Wissenschaftliche Puzzlespiele
Dr. Florian Steiner von der Forschungsgruppe für Molekulare Ökologie am Institut für Ökologie der Uni Innsbruck untersucht in einem auf sechs Jahre angelegten Forschungsprojekt, wie Fliegen durch evolutive Anpassung der Gipfelfalle entgehen könnten. „Die prognostizierte Erwärmung von bis zu sechs Grad Celsius bis 2100 führt dazu, dass sich die Lebensräume in den Alpen nach oben verlagern – ab einer gewissen Höhe ist das allerdings nicht mehr möglich, was für hochalpine Arten fatal wäre“, beschreibt Steiner die Ausgangslage für sein Projekt. Mithilfe von Klimaschränken will er die gemäß dem Schlimmstfallszenario innerhalb von zehn Jahren vorhergesagte Erwärmung und deren Auswirkung auf eine alpine Art in drei Jahren im Labor simulieren. „Als Modellorganismus dient uns dafür eine Taufliegenart, die sich auf das Klima in 2000 Metern Höhe spezialisiert hat. Dadurch, dass ein Generationswechsel bei dieser Art im Labor nur rund zwei Monate, am Berg hingegen ein Jahr dauert, wäre eine evolutive Anpassung an die Erwärmung quasi im Zeitraffer nachvollziehbar“, so der Ökologe. Um die möglichen Veränderungen im Genom der Taufliegenart zu entdecken, greift er dabei auf neueste bioinformatische Methoden zurück. Auch Univ.-Prof. Dr. Birgit Schlick-Steiner, die Leiterin der Forschungsgruppe am Institut für Ökologie, arbeitet mit diesen Verfahren: Sie untersucht eine heimische Ameisenart, bei der ein außergewöhnliches Kooperationsverhalten beobachtet wurde. „Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob sich die Ameisen, die auch nestübergreifend kooperieren, genetisch von denen unterscheiden, die das nicht tun“, so die Ökologin. „Neueste Sequenziermethoden – das sogenannte Next-Generation-Sequencing – ermöglichen uns erst, diese Forschungsfragen zu bearbeiten, da wir dadurch in relativ kurzer Zeit kostengünstig grosse Teile des Genoms der Tiere sequenzieren können“, zeigt sich Florian Steiner begeistert.
Technischer Quantensprung
Arbeitete man vor 20 Jahren noch ausschließlich mit einer Methode – dem sogenannten Sanger-Verfahren –, die etwa 85.000 DNA-Bausteine in einem Lauf identifizierte, produziert das neueste Verfahren mit dem Sequenzier-Gerät HiSeq2500 600 Milliarden Bausteine pro Lauf. „Die vollständige Sequenzierung des ersten menschlichen Genoms hat mithilfe des Sanger-Verfahrens mehr als zehn Jahre gedauert und drei Milliarden Dollar gekostet – mithilfe des neuen Verfahrens kostet es rund 3000 Dollar und dauert etwas länger als zwei Wochen“, verdeutlicht Dr. Wolfgang Arthofer, ebenfalls Mitglied der Forschungsgruppe für Molekulare Ökologie, den enormen technischen Fortschritt der letzten zwanzig Jahre. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem bewährten Sanger-Verfahren und den Next-Generation-Sequencing - Methoden ist die Länge der gewonnenen Daten. „Beim Sanger-Verfahren erhält man pro Sequenz 1000 zusammenhängende Basenpaare der DNA und kann sich so Stück für Stück vorarbeiten. Beim HiSeq2500 sind die einzelnen DNA-Sequenzen hingegen maximal 150 Basenpaare lang – dafür aber bekommt man gleich vier Milliarden davon“, beschreibt Arthofer. „Durch die vergleichbar kürzeren Reads – so nennen wir die Ergebnisse – weiß man oft nicht genau, an welcher Stelle des Genoms man sich befindet und die Auswertung gleicht einem riesigen Puzzle mit vier Milliarden Teilen.