Nobelpreisträger Crutzen - Möglichkeiten des „Climate Engineering“ erforschen
Crutzen hielt auf Einladung des Institutes für Ionen- und Angewandte Physik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck einen Vortrag an der Alma Mater der Tiroler Landeshauptstadt.
Crutzen wurde 1995 für seine Arbeit auf dem Gebiet der Stratosphären- und Troposphärenchemie (Untersuchungen zu Bildung und Abbau von Ozon) mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Sein zuletzt dezidiert als „Notlösung“ gegen den Treibhauseffekt deklarierter Vorschlag – angelehnt an eine Idee des russischen Klimatologen Michail Budyko - hatte für internationales Aufsehen gesorgt. Crutzen hatte im Fachjournal „Climatic Change“ im Rahmen eines Gedankenexperimentes die Idee geäußert, mittels künstlicher Verfrachtung von Schwefel in die Stratosphäre könnte die Erderwärmung gestoppt werden.
In seinem Innsbrucker Vortrag „Atmospheric Chemistry and Climate in the ‘Anthropocene’” betonte Crutzen: „Generationen von Homo sapiens haben trotz ihrer relativ geringen Masse im Vergleich zur gesamten Biosphäre der Erde eine wachsende katalytische Rolle bei der Veränderung der Eigenschaften der Atmosphäre und der Erdoberfläche gespielt. Die menschlichen Aktivitäten haben vor allem in den letzten Jahrhunderten derart zugenommen, dass von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozen, die Rede sein muss“. Bei der Einschätzung künftiger menschlicher Aktivitäten und deren Einfluss auf Atmosphärenchemie und Klima gebe es grundlegende Unsicherheiten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die globale Erwärmung jene Werte überschreite, die bisherige Modelle prognostizierten. Aus diesem Grunde sei es “ratsam, die Erforschung des Climate Engineering nicht länger zu tabuisieren”, erklärte der Nobelpreisträger. Zum Beispiel durch die Injektion von Schwefelwasserstoff in die Stratosphäre in 25 bis 30 Kilometer Höhe könne der Erwärmung durch den Treibhauseffekt entgegengewirkt werden. Der Schwefelwasserstoff würde zunächst zu Schwefeldioxid und dann zu Schwefelsäurepartikeln oxidieren. Diese würden dann einen Teil der Sonnenstrahlen ins All reflektieren. Es käme zu einer Abkühlung. Allerdings sollten diese Möglichkeiten des „Climate Engineering“ nur verfolgt werden, wenn die Forschung deren positive Resultate klar im Vorfeld zeige, betonte Crutzen.
Dass Sulfat-Partikel in der Atmosphäre einen mäßigenden Einfluss auf die Erderwärmung haben, ist seit längerem bekannt. Nach dem Vulkanausbruch des Pinatubo im Jahr 1991 wurde beobachtet, dass die Temperatur auf der Erde im darauf folgenden Jahr im Mittel um 0,5 Grad Celsius abnahm. Bei dem Ausbruch waren ungefähr zehn Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre gelangt und dort durch chemische Prozesse teilweise in Sulfat-Partikel umgewandelt worden. Diese Schwebeteilchen mit einem Durchmesser von weniger als einem Mikrometer hatten einen Teil des Sonnenlichts in den Weltraum zurückgestreut und dadurch die Intensität der Sonnenstrahlung reduziert.
Crutzen hielt den Vortrag auf Einladung des Institutes für Ionen- und Angewandte Physik der Innsbrucker Alma Mater. Mit den Innsbrucker Ionenphysikern kooperiert der Nobelpreisträger seit über zehn Jahren. Umweltmessungen sind ein international renommierter Forschungsschwerpunkt des Innsbrucker Institutes. Unter anderem wurde durch die Zusammenarbeit mit Crutzen ein weltweit neues Messverfahren (Protonentausch-Reaktions-Massenspektrometrie; PTR-MS) in der Umweltforschung etabliert. Dazu findet kommendes Jahr eine eigene Konferenz in Obergurgl (Tirol) statt.
Paul Crutzen (72) forscht am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und an der Scripps Institution of Oceanography im kalifornischen La Jolla. Im Anschluss an seinen Innsbrucker Vortrag nimmt der Nobelpreisträger am internationalen Kongress "Reduced Nitrogen in Ecology and the Environment" im Universitätszentrum Obergurgl teil. Diese Tagung wird von der European Science Foundation (ESF) gemeinsam mit der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck bis 18. Oktober veranstaltet.