Weltkulturerbe durch Klimawandel bedroht
„Die physikalischen Prozesse, die den weltweiten Anstieg der Weltmeere erzeugen, sind langsam aber werden noch sehr lange anhalten“, sagt der Klimaforscher Ben Marzeion vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Innsbruck. „Davon wird auch das Weltkulturerbe betroffen sein.“ Für einen Zeitraum von 2000 Jahren haben die Wissenschaftler unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg am Computer modelliert und untersucht, in welchen Regionen UNESCO Weltkulturstätten in den kommenden Jahrhunderten gefährdet sind. Standen bisher vor allem die vom Klimawandel verursachten Veränderungen der Natur und die Folgen für Sektoren wie die Landwirtschaft im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, so haben Marzeion und Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters erstmals den Fokus auf das kulturelle Erbe der Erde gelegt.
136 von 700 gelisteten Kulturdenkmälern sind langfristig betroffen
Insgesamt umfasst die UNESCO-Liste des Welterbes über 700 Kulturdenkmäler. Nimmt die globale Durchschnittstemperatur auf der Erde um ein Grad Celsius zu, sind weltweit bereits 40 Kulturstätten unmittelbar vom Wasser bedroht, zeigt die Studie. Steigt die Temperatur um drei Grad, dann ist rund ein Fünftel des Weltkulturerbes langfristig gefährdet. „136 Standorte würden dann auf lange Sicht unter dem Meeresspiegel liegen“, präzisiert Ben Marzeion. „Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass Gezeiten und Sturmfluten schon sehr viel früher Folgen für diese Kulturstätten haben könnten“. Zu den betroffenen Weltkulturerben gehören etwa historische Stadtzentren in Brügge, Neapel, Istanbul, St. Petersburg oder Stätten in Indien oder China.
Um zuverlässige Prognosen erstellen zu können, berücksichtigen die Klimaforscher auch den regional unterschiedlichen Anstieg der Meere. „Wenn große Eismassen abschmelzen und das Wasser sich über die Meere verteilt, beeinflusst das auch das Gravitationsfeld der Erde“, sagt Anders Levermann. „Regional kann der Meeresspiegelanstieg deshalb sehr unterschiedlich ausfallen“. Die Wissenschaftler haben den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels für alle Weltregionen berechnet und die Prognosen mit den heutigen küstennahen Siedlungsgebieten und den Standorten des Weltkulturerbes verglichen. „Unsere Analyse zeigt, wie ernstzunehmend die langfristigen Folgen für unser kulturelles Erbe sind, wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen“, sagt Anders Levermann. „Die globale Durchschnittstemperatur hat sich bereits um 0,8 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit erwärmt. Steigen unsere Treibhausgasemissionen weiter an wie bisher, müssen wir bis zum Ende des Jahrhunderts mit einer globalen Erwärmung um bis zu fünf Grad rechnen“.
Besiedelte Gebiete werden zu Ozeanen
Neben historischen Kulturdenkmälern wären damit auch die heutigen Siedlungsgebiete von Millionen von Menschen an den Küsten betroffen. Bei einer globalen Erwärmung um drei Grad könnten bereits bis zu zwölf Länder der Welt mehr als die Hälfte ihrer derzeitigen Landfläche, rund 30 Länder ein Zehntel ihrer Fläche verlieren. „Davon sind besonders Inselstaaten in Pazifik und Karibik betroffen, aber auch die Malediven und die Seychellen“, sagt Anders Levermann. „Ein Großteil der Menschen wird diese Inseln wohl langfristig verlassen müssen, und damit könnte auch ein Großteil ihrer Kultur über kurz oder lang verloren gehen“, ergänzt Ben Marzeion. Sieben Prozent der heutigen Weltbevölkerung lebt in Regionen, die bei einer globalen Temperaturanstieg um drei Grad ohne entsprechende Gegenmaßnahmen letztendlich unter dem Meeresspiegel liegen werden. „Würde dieser Meeresspiegelanstieg heute passieren, wären mehr als 600 Millionen Menschen betroffen und müssten sich eine neue Heimat suchen“, betont Marzeion.
Vor allem in Südostasien, wo viele Menschen an den Küsten leben, wird der Meeresspiegelanstieg sich besonders stark auswirken. Aber auch die Vereinigten Staaten, etwa der Bundesstaat Florida, gehören zu den betroffenen Gebieten. „Diese langfristigen und gewaltigen Veränderungen an den Küsten werden auch das kulturelle Gefüge entscheidend verändern“, sagt Marzeion. „Wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen, werden die Archäologen der Zukunft einen großen Teil unseres Kulturerbes in den Meeren suchen müssen“.