“ Die Auswertung dieses Puzzles gestaltet sich umso schwieriger, wenn ein Genom de novo – das heißt ohne Vorlage – sequenziert wird. „Da wir meist mit molekularbiologisch noch unerforschten Arten arbeiten, können wir unsere Ergebnisse selten mit Vorlagen aus entsprechenden Datenbanken abgleichen“, verdeutlicht Birgit Schlick-Steiner das Problem. Oft hilft eine Methodenkombination den Ökologen hier weiter. „Eine weitere Möglichkeit, die uns bei Problemen dieser Art weiterhilft, ist, eine Brücke zu bauen: Wir nehmen größere Stücke der DNA und sequenzieren 100 Basenpaare von beiden Seiten – dann wissen wir zwar immer noch nicht genau, was dazwischen liegt, haben aber Anhaltspunkte an beiden Seiten“, so Arthofer. Das Lösen des Puzzles erfolgt letztlich mit hochkomplexen Textverarbeitungs-Algorithmen, weswegen auch bioinformatisches Wissen und eine entsprechende Infrastruktur nötig sind. „Wir haben uns in unserer Arbeitsgruppe selbst in diesen Bereich eingearbeitet, freuen uns aber sehr, dass uns ab März 2014 ein Bioinformatiker unterstützen wird“, so Birgit Schlick-Steiner, die dabei auch einen großen Vorteil für die Studierenden sieht. „Bioinformatisches Wissen wird für Biologen immer wichtiger und eröffnet auch große Chancen am Arbeitsmarkt. Unsere Studierenden bekommen hier Einblick in diesen Bereich, einige können sogar an den Projekten mitarbeiten“, so die Ökologin. „Neben dieser personellen Bereicherung bietet uns die Universität Innsbruck auch im Bereich der Infrastruktur große Vorteile. So arbeiten wir beispielsweise auch mit dem High-Performance-Rechner der Universität und auf Initiative der Universitätsleitung konnten wir uns am Vienna Science Cluster 3 beteiligen, wo wir künftig 32 Prozessorkerne nutzen werden“, so Schlick-Steiner.
Spezialisierte Anbieter
Die Sequenzierung an sich passiert aber nicht an der Universität. „Geräte wie der HiSeq2500 sind sehr teuer und schon nach zwei Jahren technisch wieder völlig überholt, sodass sich eine Anschaffung für eine einzelne Universität nicht lohnen würde. Um Anschaffungskosten, die Kosten für die Einschulung der Techniker und die Wartungskosten einigermaßen zu amortisieren, ist es nötig, dass diese Geräte 24 Stunden in Betrieb sind“, beschreibt Wolfgang Arthofer. Aus diesem Grund haben sich Firmen – der Marktführer ist übrigens in China – darauf spezialisiert, Next- Generation-Sequencing anzubieten. „Wir präparieren also hier im Labor unsere Probe und schicken diese an eine entsprechende Firma, von der wir dann die Daten erhalten“, beschreibt Florian Steiner. „Das Verhältnis von Labor- zu Computerarbeit hat sich damit deutlich verändert. Für die Präparation der Probe brauchen wir circa zwei Tage im Labor, die Auswertung am Computer kann dann schon ein Jahr dauern.“ Auch wenn sich die Laborzeit stark verkürzt hat, sind die Anforderungen an präzises und sauberes Arbeiten stark gestiegen. „Ein Problem, das beim Sanger-Verfahren eigentlich nur eine kleine bis gar keine Rolle spielt, ist die Kontamination der Proben“, beschreibt Birgit Schlick-Steiner. „Da wir bei dieser Sequenziermethode anders als beim Sanger-Verfahren ‚rohes’ DNA-Material auf die Platten geben, wird alles sequenziert, was in der Probe ist, zum Beispiel auch unsere eigene DNA, wenn wir nicht sauber gearbeitet haben.“ Aber auch wenn die neuen Methoden neue Probleme mit sich bringen, sind die Ökologen überzeugt, dass die Vorteile klar überwiegen. „Wir sind mitten in einer großen Umbruchphase, die viele Chancen, aber auch Gefahren birgt. Wenn man sich dieser Gefahren bewusst ist und nicht auf das organismische Wissen vergisst – ohne das bestimmte Fragen trotz riesiger Datenmengen unbeantwortet bleiben – können diese Methoden unsere Wissenschaft enorm bereichern“, ist Birgit Schlick-Steiner überzeugt. Für die Antworten auf die Fragen im Fliegen- und Ameisenprojekt sind sie bereits unverzichtbar.
Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).