Zwei Innsbrucker Slawistinnen feiern ihren 60. Geburtstag

Die beiden Innsbrucker Slawistinnen Prof. Ingeborg Ohnheiser und Prof. Christine Engel feiern heuer ihren 60. Geburtstag. Ihre MitarbeiterInnen haben dieses Ereignis zum Anlass genommen, am 05.10.2006 einen Festakt in der Aula der Universität auszurichten, bei dem die Jubiläumsschrift „Zeit–Ort–Erinnerung“ präsentiert und überreicht wird.
v.l. Prof. Ingeborg Ohnheiser und Prof. Christine Engel
v.l. Prof. Ingeborg Ohnheiser und Prof. Christine Engel

Beide Jubilarinnen hatten und haben an der Entwicklung der Innsbrucker Slawistik – Ingeborg Ohnheiser als Sprachwissen­schaftlerin, Christine Engel als Literatur- und Kultur­wissenschaftlerin – einen wesentlichen Anteil.

 

Prof. Ingeborg Ohnheiser

Ingeborg Ohnheiser nennt im Band „35 Jahre Slawistik an der LFU Innsbruck (1970–2005)“ die Slawistik ein Fach mit bewegter Geschichte und aktuellen Aufgaben. Ein wesentliches Anliegen ist Prof. Ohnheiser die Mittlerfunktion der Slawistik in den nichtslawischen Ländern, wozu sie selber mit ihren Publikationen vor allem im Bereich der Wortbildung, Phraseologie, Lexikologie und Stilistik einen großen Beitrag leistet. Dabei geht es Ohnheiser stets auch um die gegenseitige Wahrnehmung von Konvergenzen und Divergenzen der in den slawischen Sprachen und Kulturen ablaufenden Prozesse und aktuellen Entwicklungs­tendenzen. Die Geschichte der slawischen Sprachen ist nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre einer der Schwerpunkte von Prof. Ohnheiser, um den Studierenden Antworten auf Fragen geben zu können, die Probleme der Sprachkultur, der Sprachpolitik und des Sprachwandels betreffen. Die profunde Kenntnis mehrerer slawischer Sprachen erlaubt es Prof. Ohnheiser, den Studierenden Ähnlichkeiten, Unterschiede und Besonder­heiten der Slavia näher zu bringen – sei es in Vorlesungen, anregenden Seminaren zur diachronen und synchronen Sprachwissenschaft, in rezeptiven Lehrwerken, EuroComSlav-Kursen oder in zahlreichen interessanten Aufsätzen, die bei in- und ausländischen Slawist/inn/en großes Interesse hervorrufen.

Die Beibehaltung einer gewissen Breite des Fachs, die eine übernationale und kontrastive Sicht verlangt, sollte nach Meinung von Ingeborg Ohnheiser charakteristisch für die österreichische Slawistik bleiben. Angesichts der veränderten Situation in Europa und in den slawischen Sprachen sei diese Einstellung in der Slawistikausbildung heutzutage unerlässlich. Eine Trennung des Fachs in eine Beschreibung von Einzelsprachen und eine Trennung von Sprach- und Literaturwissenschaft wird an der Innsbrucker Slawistik deswegen auch vermieden. Prof. Ohnheiser leistet dazu auch als Projektleiterin und Herausgeberin von Monografien und Sammelbänden mit Partneruniversitäten der LFU einen wesentlichen Beitrag. So ist 2001 der Band Intermedialität – Intermedialność in Zusammenarbeit mit der Universität Lublin erschienen; 2003 wurden im Band Komparacja systemów i funkcjonowania współczesnych języków słowiańskich. Słowotwórstwo/Nominacja [Wortbildung/Nomination], erschienen in Opole, aktuelle Tendenzen wie Internationalisierung, Nationalisierung und pragmatisch-stilistische Wandlungen in mehreren slawischen Sprachen untersucht.

Ingeborg Ohnheiser ist Mitglied der Kommission für slawische Wortbildung beim Internationalen Slawistenkomitee und war von 1996–1999 Vorsitzende des Österreichischen Slawistenverbandes. Auf ihren Vorsitz geht die Erarbeitung einer Dokumentation zur österreichischen Slawistik zurück, die als CD-ROM publiziert wurde.

