Euregio-JungforscherInnenpreis für Innsbrucker Historiker
Anlässlich des Tiroltags des Europäischen Forums Alpbach, dieses Jahr am 17. August, wurden bereits zum dritten Mal Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus der Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino eingeladen, ihre Arbeiten vorzustellen. Von den insgesamt sechs Finalistinnen und Finalisten stammten vier von der Universität Innsbruck; der Historiker Dr. Michael Span erreichte mit seiner Doktorarbeit „Ein Bürger unter Bauern? – Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750 bis 1850“ den mit 2.000 Euro dotierten ersten Platz des Euregio-JungforscherInnenpreises.
Mikrogeschichtlicher Ansatz
In seiner prämierten Arbeit wählte Michael Span einen mikrogeschichtlichen Ansatz, den er selbst so erklärt: „ Mikrogeschichte meint nicht, sich im Gegensatz zu einer ‚Makrogeschichte’ nur für kleine Dinge zu interessieren. Mikrogeschichte versucht sehr wohl, den großen und wesentlichen Veränderungen in der Geschichte nachzuspüren. Sie tut dies jedoch mit einem speziellen methodologischen Ansatz: mit einer Vergrößerung des Maßstabes. Es geht darum, ‚im Kleinen das Große [zu] suchen’ und zu finden.“ Im Zentrum der Arbeit steht Michael Pfurtscheller (1776–1854) aus Fulpmes im Stubaital. Falls überhaupt, dann ist Pfurtscheller heute noch vor allem aufgrund seiner Rolle im Rahmen des Aufstandes gegen die bayerische Regierung in Tirol 1809, zum anderen aufgrund seines Beitrags zur Entwicklung der Stubaier Metallwarenindustrie bekannt. „Pfurtscheller nahm eine herausragende Position in der Region ein“, erklärt Michael Span: „Er hatte diverse administrative und politische Ämter inne und war durch seine finanzielle Potenz der wichtigste Kreditgeber der Region. Er war auch überregional mobil, sprach etwa auch Italienisch und Französisch, war Mitglied in bürgerlichen Vereinen wie dem Ferdinandeum und dem Landwirtschaftsverein, hatte kulturelles Interesse zum Beispiel als Förderer der Kirchenmusik. Sein Sohn studiert Landschaftsmalerei in München und Quellen weisen auf umfangreichen Buchbesitz hin. Außerdem ist seine Bekanntschaft mit zeitgenössischen Kunstschaffenden nachgewiesen.“
Durch die gewählte Methode und die damit verbundene Maßstabsvergrößerung wird es möglich, den Untersuchungsgegenstand auf der Grundlage einer außergewöhnlich hohen Quellendichte zu betrachten. „Dadurch eröffnen sich Einblicke in Zusammenhänge und Entwicklungen, in die Lebenswelten der Zeitgenossen, die aus einer größeren Entfernung nicht möglich wären“, beschreibt der Historiker. „Das Misstrauen gegenüber großen, linearen Erzählungen und kausalen Erklärungen wird dadurch geschärft. Der mikrohistorische Ansatz eignet sich nicht zuletzt als Überprüfungsinstrumentarium für eben solche ‚großen Erzählungen’.“
Akribische Forschungsarbeit
Michael Span, der selbst aus dem Stubaital stammt, verwendete Michael Pfurtschellers außergewöhnliche Biografie als Grundgerüst für eine Beschreibung der Perspektive einer Peripherie, des Stubaitals, auf die großen Ereignisse der sogenannten „Sattelzeit“. Als „Sattelzeit“ wird, zurückgehend auf den deutschen Historiker Reinhart Koselleck, die Phase zwischen etwa 1750 und 1850 bezeichnet – eine Zeit der Umbrüche: Die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege, der Niedergang des Heiligen Römischen Reichs, die beginnende nationalstaatliche Konsolidierung, eine zunehmende Bürokratisierung, Reformen im Bildungswesen, die beginnende Industrialisierung und der vielzitierte „Aufstieg des Bürgertums“ fallen in diese Zeit oder nehmen in ihr ihren Ausgang.
Die nun ausgezeichnete Arbeit bietet Einblicke in eine Gesellschaft im Wandel: „Auch in der Peripherieregion wirkte sich die ‚big history’ aus“, sagt Michael Span. „Die Stubaier vollzogen diesen Wandel jedoch keineswegs nur untätig leidend nach. Sie fanden Handlungsspielräume vor, die sie auf unterschiedlichste Weise nutzten.“ Die historische Tiroler Gesellschaft war auch weit heterogener, fragmentierter, aber auch dynamischer, als der Blick aus der Entfernung und die starren Kategorien der ständischen Gesellschaftsordnung (Bürger/Bauern) vermuten lassen. „Die Erkenntnisse in meiner Arbeit, so hoffe ich zumindest, können auch zur Weiterentwicklung eines differenzierteren, entmystifizierten Bildes der Tiroler Geschichte beitragen helfen.“
Weitere PreisträgerInnen
Die weiteren Finalistinnen und Finalisten der Universität Innsbruck sind Dr. Sibylle Puntscher vom Institut für Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte, die in ihrer Arbeit „Social Capital and Collective Memory: A Complex Relationship“ die Auswirkungen des kollektiven Gedächtnisses auf die Bildung von sozialem Kapital in einer Gesellschaft erforscht und damit den dritten Platz erreicht hat; Mag. Silvia Angerer vom Institut für Finanzwissenschaft mit der Arbeit „Children’s Cooperation and Discrimination in a bilingual Province“ zur Entstehung und Entwicklung von Kooperationsbereitschaft und Diskriminierung im Kindesalter; und Mag. Mag. Matthias Siller vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte, der in seiner Arbeit „The Geography of Innovation Revisited“ die regionale Innovationsfähigkeit 196 europäischer Regionen nach den drei Dimensionen der technologischen Innovation, der Dienstleistungsinnovation und der kommerziellen Innovation analysiert hat. Platz zwei ging an Alice Engl, PhD, vom Institut für Minderheitenrecht der Europäischen Akademie Bozen, die sechste Finalistin war die Rechtswissenschaftlerin Lucia Busatta, PhD von der Universität Trient.