Anthropologie trifft Literaturwissenschaft

Prof. Russell McDougall von der University of New England, Australien, hielt Ende März im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Kulturen im Kontakt" einen Vortrag zu "Travel and Writing in the Margins of Anthropology“.
Prof. Russell McDougall.
Prof. Russell McDougall.

Brisanterweise behandelte Professor McDougall darin unter anderem neueste wissenschaftliche Entwicklungen im englischsprachigen Raum, deren Auswirkungen auf Methoden und Inhalte der Literatur- und Kulturwissenschaften, auf die universitäre Lehre, sowie auf die Struktur einzelner Fächer als universitäre Institutionen auch in Österreich absehbar sind.

Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, so stellt Russell McDougall fest, lässt sich eine allmähliche Annäherung der Disziplinen Anthropologie und Literaturwissenschaft beobachten. Er führt diese auf Krisen innerhalb der beiden Disziplinen zurück. So verursachte die traditionell empirische Ausrichtung der Anthropologie ein Glaubwürdigkeitsdefizit, das man in den letzten Jahrzehnten durch einen forciert historischen Ansatz unter gezielter Berücksichtigung von Textdokumenten zu korrigieren versuchte. Insbesondere in der Erforschung nicht-westlicher Kulturen schuf dies ein nie da gewesenes anthropologisches Interesse an kolonialen und postkolonialen Literaturen und veranlasste die Aufnahme dieser Literaturen als Pflichtgegenstand in nahezu alle Anthropologiestudiengänge im anglophonen Raum.

Nicht zufällig erfolgte zeitgleich eine Neudefinierung des Literaturverständnisses in der anglophonen Literaturwissenschaft bzw. in den „English Studies“. Professor McDougall beschreibt, wie massive Professionalisierungszwänge der Literaturwissenschaft in jüngster Vergangenheit eine Hinwendung zu Texten abverlangten, die nicht im traditionellen Sinne als „literarisch“ zu verstehen sind, und dies eine Aufwertung von „travel writing“ als literaturwissenschaftlichen Forschungsgegenstand bedingte.

Die aus diesen Entwicklungen entstehenden bzw. noch zu erwartenden Synergien zwischen Anthropologie und Literaturwissenschaft insbesondere im Bereich der „postcolonial studies“ erläuterte Professor McDougall unter Bezugnahme auf die zentrale Rolle des Reisebegriffes in der Anthropologie und der Anwendbarkeit literaturwissenschaftlicher Methoden auf „travel writing“ (Reiseliteratur im weitesten Sinne).

 

Zur Person:

Russell McDougall ist Associate Professor of English an der University of New England, Australien. Seine Forschungsschwerpunkte sind postkoloniale Subjektivitäten, Siedler- und Invasionsgeschichte und ihre Auswirkungen auf das Schreiben postkolonialer Biographien. Seine Forschung umfasst sowohl extensive komparatistische Arbeiten zu australischen und kanadischen, westafrikanischen und karibischen Literaturen, als auch Arbeiten zu postkolonialer Theorie und der Literatur indigener SchrifstellerInnen. Anthropologie und Reiseliteratur sind zentrale Aspekte seines gegenwärtigen Forschungsprojektes, in dem er sich mit Literatur und Literaturwissenschaft im Sudan befasst.

Zu den neuesten Publikationen von Professor McDougall zählen Writing, Travel and Empire: Colonial Narratives of Other Cultures (April 2007, gemeinsam mit Peter Hulme,) und The Roth Family, Anthropology, and Colonial Administration (Juni 2007, gemeinsam mit Ian Davidson).