Lebensqualität für die Zukunft
Das Hauptziel des Teams der Forschungs-Bildungs-Kooperation war es, gemeinsam mit Jugendlichen Lebensqualität zu erforschen. Die Idee zu diesem Forschungsprojekt mit dem Titel „Nord- und Südtiroler Jugendliche entwickeln Zukunftsvisionen zum Nachhaltigkeitsziel Lebensqualität“ stammt vom Projektleiter Dr. Lars Keller. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es ein Anliegen, dass Untersuchungen zur Lebensqualität die subjektiven Sichtweisen der Bewohnerinnen und Bewohner miteinbeziehen, wobei vor allem die Perspektive der Jugendlichen großer Aufmerksamkeit bedarf. Als Entscheidungsträger von morgen sind sie am längsten von den heutigen politischen Bestimmungen betroffen. Gefördert wurde dieses Projekt von der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, Abteilung Bildungsförderung, Universität und Forschung sowie dem Doktoratsstipendium aus der Nachwuchsförderung der Universität Innsbruck.
Jugendliche forschen grenzübergreifend
Über zwei Jahre arbeiteten etwa 90 Schülerinnen und Schüler des Meinhardinums in Stams sowie der Wirtschaftsfachoberschule in Sterzing, mit dem Institut für Geographie zusammen. Für das Forschungsteam stand die Arbeit und das Lernen mit und von Jugendlichen an erster Stelle. In Forschungsgruppen bearbeiteten die jungen Menschen die unterschiedlichsten Fragestellungen, die ihnen aus ihrer Perspektive für zukünftige Lebensqualität in Tirol besonders wichtig erschienen. Neben Umweltthemen haben sie viele Fragen der Alltagswelt, wie beispielsweise die tägliche Überwachung und Kontrolle durch Medien, die Mobilität in der Freizeit, die Zukunft unserer Bildung behandelt. „Uns war es wichtig, die Jugendlichen selbst forschen zu lassen und sie als Multiplikatoren einzusetzen“, betont Oberrauch. So wurden die von den Schülerinnen und Schülern selbst entworfenen Fragebögen zu künftigen Vorstellungen von Lebensqualität von etwa 1500 Jugendlichen aus Nord- und Südtirol ausgefüllt. Aufbauend auf diesen Ergebnissen konnten die jungen Forscherinnen und Forscher Zukunftsvisionen für nachhaltige Lebensqualität in Tirol formulieren. „Ihre Meinungen, Einstellungen und Wünsche sollten auch in der Politik berücksichtigt werden“, engagiert sich die Wissenschaftlerin. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema sei jedoch auch notwendig, damit die Jugendlichen ihre eigenen Vorstellungen von Lebensqualität kennen lernen und reflektieren.
Lebensqualität nimmt Gestalt an
Im Laufe des Projekts konnte Oberrauch Veränderungen der Einstellungen und Erwartungen der Jugendlichen ihrer zukünftigen Lebensqualität feststellen. „Zu Beginn des Projekts, wenn sie noch unvoreingenommen mit dem Thema in Berührung kommen merkt man, dass zum Beispiel Umweltfragen oder die Dimension Nachhaltigkeit noch eine geringe Rolle spielen“, erklärt die Stipendiatin. Die Befriedigung von materiellen und grundsätzlichen Bedürfnissen, wie etwa Gesundheit und Bildung, sei für die jungen Forscherinnen und Forscher anfänglich am wichtigsten. Erst im Lauf der Arbeit und der intensiven Auseinandersetzung werden auch Themen wie eine intakte Umwelt, das Landschaftsbild oder der Klimawandel mit Lebensqualität in Verbindung gebracht. Das Umweltbewusstsein der Jugendlichen zu stärken, ist ein großes Ziel der Wissenschaftlerin.
Von Didaktik zu Wissenschaft
„Während des Projekts hatte ich die Aufgabe immer alle Forschungsziele im Auge zu behalten und jetzt kann ich mich auf die Auswertung der Daten und die Dissertation konzentrieren“, erzählt Anna Oberrauch. Ihre wissenschaftliche Aufgabe besteht darin zu hinterfragen, inwiefern sich die Wert- und Lebensvorstellungen der Jugendlichen, angeregt durch das innovative Lernsetting, im Lauf des Projekts verändert haben. Da die Geographin auch Lehramt studierte, liegen ihr bei der Auswertung der Daten besonders die fachdidaktischen Fragestellungen am Herzen. Oberrauch beruft sich bei der Analyse auf die Lerntheorie des moderaten Konstruktivismus. Jene besagt, dass Lernen ein Prozess der individuellen Konstruktion ist, wobei die Lernenden Inhalte auf der Basis bereits vorhandener Vorstellungen individuell aufnehmen und verarbeiten. Diese aktiven Konstruktionsprozesse werden beispielsweise von den sozialen Kontexten und motivationalen Faktoren maßgeblich mitbeeinflusst. „Wenn ich als Lehrerin eine Klasse mit 20 Schülerinnen und Schülern vor mir habe, dann gibt es vor sowie nach der Unterrichtseinheit 20 unterschiedliche Bilder über die Inhalte in ihren Köpfen“, so Oberrauch. Lebensqualität ist ein sehr individuelles Thema, das jede und jeder für sich selbst erarbeiten und definieren muss. „Die Jugendlichen erwähnen häufig, dass sie sich nach dem Projekt verantwortlicher für sich, ihre Umwelt und die Zukunft fühlen“, freut die Wissenschaftlerin. Auf der wissenschaftlichen Ebene lässt sich dies mit Hilfe von Pre- und Posttests ermitteln, durch welche vor sowie nach dem Projekt die Lebensqualitäts-Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler erhoben werden. Aus den Vergleichen können Schlüsse gezogen werden, wie sich die Einstellungen der Jugendlichen im Lauf des Projekts verändert haben. Oberrauch erklärt, dass für die Auswertung der Ergebnisse die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt – eine zentrale Rolle spielen. Die Säule der „Umwelt“ gewinnt für die Schülerinnen und Schüler im Rahmen ihrer Lebensqualitäts-Vorstellungen an Bedeutung.
Für Anna Oberrauch ist es ein persönliches Ziel geworden, das Projekt LQ4U bestmöglich zu betreuen und die Daten für ihre Dissertation auszuwerten. Als Südtirolerin die schon lange in Innsbruck lebt hat sie direkten Bezug zum grenzübergreifenden Projekt und zur ländervergleichenden Analyse. Das Stipendium weiß die Wissenschaftlerin sehr zu schätzen, denn nur so wird es für sie möglich, ihre Dissertation, die im Rahmen dieses sehr zeit- und arbeitsintensiven Projekts entsteht, auch tatsächlich abschließen zu können. Für Oberrauch ist es wichtig die Jugendlichen in die Forschung miteinzubinden, denn „wir können Visionen bilden für Lebensqualität und wir können danach leben, aber wir müssen auch bedenken, dass wir späteren Generationen diese Qualität auch noch bieten möchten“.