In der Kälte ausgebremst
Helium minus wurde bereits 1939 massenspektrometrisch entdeckt. Diese negativ geladenen Atome leben nur wenige Mikrosekunden. 75 Jahre lang ging die Wissenschaft daher davon aus, dass die Anionen dieses Edelgases ein schneller, exotischer Ladungsträger sind und für chemische Prozesse nicht zur Verfügung stehen. Dass das Helium-Anion bei bestimmten Temperatur- und Druckverhältnissen „sehr wohl Chemie macht“, bewies Scheier nun erstmals.
Ultrakalter Exot im Rampenlicht
Im jüngsten Experiment erzeugte die Innsbrucker Arbeitsgruppe von Scheier im Teamwork mit ihrem britischen Kollegen, Prof. Andrew M. Ellis vom Department of Chemistry der University of Leicester in einer eigens entwickelten Apparatur negativ geladenes Helium bei minus 272,78 Grad Celsius in nanometergroßen Tröpfchen
aus superflüssigem Helium, also in Ruhe und ließ es mit Fullerenen - Molekülen aus 60 oder 70 Kohlenstoffatomen (C60, C70) - reagieren. Bei dieser Reaktion nur 0,37 Grad über dem absoluten Nullpunkt wurden die Fußballmoleküle in den Helium-Nanotröpfchen eingeschlossen.
Durch den Transfer beider Helium-Elektronen zu den Fullerenen entstanden Dianionen, also zweifach negativ geladenes C60 ((C60)n2-) und C70 ((C70)n2-). „Diesen Zweielektronentransfer kann man sich fast wie ein sogenanntes Cooper-Paar bei der Supraleitung vorstellen“, erklärt Scheier im Ausblick auf eine mögliche Anwendung dieser Grundlagenforschungsergebnisse. Cooper-Paare sind korrelierte Elektronen-Paare, die meist eine anti-parallele Ausrichtung ihres Drehimpulses (Spins) haben und sich widerstandsfrei bewegen können.
Dem Helium Anion geht in der Physik bisher ein exotischer Ruf voraus. Der Grund: Dieses Atom hat zwei schwach gebundene Elektronen, aber eine innere Energie von über 19 Elektronenvolt. Es verfügt daher über mehr Energie als jedes Radikal und kann damit außer Neon alle Elemente des Periodensystems ionisieren. Die Bedingungen dafür, dass es neuartige Reaktionen treiben kann, diese neue Vielfalt an Reaktionen auch untersucht werden kann, hat das Team rund um Scheier nun geschaffen. Übergeordnet eröffnen die Innsbrucker Forscher damit ein neues Feld in der Tieftemperaturphysik und -chemie.
(Gabriele Rampl)