Eine Kamera als Sehhilfe
Kopfverletzungen sind eine sehr häufige Form der Verletzung bei blinden oder sehbeeinträchtigten Menschen – das belegt unter anderem eine Studie, die von Wissenschaftlern der University of California, Santa Cruz durchgeführt wurde. Fast 90 Prozent von insgesamt 300 befragten Menschen mit Sehbeeinträchtigung berichten darin von Kopfverletzungen. 18 Prozent jener Befragten, die überhaupt nicht sehen können, verletzten sich sogar mehrmals im Monat am Kopf. Der Informatiker Sebastian Stabinger hat nun eine Methode entwickelt, die viele dieser Unfälle verhindern könnte: Mittels einer am Kopf montierten Kamera können Betroffene gewarnt werden, wenn ein überhängender Gegenstand zu nahe kommt. „Blindenstöcke helfen bei Hürden etwa bis Hüfthöhe gut. Überhängende Hindernisse, zum Beispiel Äste oder bestimmte Schilder in Städten, sind so aber praktisch nicht erkennbar“, erklärt er.
Richtungserkennung
Im Rahmen seiner Master-Arbeit hat Sebastian Stabinger, Mitglied der Forschungsgruppe „Intelligente und Interaktive Systeme“ am Institut für Informatik, an einem einfachen System zur Erkennung von Hindernissen gearbeitet. Angestoßen wurde die Forschung von einer blinden Person, die Prof. Justus Piater, den Leiter der Forschungsgruppe, auf dieses Problem aufmerksam gemacht hat. „Üblicherweise benötigt man für dreidimensionale Bilder zwei Kameras“, erklärt Sebastian Stabinger. Um das System möglichst einfach zu halten, hat der Informatiker Software entworfen, die mit einer einzelnen Kamera funktioniert und die 3D-Informationen aus mehreren hintereinander aufgenommener Bilder bzw. einem Video errechnet. „Ähnliches wird in der Robotik gemacht, mit einem großen Vorteil für Roboter: Die bewegen sich meist auf Rädern, die Bewegung ist sehr gleichmäßig. Viele Menschen wissen gar nicht, wie unkoordiniert und verwackelt Videos aussehen, wenn sie von einer am Kopf montierten Kamera gemacht werden.“ Im Gegensatz zur Robotern hält man den Kopf auch nicht immer genau in die Richtung, in die man sich bewegt.
Solche Probleme wie Unterschiede zwischen der Blickrichtung und der Gehrichtung müssen durch mathematische Modelle gelöst werden. Um den sogenannten „Focus of Expansion“, den Punkt, auf den sich eine Person zubewegt, zuverlässig zu erkennen, verfolgt Sebastian Stabinger einen bislang neuen Ansatz: „Um den Focus of Expansion zu finden, wende ich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung an. Für jeden Sekundenbruchteil im Video misst das Programm, wo dieser Fokus mit welcher Wahrscheinlichkeit ist – der Durchschnitt dieser Wahrscheinlichkeiten kommt dem tatsächlichen Focus of Expansion und damit der Bewegungsrichtung sehr nahe.“ Durch die Vielzahl an einzelnen Datenpunkten – je länger das Video bzw. der Bewegungsablauf, desto mehr – können wenig hilfreiche Messungen auch leichter ausgeschieden werden; etwa, wenn das Programm sehr viele unterschiedliche Expansions-Punkte für einen einzelnen Frame erfasst, die einander widersprechen.
Umsetzung in der Praxis
Das Programm analysiert außerdem das Bild und erkennt Hindernisse. „Der Gedanke ist, dass der Träger der Kamera gewarnt wird, wenn ein Hindernis zu nahe kommt, etwa durch Vibration“, erklärt Sebastian Stabinger. Um die Funktionsfähigkeit zu testen, hat der Informatiker eine Smartphone-App programmiert, die solche Warnungen ausgeben kann: „Die Smartphone-Kamera nimmt Live-Bilder auf und schickt sie an einen leistungsfähigeren Computer, der die Berechnungen vornimmt – die Rechenkapazität des Smartphones selbst reicht dafür leider nicht aus. Aber das System funktioniert, das Handy liefert mit der App auch live eine Warnung.“ Mit der Präsentation seines Master-Projekts hat Sebastian Stabinger beim inDay Students des Instituts für Informatik im November 2014 den ersten Platz bei Studierendenprojekten gewonnen.
Sebastian Stabinger zu Gast in „uni konkret“, der Radiosendung der Uni Innsbruck: