Der Hexenfels im Rofangebirge birgt prähistorische Schätze
Bis zum Fund des Ötzi im Jahr 1991 waren Expertinnen und Experten der Meinung, dass das Hochgebirge in der Urgeschichte nur sehr spärlich besiedelt wurde. Dieser und weitere Funde zeigen allerdings, dass die Hochlagen in der Prähistorie häufig aufgesucht und intensiv genutzt wurden. Seither spielt die Hochgebirgsforschung eine wichtige Rolle in der Archäologie des Alpenraumes. Im Rahmen des vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs HiMAT (The history of mining activities in the Tyrol and adjacent areas) machte sich Bachnetzer gemeinsam mit seinem Kollegen Mag. Markus Staudt zu Geländebegehungen in das Rofangebirge auf. Die beiden Forscher stießen dabei auf sehr interessante Stellen, die sie zu näheren Untersuchungen veranlassten. Auf etwa 2000 Metern Seehöhe prospektierten sie ein kleinräumiges Felssturzgebiet, von dem ein riesiger Felsblock, der Hexenfels, den einzig größeren und natürlichen Unterstand in der Nähe bot. Der auf zwei Seiten überhängende Fels wird auch, vom französischen übernommen, Abri, genannt. Mit dem 2014 vom TWF geförderten Forschungsprojekt möchte der Doktoratsstipendiat das Rofangebirge als prähistorische Kulturlandschaft in den Hochlagen Tirols untersuchen.
Schicht für Schicht in die Vergangenheit
Mit Hilfe von exakten geologischen Karten fanden die Archäologen eine besonders wichtige Stelle im Rofangebirge mit Feuersteinvorkommen. „Wir wussten schon, dass nördlich des Inn Silex vorkommt. Es wurden an dieser Stelle auch schon Oberflächenfunde aus der Steinzeit gemacht. Also sind wir raufmarschiert, haben gesucht und zahlreiche Artefakte gefunden.“, erzählt Bachnetzer. Dies war der Auftakt für bislang sechs Ausgrabungskampagnen unter der Leitung von ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Leitner. Auf der Suche nach Spuren aus der Mittelsteinzeit, dem Mesolithikum, stießen die Forscher beim Hexenfels zufällig auf ganz andere Funde. Die ersten Keramikfragmente die sie bei den Grabungen 2009 entdeckten stammen, späteren Analysen zufolge, aus der Eisenzeit. „Dies ist eine Besonderheit, da es die erste Fundstelle im Hochgebirge Tirols ist, in der Funde aus der Eisenzeit durch eine archäologische Grabung dokumentiert werden konnten.“, schwärmt Bachnetzer. Die Forscherinnen und Forscher wurden jedoch nicht nur in diesem Zeitalter fündig. „Wir graben jetzt schon das sechste Jahr und haben aus vielen Zeitperioden tolle Funde freigelegt.“, erzählt der Wissenschaftler. Tausende Feuersteinartefakte aus der Steinzeit, wie Pfeilspitzen, Bohrer, Kratzer und Abfälle aus der Produktion von Geräten, Keramik- und Metallfunde, schön gesetzte Feuerstellen und Knochenschmuck zählen beispielsweise zu den Funden am Hexenfels. Bachnetzer erklärt: „Im Prinzip wird’s von oben nach unten älter. Es kann aber auch sein, dass die Menschen, beispielsweise um Feuergruben anzulegen, Funde aus älteren Schichten nach oben verlagert haben. Das ist eine zusätzliche Herausforderung.“ Schicht für Schicht arbeiten sich die Archäologen am Hexenfels vor. Die Grabung am Krahnsattel wurde zu einem größeren Projekt, denn „mit diesem Ausmaß an Schichten und Funden haben wir nicht gerechnet.“, freut sich Bachnetzer. Noch sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht am Ende ihrer Grabungen. „Das tolle ist, dass wir immer noch Artefakte finden.“, zeigt sich der Archäologe motiviert.
