirklichen Höhepunkt der Zusammenarbeit mit unserer Partneruniversität Trient dar und ist ein vitales Zeichen der Forschungskooperation innerhalb der Europaregion Tirol Südtirol Trentino.“ Die Universität Innsbruck wird Lev Pitaevskii für seine wissenschaftlichen Leistungen und seine enge Zusammenarbeit mit den hiesigen Wissenschaftlern im Juni mit der Verleihung eines Ehrendoktorats ehren.
Gefördert wurden die Wissenschaftler vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und dem Europäischen Forschungsrat ERC.