Nicht ohne mein Rad

Das Fahrrad ist längst mehr als ein reines Fortbewegungsmittel. In den letzten Jahren entwickelte es sich zu einem gefragten Lifestyle-Produkt und neuenStatussymbol einer jungen Generation. Der Wirtschaftswissenschaftler Philipp Wegerer untersucht die Folgen des Trends zum Rad unter anderem in Tirol.
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Rad als Kultobjekt: Die Statussymbole junger Menschen sind im Wandel begriffen.

Jahrzehntelang galt das Auto als Statussymbol schlechthin, es stand für Freiheit, Fortschritt, Wohlstand und Unabhängigkeit. Die Marke und das Modell waren Ausdruck für den persönlichen Geschmack, Fahrstil und Lebenseinstellung. Für Philipp Wegerer vom Bereich für Marketing und Branding am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus steht das Auto für noch mehr: „Das Auto könnte man auch als eine Form von Ideologie betrachten. Die Organisation des öffentliche Raumes, die Trennung von Wohnen und Arbeiten, aber auch die Lebensform in Einfamilienhäusern im Umland stehen beispielhaft dafür, wie wir unser Leben untrennbar mit dem Automobil verbunden haben.“ Dass das Auto diese Rolle zusehends einbüßt, davon ist Wegerer überzeugt: „Langsam erkennen wir, dass das System Automobilität an seine Grenzen stößt. Und je weniger Menschen ein Auto besitzen, desto weniger ist die Allgemeinheit bereit seine ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kosten zu tragen.“ Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Philipp Wegerer in seiner Forschungsarbeit mit Konsum als sozialem Phänomen. „Ich betrachte Konsum im Kontext der Kultur“, sagt Wegerer. „Der funktionale Nutzen von Produkten tritt immer mehr in den Hintergrund. Wir konsumieren symbolische Werte, die eher von sozialen Gruppen und nicht von Marken erzeugt werden.“ Gerade im städtischen Umfeld sind Statussymbole einem großen Wandel unterworfen. Viele Menschen definieren sich zunehmend über Konsumpraktiken, wie etwa eine vegane Ernährung oder einem zum Lebensstil erhobenen Hobby wie Snowboarden und Schifahren. Seit vielen Jahren selbst überzeugter Fahrradfahrer sieht der Wissenschaftler im Rad ein Fortbewegungsmittel, an dem man diesen Bedeutungswandel gut ablesen kann: „Es waren die Fahrradkuriere in New York, die in den 90er Jahren den Trend ins Rollen brachten, an alten Rennrädern herumzubasteln“, erzählt Wegerer. Das Fahrrad verlor sein verstaubtes Image und wurde zur Verkörperung des Lebensstils einer jungen Generation. Die große Bedeutung der individuellen Mobilität vor Augen rückte das Rad und seine Benutzer immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses des Jungforschers.

Hipster

Sie sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, vorwiegend männlich, leben in großen Städten, haben einen akademischen Hintergrund und arbeiten in Kreativberufen. Diese etwas spöttische und klischeehafte Beschreibung steht sinnbildlich für die Vertreter jener Subkultur, die unter dem Namen „Hipster“ in vielen Diskursen der letzten Zeit immer präsenter wurde. Oftmals kommen noch optische Zuschreibungen wie das Tragen eines Vollbarts, von „Nerd-Brillen“ oder einem Karohemd dazu. Doch für Wegerer sind diese Beschreibungen zu kurz gegriffen: „Der Hipster ist so interessant, weil er eine sehr komplexe Jugendkultur ist, die sich wegen ihrem Hang zur Ironie, ihrer Heterogenität und dem Fehlen einer fundamentalen Gesellschaftskritik, wie etwa bei den Hippies oder den Punks, für viele Beobachter schwer greifen lässt.“ Zentrale Kennzeichen für den Hipster sind laut Wegerer die Ästhetisierung von Alltagsobjekten und ein Hang zu Objekten aus der Vergangenheit. „Neben Plattenspielern, analogen Kameras und Bildern in kitschigen Goldrahmen haben die Hipster alte, oft selbst restaurierte Rennräder der 70er und 80er für sich entdeckt.“ Diese Stilisierung des Rades zum Kultobjekt eröffnet einerseits neues „Klientel“ sowohl im niedrig- als auch im hochpreisigen Segment. Die Verschiebung von Werten, die für diese immer größer werdende Subkultur prägend ist, zeigt sich aber auch in einer Zunahme von Radfahrern auf der Straße. „Das Rad als Verkehrsmittel steigt in allen europäischen Städten massiv an. Natürlich kann diese Entwicklung nicht nur auf die Subkultur der Hipster zurückgeführt werden. Dass das Rad aber nun Teil des modernen Lifestyles einer aktuellen Jugendkultur ist, ist schon bemerkenswert, denn diese Rolle hatte es bisher noch nie.“ Mit diesem Befund rückte für Philipp Wegerer eine Frage immer mehr in den Mittelpunkt: Wie verändern die zahlreichen „Radler“ den urbanen Raum? „Raum ist eine spannende Untersuchungskategorie, die wir in der Sozialwissenschaft lange wenig beachtet haben. Raum ist nicht so statisch und leer, Raum ist ein Produkt der sozialen Verhältnisse und verändert sich mit seiner Nutzung.“

Raumkonzepte

Die immer größer werdende Zahl von Rädern im Straßenverkehr bringt für die Gestaltung des öffentlichen Raumes viele Herausforderungen mit sich. „Um den geänderten Bedürfnissen in der Mobilität gerecht zu werden, sind Städteplaner gefordert, die Besonderheiten in der Fortbewegung mit dem Rad zu berücksichtigen“, so der Jungforscher. „Ich glaube, dass wir am Beginn einer großen Umwälzung stehen. Unsere Städteplaner und Enscheidungsträger sind gefordert umzudenken, denn das Rad entzieht sich vielen traditionellen Lenkungsmaßnahmen.“ Wie sich diese Veränderungen in der Zusammensetzung der Verkehrsteilnehmer auswirken, untersucht Wegerer im Rahmen seiner Doktorarbeit am Beispiel mehrerer europäischer Städte wie etwa Barcelona oder Berlin. Besonders interessiert den Innsbrucker Wissenschaftler aber die Entwicklung in seinem unmittelbareren Umfeld. „In keiner anderen Landeshauptstadt legen Menschen mehr Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt als Innsbruck, Tendenz steigend. An vielen Stellen werden die Bedürfnisse der Radfahrer in der Gestaltung von Straßen, Abstellplätzen oder Radwegen bereits einkalkuliert. Das Konfliktpotenzial ist aber dennoch immer noch hoch und ‚Regelverstöße’ stehen an der Tagesordnung. Für mich wird es spannend, wenn Regeln gebrochen oder Raum kreativ genutzt wird”. Wegerer möchte mit seinen Forschungsergebnissen zu einem besseren Verständnis der besonderen Bedürfnisse von Radfahrern in Innsbruck beitragen und aktiv an der Gestaltung der Stadt Innsbruck mitarbeiten. Denn der Nachwuchswissenschaftler ist sich sicher: „Das Rad wird die Mobilität der Zukunft prägen.“

Zur Illustration seiner Forschungsergebnisse erstellte Philipp Wegerer einen kurzen Film, der Innsbruck aus radfahrender Perspektive einfängt: https://vimeo.com/137824462

 

Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).