Gegen den Schmerz
Zahlreiche Krankheiten gehen mit starken oder sehr starken Schmerzen einher, die zum Teil auch chronisch werden können. „Mehr als 20 Prozent der Weltbevölkerung leidet an chronischen Schmerzen“, weiß Priv.-Doz. Dr. Mariana Spetea vom Institut für Pharmazie. Wenn normale Schmerzmittel wie beispielsweise Aspirin oder Paracetamol nicht mehr ausreichen, kommen Opioide wie Morphin, Oxycodon oder Fentanyl zum Einsatz. „Diese Medikamente wirken zwar recht verlässlich gegen den Schmerz, sie gehen aber zum Teil mit starken Nebenwirkungen wie Sedierung, Benommenheit, motorische Dysfunktion oder Atemdepression einher und können auch Abhängigkeit verursachen“, beschreibt die Wissenschaftlerin, die am Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck die Opioid-Forschungsgruppe leitet.
Weniger Nebenwirkungen
Im Rahmen eines vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Projektes will Spetea einen neuen Wirkstoff entwickeln, der gleich gut gegen Schmerzen wirkt, allerdings deutlich weniger Nebenwirkungen verursacht. Dazu forscht die Gruppe an einer Substanz, die bereits in den 90er Jahren entwickelt wurde: 14-Methoxymetopon. „Prof. Helmut Schmidhammer, mein Vorgänger als Leiter der Forschungsgruppe, hat bereits viel an dieser Substanz geforscht und war von ihrem guten Profil überzeugt“, erklärt Mariana Spetea. Die Entdeckung des Wirkstoffes ist zwar publiziert, aber nie patentiert worden, weshalb dieser für die Pharma-Industrie zur Weiterentwicklung finanziell nicht interessant war. „Die Entwicklung eines neuen marktfähigen Wirkstoffs dauert bis zu zwölf Jahre und kostet sehr viel Geld. Liegt kein Patent vor, sind die zu erwartenden Gewinne aufgrund der Generika nicht hoch genug“, erläutert Spetea, die die Synthesemethode zur Herstellung von neuen 14-Methoxymetopon-Derivaten mittlerweile zum Patent angemeldet hat. Die Grundlage für den Wirkstoff ist ein Inhaltsstoff der Mohnpflanze: Thebain. Die Innsbrucker Pharmazeuten derivatisierten Thebain in mehreren Syntheseschritten, um gezielte Veränderungen an der Leitsubstanz vorzunehmen . Im Anschluss daran werden die neuen Wirkstoffe mithilfe verschiedenster Methoden genau analysiert und in präklinischen pharmakologischen Studien untersucht. „Wir arbeiten hier sehr eng mit internationalen Kooperationspartnern aus Europa und den USA, zum Beispiel mit dem Scripps Research Institute, zusammen“, so Spetea. Die ersten Tests zeigten sehr gute Eigenschaften der so hergestellten Wirkstoffe in Bezug auf die Nebenwirkungen Sedierung und motorische Dysfunktion. „Derzeit sind wir dabei, die Nebenwirkungen Abhängigkeit und Atemdepression zu testen und erwarten uns auch hier ein sehr gutes Profil der Wirkstoffe“, ist Mariana Spetea überzeugt.
Wirkprinzip verstehen
Dieses gute Profil der neu entwickelten Substanzen stellte die Wissenschaftler auch vor die Frage nach ihrem Unterschied zu anderen opioiden Schmerzmitteln. „Wir haben uns gefragt, wo der funktionelle Unterschied liegt und herausgefunden, dass dieser in der multiplen Wirkungsweise liegt“, so Spetea. „Sehr vereinfacht erklärt, wirken gängige Opioide in zwei Richtungen: Sie binden an den Opioidrezeptor und vermitteln durch eine G-Proteinkopplung Analgesie, also die Ausschaltung des Schmerzes. Auf der anderen Seite kann die Aktivierung von Opioidrezeptoren auch die Kopplung an ein anderes Protein – beta-Arrestin – auslösen, das für die Nebenwirkungen verantwortlich ist“, verdeutlicht die Pharmakologin. Im Labor konnte die Wissenschaftlerin den Unterschied der 14-Methoxymetopon-Derivate zu gängigen Opioiden beweisen: Die neuen Opioide aktivieren zwar gleich gut das G-Protein, allerdings deutlich weniger das beta-Arrestin, was die geringeren Nebenwirkungen in den präklinischen Studien erklärt.
Weniger Toleranzentwicklung
Neben diesem Wirkprinzip der neuen Opioide gelang der Forschungsgruppe um Mariana Spetea auch erstmals ein vertiefter Einblick in das Phänomen der Rezeptor-Internalisierung. Die Internalisierung – also der Rückzug des Rezeptors von der Zelloberfläche ins Zellinnere – wird ausgelöst durch stimulierende Opioidliganden – in diesem Fall das Morphin – und führt dazu, dass sich die Rezeptor-Dichte auf der Zellmembran verringert und die abgezogenen Rezeptoren der Signalübertragung nicht mehr zur Verfügung stehen, was zu einer Toleranzentwicklung führen kann. „Es hat sich gezeigt, dass die von uns entwickelten Wirkstoffe nicht zur Internalisierung des Rezeptors führen, was ein weiterer wesentlicher Vorteil unserer Opioide ist“, zeigt sich Mariana Spetea begeistert. Gleichzeitig betont sie allerdings, dass der Weg zum marktfähigen Medikament noch weiterer Schritte bedarf. „Wir müssen noch einige Forschungsarbeit leisten, um die Vorteile der Wirkstoffe weiter zu verdeutlichen. Erst dann können wir Industriepartner finden, die für die Weiterentwicklung und Markteinführung unerlässlich sind.“
Zur Person
Mariana Spetea wurde in Bukarest, Rumänien geboren, wo sie auch Biochemie studierte. Nach Erhalt eines Stipendiums schrieb sie am Biological Research Centre Szeged in Ungarn ihre Dissertation an und promovierte 1998 in Biologie. Nach zwei Jahren als Post-Doc am Karolinska Institute in Stockholm kam Mariana Spetea im Jahr 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Institut für Pharmazie der Universität Innsbruck. 2010 habilitierte sich Mariana Spetea im Fach Pharmakologie. Nach Forschungsaufenthalten in Schweden, Ungarn und den USA leitet sie heute die Opioid-Forschungsgruppe an der Abteilung für Pharmazeutische Chemie des Instituts für Pharmazie.
Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).