Spiel mit der Vielfalt

Als Aspekte des leichten Bauens stehen unter anderem Biegen, Knicken und Falten im Mittelpunkt der Arbeit von Günther Filz am Institut für Gestaltung in der „unit koge.Konstruktion und Gestaltung“. Damit bewegt sich der Studiendekan der Fakultät für Architektur in einem bislang kaum erforschten Feld, das Potenzial hat, neue Impulse für die Architektur der Zukunft zu liefern.
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Zwischen Juni und September stand die „SerlesCurl“ nahr der Bergstation der Serlesbahnen in Mieders. Bei der Namenswahl ließen sich die Architekten von der Sage um den König Serles inspirieren und verstehen sie als „Locke des Königs“ (curl, engl. für Locke). Bild: Günther Filz

Das Phänomen, das der Forschungsarbeit von Günther Filz zu Grunde liegt und gemeinsam mit dem Masterstudierenden Stefan Kainzwaldner erkundet wird, kann wie folgt erklärt werden: Hält man ein Blatt Papier in den Händen, kippt es häufig nach hinten und formt ein charakteristische Knickkurve. Dieser „Knick“ nimmt dabei einen spezifischen Kurvenverlauf an, der konstruktiv und kinematisch genutzt werden kann, wie Filz erklärt. „Die gekrümmte Form, die die Fläche durch das ‚Nachhinten-Kippen’ einnimmt, stellt sich - wie der Kurvenverlaufs des Knicks auch - von selbst ein, sie ist selbstbildend. Man spricht hier von biegeaktiven Strukturen. Biegeaktiv bedeutet, dass auf ursprünglich ebene Elemente durch Biegung eine Art Spannung erzeugt wird, die aus einem flachen ein räumliches Gebilde entstehen lässt“. Die Art und Weise, wie sich der Knick bildet, basiert auf bekannten physikalischen Prinzipien. „Und gilt gleichermaßen für alle Materialien, die sich biegen lassen“, ergänzt Filz. Die Effekte, die biegeaktive Strukturen mit sich bringen, sind daher nicht nur im „Kleinen“ von Interesse, sondern könnten für die Architektur von großem Wert sein, ist Filz überzeugt: „Wir können durch gezieltes Einsetzen dieser Prinzipien mit wenig Aufwand und vergleichsweise kaum Material räumliche Gebilde schaffen, die schon von Natur aus optimiert sind.“
 

Modell
Minimale Einwirkung, maximale Auswirkung: Der charakteristische Knick.
Bild: Günther Filz

 

Kreative Versuche

Neben Computersimulationen testet das Team regelmäßig die Anwendbarkeit in kreativen Versuchsbauten. Allein im Jahr 2014 entstanden bisher fünf experimentelle Bauten. Dabei legt das Team, an dem auch die Studierenden Helmut Kopp, Matthias Delueg, Michael Huber, Oliver King und Thomas Klein beteiligt waren, großen Wert darauf, dass der jeweilige Versuchsbau auch für Menschen außerhalb der Universität sichtbar wird. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Skulptur „SerlesCurl“. Wanderern, die in diesem Sommer im Bereich der Bergstation der Serlesbahnen in Mieders (Stubaital) unterwegs waren, ist sie vermutlich nicht entgangen. Der Architektur-Student Stefan Kainzwaldner entwickelte in seiner Master-Arbeit gemeinsam mit dem „koge“-Team diesen Versuchsbau auf 1650 Metern Seehöhe. „In Kooperation mit dem Bergrestaurant Koppeneck, der Architekturwerkstatt E. Hager + K. Oberwalder, der Stubaier Kunstschmiede und dem Kieswerk Miederssetzten wir den am Beispiel des Blattes Papier geschilderten Versuch in größerem Maßstab in Aluminium um“, erklärt Filz. Als Ausgangsmaterial für die beiden Skulpturen dienten Aluminiumplatten in der Größe von 4x4 Metern mit nur 2mm Stärke. „Wir berechneten, an welcher Stelle die Biegekurve zu verlaufen hat, damit ein räumliches Gebilde entstehen kann“, erklärt Filz. „Anschließend machten wir uns das Prinzip der Wärmeausdehnung zu Nutze und führten entlang dieser Kurve nach altem Handwerkswissen Hitze zu“. Noch im liegenden Zustand begann sich die Platte aufzuwölben, das Biegen in die endgültige Form konnte mit sehr wenig Kraftaufwand erledigt werden. „Die Tatsache, dass es sich dabei um eine 16m2 große Platte handelt, die wir mit unseren Händen falten konnten, macht deutlich, wie praktikabel diese Art der Konstruktionen ist“, sagt Filz. „Im Prinzip haben wir nur 3 Punkte und die Position der Biegekurve vorgegeben, die übrigen Flächen stellten sich von selbst ein und ergaben ein stabiles, räumliches Gebilde. Interessant ist, dass sich die Flächen wieder völlig einebnen lassen, sobald die Spannung aus dem System genommen wird.“ Der Versuchsbau wurde in einer „Sandkiste“ verankert, um die enormen Windkräfte aufnehmen zu können. „Das hatte den schönen Nebeneffekt, dass sich Kinder im Schatten unseres wissenschaftlichen Experiments im Sand vergnügen konnten“, freut sich Günther Filz.

Formen suchen

Im traditionellen Verständnis von Architektur sehen sich Architekten als Formengeber, Günther Filz und sein Team verstehen sich als „Formensucher“. „Wie unsere Versuchsbauten zeigen, liegt unser Fokus darauf, uns an der großen Vielfalt natürlich entstehender Formen zu bedienen. Wir setzen somit nur Rahmenbedingungen und lassen die Räume sich selbst bilden“. Filz sieht in dieser Herangehensweise großes Potenzial für die Architektur. „Üblicherweise kümmern sich Architekten sehr stark um gestalterische Aspekte, weniger um die Frage nach der möglichen Konstruktion. Biegeaktive Strukturen lassen uns beide Bereiche, Gestaltung und Konstruktion, unter einen Hut bringen“. Für Filz ergeben sich daraus nicht nur ästhetische Vorteile. „Biegeaktive Strukturen ermöglichen die Entstehung stabiler Gebilde mit extrem wenig Material und sparen im Sinne nachhaltiger Bauweise viele Ressourcen“, betont der Architekt. „Wir freuen uns darauf, dazu einen Beitrag zu leisten und noch vieles zu entdecken“.

Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).