Waffen der Natur

Wenn Arten sich rasch an erhöhte Schwermetall-Belastungen anpassen oder Resistenzen gegen Pestizide ausbilden, spricht der Experte von mikroevolutivenProzessen. Reinhard Dallinger erklärt, mit welchen Strategien die Natur auf Umweltstress reagiert. In mehreren Projekten untersuchte er die genetischen Anpassungsprozesse beim Schlammröhrenwurm und dem Apfelwickler.
Dallinger untersuchte die genetischen Anpassungsprozesse des Obstschädlings Apfelwick …
Dallinger untersuchte die genetischen Anpassungsprozesse des Obstschädlings Apfelwickler. Foto: commons.wikimedia.org/Olaf Leilinger

Das Phänomen der Anpassung von Organismen an Schadstoffe ist schon lange bekannt, wissenschaftlich erfasst ist es seit den 1950er Jahren – eine Zeit, in der begonnen wurde, Landwirtschaft großflächig und im industriellen Maßstab zu betreiben. „Schon Anfang der 50er Jahre hat man die unangenehme Entdeckung gemacht, dass Populationen von Schadorganismen plötzlich gegen gewisse Schadstoffe resistent wurden. Dies führte zunächst zum Einsatz erhöhter Schadstoffmengen und in der Folge zur Einführung neuer Pestizidklassen“, erklärt der Zoologe Reinhard Dallinger. Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte untersuchte er das Phänomen der mikroevolutiven Anpassung innerhalb weniger Generationen am Beispiel des Schlammröhrenwurms und des Apfelwicklers.

Anpassungsdruck

„Im Rahmen eines groß angelegten FWF-Forschungsprojekts, bei dem wir Schlammröhrenwürmer – eine in fast allen heimischen Süßwasser-Systemen vorkommende Art – aus ganz Europa untersuchten, fiel uns auf, dass die Tiere aus den Flusssystemen in den ehemaligen Ostblockländern generell resistenter gegenüber dem toxischen Schwermetall Cadmium waren als Individuen aus westlichen Ländern, also beispielsweise der Donau oder dem Rhein“, so Dallinger. Die Wissenschaftler führten diese Tatsache auf eine Resistenzbildung zurück, die durch historisch bedingte höhere Schwermetallbelastungen in den osteuropäischen Flusssystemen befördert wurde. „Das war nur ein Anfangsbefund, den wir wissenschaftlich belegen wollten. Dazu haben wir die verschiedenen Populationen experimentell miteinander verglichen “, so Dallinger. Die Zoologen genotypisierten die Tiere und erstellten für eine große Zahl von Individuen einen genetischen Fingerabdruck. Dabei zeigte sich, dass die Verteilung der verschiedenen Genotypen regional und insbesondere zwischen ost- und westeuropäischen Flusssystemen unterschiedlich war. „Wir setzten die Tiere in der Folge verschiedenen Toxizitätstests aus, bei denen die Cadmium-Belastung beziehungsweise die Expositionszeit schrittweise erhöht wurden. Am Ende überlebten nur Vertreter weniger Genotypen – und zwar jener, die in den osteuropäischen Flusssystemen am häufigsten vorkamen“, erläutert Reinhard Dallinger. Bei einem späteren Abgleich längerer Genabschnitte der verschiedenen Genotypen stellten die Wissenschaftler so weitgehende genetische Unterschiede zwischen den einzelnen Subpopulationen fest, dass nicht mehr von einer homogenen Art gesprochen werden kann. „Unter dem Druck der höheren Schadstoffbelastung in Kombination mit anderen Stressfaktoren ging die Aufspaltung in Subpopulationen wahrscheinlich sehr rasch vor sich und vollzieht sich offenbar vor unseren Augen. Diese Aufsplitterung geht beim Schlammröhrenwurm bereits so weit, dass die einzelnen Subpopulationen schon als unterschiedliche Arten bezeichnet werden können“, resümiert Reinhard Dallinger. Dieser Prozess der Entstehung kryptischer Arten – Arten, die sich mit freiem Auge nicht, genetisch und in Hinblick auf physiologische Merkmale aber sehr wohl unterscheiden – könnte laut dem Wissenschaftler einer der Mechanismen einer beginnenden Artentstehung sein.