 

Prof. Christine Engel

Christine Engel sieht Interkulturalität als Herausforderung für Slawist/inn/en an. Der am Institut gepflegte Schwerpunkt „Medien und Kommunikation“ findet also nicht nur in der Sprach-, sondern auch in der Literatur- und Kulturwissenschaft seinen Niederschlag. Literarische Texte oder Filme in größere kulturelle Zusammenhänge einzubetten, wird seit Jahren von Christine Engel konsequent in Forschung und Lehre umgesetzt. Davon zeugt nicht nur der Aufbau einer äußerst umfangreichen Videothek von mehr als 2000 russischen Spiel- und Dokumentarfilmen einschließlich Datenerfassung, Verschlagwortung und Kommentaren. Eine Zusammenschau von theoretischen Ansätzen westeuropäischer Theorien, wie jene von Foucault, Barthes oder Derrida, mit den Ansätzen der russischen Formalisten, der Prager Strukturalisten und der semiotischen Schulen von Tartu und Moskau ermöglichen – so Christine Engel – ein tragfähiges Fundament für eine kulturwissenschaftlich orientierte Philologie. In ihren eigenen Forschungsarbeiten zur russischen Literatur, dem russischen Film und Fragen der Rezeption versucht Christine Engel einem Dialog nach kritischem Konsens in einer vernetzten Welt nachzukommen, in der Kulturen nicht als geschlossene, homogene Entitäten begriffen werden, sondern als Regelsysteme, die sich wechselseitig konstituieren und ständigen Wandlungen unterworfen sind.

Der Bedeutung von Übersetzungen im Inter- und Transkulturalitätskonzept geht Christine Engel in Lehrveranstaltungen nach, die sie institutsübergreifend für Studierende der Slawistik und der Translationswissenschaft abhält. Übersetzung zwischen Sprachen und Kulturen beschränkt sich ihrer Meinung nach nicht auf den Transfer, sondern auf das Verweben von sprachlichen und kulturellen Elementen, die zueinander in einer bestimmten Relation stehen. Eines dieser Gemeinschaftsprojekte von Übersetzer/innen ist das Buch Der Prinz von Minplan, ein Text von Viktor Pelevin, der aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt wurde (erschienen 2000). Die letzte gemeinsame Übersetzungsarbeit mit Innsbrucker und Salzburger Studierenden erschien heuer unter dem Titel Bist Du echt ein Russe? und enthält Literarisches aus der Wendezeit: zeitgenössische Erzählungen russischer Autoren aus Moskau und St. Petersburg (u.a. A. Levkin, S. Nosov, E. Popov und M. Veller).

Dieser Mut zur Überschreitung der Grenzen zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft und Fremdsprachenphilologie als wissenschaftliche und praxisnahe Disziplin zeigt sich nicht nur in den Übersetzungsprojekten Christine Engels, sondern auch in ihren Forschungs­schwerpunkten: kulturelle Orientierungsmuster aufzuzeigen und Fragen der Intermedialität und Interkulturalität nachzugehen, betrifft sowohl ihre Arbeiten zum Film als auch zum zeitgenössischen russischen Literaturbetrieb.

Christine Engel ist Mitglied des Konsortiums für europäische und russische Kulturwissenschaften (MKIEK) und Mitorganisatorin einer Reihe von Sommerakademien in Moskau, Kursk, Samara, Vologda und auf der Krim.

 

Innsbrucker Slawistik

Beide Professorinnen haben sich wesentlich für eine frühzeitige Umstrukturierung des Diplomstudiums in ein Bakkalaureats- und Magisterstudium an der Innsbrucker Slawistik eingesetzt. Bereits 2002 konnte das dreigliedrige Studium gemäß der Bologna-Deklaration eingeführt werden. Die steigenden Zahlen der Studienanfänger/innen belegen, dass dieses neue Studium, das die Berufschancen der Studierenden in den verschiedenen Berufsfeldern erhöht, gut aufgenommen wurde. Der Mut zu Veränderungen und Offenheit sowie die Liebe zur Tradition sind beiden Professorinnen eigen, die die Belange der Slawistik zu einem Mittelpunkt in ihrem beruflichen und privaten Leben gemacht haben.