Der Ton macht mehr als nur Musik
Neben Themenbereichen wie Persönlichkeitsentwicklung und Psychologische Diagnostik ist ein besonderes wissenschaftliches Interesse von Marcel Zentner die Verbindung von Psychologie und Musik. „Musik vermag die Menschen auf eine ganz besondere Art und Weise zu beeinflussen. Wie dies genau geschieht und was dabei mit uns passiert, untersuchen wir mit speziell dafür entwickelten Tests“, so Zentner.
Schlau durch Musik?
In den letzten Jahren befasste sich der Forscher mit der Entwicklung eines Tests zur objektiven Erfassung von musikalischen Fähigkeiten, der eingesetzt wird, um die Verbindungen zwischen Musikalität und anderen Eigenschaften wie Sprachbegabung oder Empathie zu untersuchen. Bislang wurden in solchen Studien lediglich „Musiker“ und „Nicht-Musiker“ verglichen, wobei die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Gruppe oft auf einer Selbsteinschätzung beruht: „Diese Klassifikation ist unzureichend, weil sie zwei Typen von Personen nicht erfasst: die ‚Musikalischen Schläfer’, daher musikalisch veranlagte Personen ohne formales musikalisches Wissen, und ‚schlafende Musiker’, Personen mit langer musikalischer Ausbildung, aber begrenzter musikalischer Begabung.“ Von Rhythmus, Klangfarbe, Tempo bis hin zur Wahrnehmung reiner Stimmung erfasst der Test musikalische Wahrnehmungsfähigkeiten in neun Bereichen. Zentner entwickelte eine gekürzte Version des Tests, den sogenannten „Mini-Proms“, der nur 15 Minuten dauert und auf der Seite des psychologischen Institutes zum Selbsttesten frei zugänglich ist. Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit musikalischer Begabung eine höhere Emotionale Intelligenz aufweisen. Dies beinhaltet das Erkennen von Emotionen in der Sprechstimme oder im Gesicht, eine Eigenschaft, die in der Kommunikation besonders wichtig ist. Auch hat sich gezeigt, dass Personen mit dieser Begabung hellhöriger sind und eine höhere Empathiefähigkeit zeigen. Wie musikalische Fähigkeiten nun mit anderen Fähigkeiten zusammenhängen, wird Teil der zukünftigen Forschung des Wissenschaftlers sein. „Dieser Bereich ist sehr spannend, da sich auch die Neurowissenschaft und die Medizin immer mehr für das Verhältnis zur Musik interessieren. Sie wird bereits gezielt eingesetzt, um etwa Parkinson, Alzheimer, Autismus und Legasthenie zu behandeln – in fast wöchentlichem Rhythmus erscheinen neuen Erkenntnisse dazu“, so Zentner.
Schubladen-Emotionen reichen nicht
Angst, Furcht, Ärger, Freude, Traurigkeit – Zentner interessiert sich dafür, ob solche „Basis-Emotionen“ geeignet sind, von Musik ausgelöste Gefühlsregungen zu beschreiben. „In mehreren Studien über verschiedene Musikstilrichtungen erwiesen sich aus anfänglich über 500 Emotionsausdrücken nur ungefähr 50 als musikalisch wirklich relevant. Diese haben wir dann durch statistische Verfahren der Datenreduktion zu neun Kategorien bündeln können“, so Zentner. In diesem Modell, auch GEMS (Geneva Emotional Music Scale) genannt, finden sich Kategorien, die Emotionen aus den Bereichen Sehnsucht, Nostalgie, Verzauberung, Transzendenz, Freude, aber auch Traurigkeit zusammenfassen. „Mit Kolleginnen und Kollegen aus der Neurowissenshaft konnten wir daraufhin nachweisen, dass das Erleben solcher Emotionen auch mit spezifischen hirnphysiologischen Aktivierungsmustern einhergeht. Beispielsweise wird der Hippocampus oder die Insula, die selbstreflexive und gedächtnisbezogene Funktionen steuern, durch die Emotion ‚Nostalgie’ angeregt“, erklärt Zentner. Solche Erkenntnisse könnten auch in der Neurologie verstärkt eine Rolle spielen. Ein Auge auf das GEMS-Modell hat inzwischen auch die Wirtschaft geworfen: „Google ist daran interessiert, wie Suchmaschinen durch unsere musikspezifischen Emotions-Labels optimiert werden können.“ Ähnlich wie Kaufempfehlungen bei Amazon, soll es mit Hilfe von GEMS-basierten Algorithmen möglich werden, Besucherinnen und Besuchern von Musik-Portalen wie „Youtube“ Lieder vorzuschlagen, die jene Emotionen auslösen, die sie auch beim Hören anderer Musik erlebt haben dürften. „Auch für Medienschaffende und Filmproduzenten kann diese Arbeit interessant sein, beispielsweise, um eine passende Filmmusik besser finden zu können“, begeistert sich der Psychologe.
Tanzende Säuglinge
Eine weitere Frage, die den Forscher bewegt, ist, ob es bestimmte musikalische Veranlagungen gibt. Dieses Interesse bewog ihn dazu, mehrere Studien mit Säuglingen durchzuführen. So wiesen er und ein weiterer Wissenschaftler beispielsweise nach, dass sich Säuglinge bereits im Alter von fünf bis sechs Monaten spontan zu Musik bewegen. „Dabei sahen wir, dass sich die Kinder nicht einfach unkoordiniert bewegen, sondern teilweise bereits im richtigen Takt“, so Zentner. Herausfinden konnten dies die Forscher mithilfe der 3D-Motion-Capture-Technologie – ein Tracking-Verfahren, das Bewegungen sehr genau erfasst und in ein für den Computer lesbares Format umwandelt. Damit konnten sie die Übereinstimmung zwischen dem Tempo der Bewegungen und dem musikalischen Tempo dann auf die Millisekunde genau analysieren. „Zum Vergleich wurden den Kindern auch Sprechstimmen vorgespielt, die dieses rhythmische Verhalten allerdings nicht ausgelöst haben“, erklärt der Psychologe. „Ein kurioses Resultat dieser Untersuchung war, dass, je rhythmischer sich die Kleinkinder zur Musik bewegten, desto eher lächelten sie und schienen mehr Freude zu haben“, zeigt sich Zentner überrascht. Ganz egal wie man die Zusammenhänge von Musik und Psychologie betrachtet – sie scheint uns in allen Lebenslagen zu begleiten.
Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).