Vorgestellt: Chemische Reaktionen im Blick
Was im Reagenzglas der Chemiker nur schwer oder gar nicht zu sehen ist, beobachtet Martin Beyer in seinem Labor: einzelne chemische Reaktionen auf molekularer Ebene. Seine Untersuchungen führt er in Nanometer großen Wassertröpfchen durch, die aus rund 50 Wassermolekülen bestehen. Diese Tröpfchen lädt er mit einem Elektron auf und speichert sie im Ultrahochvakuum eines höchstauflösenden Massenspektrometers in einer elektromagnetischen Falle. „Wir können in den Nanotröpfchen isolierte Chemie betreiben und über mehrere Minuten einzelne Reaktionen sehr genau verfolgen“, sagt Martin Beyer, der seit Oktober 2013 Professor für Chemische Physik in Innsbruck ist. Für das als chemisch träge geltende Treibhausgas Kohlendioxid sucht er zum Beispiel nach Möglichkeiten, chemische Bindungen zu bilden oder zu brechen. „Im Nanotröpfchen kann ein Kohlendioxidmolekül ein Elektron aufnehmen. Dadurch bildet sich ein reaktives Anion, das sehr eigenwillige chemische Reaktionen eingeht“, erzählt Beyer. Vor kurzem konnte sein Team zeigen, dass das Radikalanion die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung von Monomeren angreift. „Was wir hier sehen, sind kleine Veränderungen, die chemisch große Folgen haben können.“
Auf molekularer Ebene
Ein anderes Feld, in dem Beyer arbeitet, ist die Mechanochemie, in der der Einfluss von mechanischen Kräfte auf chemische Reaktionen erforscht wird. „Wir spannen dazu einzelne Moleküle in ein Rasterkraftmikroskop und können die chemischen Vorgänge im Detail verfolgen“, ist der Physiker begeistert. „So lässt sich auf molekularer Ebene etwa ermitteln, welche mechanischen Kräfte notwendig sind, um eine chemische Bindung aufzubrechen oder um komplizierte chemische Reaktionen zu Beschleunigen oder Verlangsamen.“ Diese Messungen finden in Lösung und bei Zimmertemperatur statt und können deshalb gut mit Fragestellungen in der Anwendung verglichen werden. „Zum Beispiel liefert die Mechanochemie auf molekularer Ebene Erklärungen für Materialermüdungen und gibt gleichzeitig Hinweise, wie ein Material verbessert werden kann“, sagt Beyer.
Ideales Forschungsumfeld
Am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik fühlt sich Martin Beyer sehr wohl. „Es gibt viele Anknüpfungspunkte zu den anderen Forschungsgruppen“, sagt der aus Deutschland stammende Physiker. „Wir ergänzen uns sehr gut und können von einander lernen.“ So will Beyer in den nächsten Jahren zum Beispiel seine Forschungen zum Kohlendioxid weiter vorantreiben. Diese könnten relevant für die Atmosphärenforschung sein, die an der Universität Innsbruck von mehreren Forschungsgruppen betrieben wird.
Martin Beyer studierte Physik an der TU München und promovierte 1999 in Physikalischer Chemie. Nach einem Postdoc-Aufenthalt in Berkeley kehrte er 2000 an die TU München zurück. 2003 erhielt er den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis, Deutschlands höchste Auszeichnung für Nachwuchswissenschaftler. Nach der Habilitation 2004 wechselte er an die TU Berlin. 2007 nahm er den Ruf auf eine Professur für Physikalische Chemie an die Universität Kiel an. Seit Oktober 2013 ist er Professor an der Universität Innsbruck.