Saisonales Siedeln am Hexenfels
Die Menschen der Mittelsteinzeit waren noch nicht sesshaft und als Nomaden auf Wanderschaft. „Zum Übernachten oder bei schlecht Wetter müssen sie auch irgendwo Schutz gesucht haben.“, überlegt Bachnetzer. Der Abri bot ihnen einen idealen, natürlichen Unterschlupf. Trotz saisonalen Temperaturschwankungen könne davon ausgegangen werden, dass die Wildbeuter nur in den Sommermonaten am Berg gelebt haben. Bachnetzer stellt sich vor, dass sie den Feuerstein an der Gruberlacke, etwa fünf Gehminuten vom Hexenfels entfernt, gewonnen und dann im Schutz des Abri weiterverarbeitet haben. Er betont, dass Feuersteinklingen freigelegt wurden, die aus dem Tauernfenster südlich des Inn stammen. Das bedeutet, dass die Archäologen auch Rückschlüsse auf mögliche steinzeitliche Transit- und Wanderwege ziehen können. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass die Nomaden wegen dem Silex in das Rofangebirge kamen, denn dieser war für sie überlebensnotwendig. „Mit dem haben sie gejagt, gebohrt, genäht und haben beispielsweise Kratzer hergestellt um das Leder zu bearbeiten.“, erklärt Bachnetzer. Knochenfunde aus der Bronze- und Eisenzeit, die bereits archäozoologisch untersucht wurden, lassen allerdings auch darauf schließen, dass die Menschen damals nicht nur wegen der Feuersteingewinnung im Rofan waren. „Etwa 90 Prozent dieser Knochen stammen von Ziegen oder Schafen. Daraus können wir schließen, dass damals bereits eine Art Alm- und/oder Viehwirtschaft betrieben wurde.“, erklärt der Archäologe.
Von der Urgeschichte bis Heute
„Das Besondere am Hexenfels ist die saisonale Siedlungskontinuität über die Jahrtausende.“, erklärt der Archäologe. Die ältesten Nachweise von der Anwesenheit des Menschen am Abri stammen aus der Mittelsteinzeit, dem Mesolitikum, um 5800 v.Chr. Bachnetzer und seine Kolleginnen und Kollegen können weitere Funde in die späte Bronzezeit zwischen 950 und 800 v. Chr. einordnen. Eine große Zahl an Artefakten stammt aus der Eisenzeit von 800 v.Chr. bis Christi Geburt. Holzkohlereste deuten auch darauf hin, dass in der frühen Römerzeit Menschen im Schutz des Hexenfels lagerten. Eine kleine Münze aus der Zeit des Leopold dem 1., eine Mantelschließe und weitere Feuerstellen zeugen von Aufenthalten der Menschen in der Neuzeit. „Spannend ist, dass der Unterstand bis heute genutzt wird. Laut Zeitzeugen verwendeten Hirten die Fläche bis in die 1950er Jahre als Melkplatz und bis einem Jahr vor Beginn der Grabungen übernachteten dort immer wieder Wander- und Jugendgruppen.“, erklärt Bachnetzer. Laut den Berechnungen des Archäologen ergibt sich eine Kontinuität der Nutzung von etwa 7500 bis 8000 Jahren.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Eine Besonderheit des Projekts ist die fächerübergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Thomas Bachnetzer und sein Team arbeiten in dem an der Universität Innsbruck angesiedelten Forschungszentrum HiMAT mit in- und ausländischen Forschungseinrichtungen zusammen. Dazu zählen beispielsweise Archäozoologen aus Basel, und die Institute für Mineralogie und Petrographie sowie Botanik und der Arbeitsbereich für Vermessung und GEOinformation von der Universität Innsbruck. Das Ziel besteht darin, in Kooperation mit naturwissenschaftlichen und technischen Fächern Grundlagenforschung im Bereich der hochalpinen Ressourcennutzung zu betreiben. Dies ist im Rofangebirge vor allem durch die Silexgewinnung sowie die Alm- und Viehwirtschaft in der Bronze- und Eisenzeit gegeben. „Im Tiroler Hochgebirge werden immer mehr Stellen entdeckt, an denen man frühe Lagerspuren feststellen kann. Wer suchet der findet.“, freut sich Thomas Bachnetzer.