Genetische Vielfalt als Strategie

Aufgrund seiner Expertise im Bereich der mikroevolutiven Anpassung wandte sich auch die Südtiroler Landesregierung an den Universtitätsprofessor für Ökotoxikologie. „Die Südtiroler Apfelbauern erleiden durch den Schädling Apfelwickler immer wieder hohe Ernteausfälle, da sich die Raupen des Schmetterlings in das Fruchtfleisch bohren und die Frucht von innen auffressen. „In einem Kooperationsprojekt mit dem Land- und Forstwirtschaftlichen Versuchszentrum Laimburg, an dem auch das Institut für Gerichtliche Medizin und die Sektion für genetische Epidemiologie der Medizinischen Universität Innsbruck beteiligt waren, wollten wir die Resistenzbildung bei diesem Schmetterling genauer untersuchen“, so Dallinger.

In der Landwirtschaft wird seit langem versucht, den Apfelwickler je nach Populationsdichte mit biologischen oder chemischen Mitteln zu bekämpfen. Nachdem dazu anfangs hochgiftige Substanzen zum Einsatz kamen, wird heute unter anderem das scheinbar weniger gefährliche Diflubenzuron eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein Pestizid, das das Enzym Chitin-Synthase hemmt. Dieses Enzym ist für die Polymerisation von Chitin, das die Apfelwickler-Larven für die Ausbildung ihrer Mundwerkzeuge benötigen, verantwortlich. Wird die Chitinase gehemmt, bleiben diese zu weich und die Larven können das Ei nicht durchbrechen und sterben darin. Allerdings treten in Südtirol immer wieder völlig unvorhersehbar und lokal unterschiedlich Resistenzen gegen dieses Pestizid auf. „Im Rahmen des Forschungsprojekts wollten wir untersuchen, ob die unterschiedlichen Resistenzen – ähnlich wie beim Schlammröhrenwurm – an bestimmte, wenige Genotypen gebunden und somit vorhersagbar sind. Das Ergebnis war allerdings ganz anders“, beschreibt Dallinger. Der Zoologe fand heraus, dass geographisch kleinräumige Unterschiede und die Eingriffe des Menschen in der Obstbaukultur einen großen Einfluss auf das Phänomen der Resistenzbildung beim Apfelwickler ausüben: Durch die Kleinräumigkeit des landwirtschaftlichen Anbaus in Südtirol, wo die Apfelkulturen auf verschiedenen Meereshöhen in oftmals kleineren, voneinander getrennten Grundstücken liegen, hat sich der Apfelwickler in viele verschiedene, lokale Subpopulationen aufgespalten. Durch den Druck der Pestizidanwendung in Kombination mit weiteren Stressfaktoren, wobei auch durch den Klimawandel bedingte Veränderungen mit hinein spielen, bilden sich offenbar immer wieder resistente Genotypen heraus. „Hier ist die Resistenzbildung allerdings – anders als beim Schlammröhrenwurm – ein kleinräumiges, lokales Phänomen. Dank der zahlreichen verschiedenen, örtlich isolierten Subpopulationen verfügt der Apfelwickler über einen sehr breiten und variablen Genpool, auf den bei der Ausbildung resistenter Genotypen zurückgegriffen werden kann. Aus diesem Grund sind die Resistenzbildungen auch sehr schwer vorherzusagen“, erklärt Reinhard Dallinger, der glaubt, dass diese Mechanismen der Natur prinzipiell schwer kontrollierbar sind, solange Landwirtschaft global in industriellem Maßstab betrieben wird. „Da ich nicht sicher bin, ob bei einer Weltbevölkerung von rund sieben Milliarden Menschen eine andere Form der Landwirtschaft je möglich sein wird, bleibt die Landwirtschaft bis auf Weiteres auf den Einsatz von Pestiziden angewiesen, wobei aufgrund der Resistenzgefahr immer wieder ein Wechsel auf neue Pestizide und Pestizidklassen notwendig sein wird.“

Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).