Adieu Chirac – und jetzt?
Die französische Wirtschaft steckt in der Krise, die Arbeitslosigkeit grassiert, für Europa fehlen die Visionen, weder in den Bereichen innere und äußere Sicherheit noch bei der Einwanderung und Integration gibt es erfolgversprechende Ansätze, die Banlieues sind nach wie vor Krisenherde: Die Probleme, mit denen Frankreich zu kämpfen hat, sind hausgemacht und lange gewachsen. „Diesbezüglich ist es egal, wer ab Montag das Präsidentenamt bekleidet, diese Probleme sind nicht über Nacht zu lösen. Weder Royal noch Sarkozy werden Frankreich radikal ändern, dazu fehlt es beiden an Ideen und Möglichkeiten, an handwerklichem Geschick und an Erfahrung“, so Monika Dajc von der Tiroler Tageszeitung. Gemeinsam mit Michel Cullin von der Diplomatischen Akademie Wien, Lorenz Gallmetzer vom ORF und Prof. Reinhold Gärtner vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Innsbruck sprach sie auf Einladung des Frankreich-Schwerpunkts am vergangenen Donnerstag in der Aula der Hauptuni zur Zukunft Frankreichs nach Chirac. „Der König ist tot, lang lebe der König“, so Vizerektor Tilmann Märk in seiner Begrüßung, ehe die Leiterin des Frankreich-Schwerpunkts, Prof. Eva Lavric als Moderatorin die Diskussion eröffnete.
Das Amt prägt den Präsidenten, nicht umgekehrt
80 Prozent der Programminhalte der beiden Kandidaten sind durch Sachzwänge bestimmt, durch die internationale Wirtschaft, durch Technisierung und Modernisierung. Die restlichen 20 Prozent sind „Randthemen“ wie etwa die Homoehe, die im Wahlkampf hochpolitisiert werden. „Das Mehrheitswahlrecht fördert zudem den ‚Personenkult’ rund um einen Kandidaten. Der politische Stil in Frankreich hat sich bestimmt geändert, und auch wenn in der letzten Phase des Wahlkampfes wieder vermehrt Inhalte als Gesichter im Vordergrund standen: Der wilde Sarkozy würde als Präsident zahmer und die utopistische Royal als Präsidentin realistischer werden. Das bringt das Amt, das bringen die Sachzwänge und der politische Alltag mit sich“, so Prof. Gärtner.
Mit welchem Kater werden wir am Montag also erwachen? Der Präsident bzw. die Präsidentin Frankreichs ist in seiner /ihrer Machtfülle fast uneingeschränkt. Außerdem lebt nach wie vor in der französischen Bevölkerung die Idealvorstellung, der Präsident/die Präsidentin sei, Parteizugehörigkeit hin oder her, ein Mensch des Volkes. So entsteht ein Mythos, die WählerInnen erhoffen sich wahre Wunder vom Staatsoberhaupt, die Enttäuschung lässt naturgemäß nicht lange auf sich warten.
Le Penisierung der Politik im Anmarsch
Frankreich ist kein Staat der Mitte, die Polarisierung in politisch rechts und links ist tief verwurzelt. Nach de Gaulle, Mitterand und Chirac kommt nun eine neue Generation von PolitikerInnen zum Zug, und es gibt Grund zur Sorge, dass sie diese Polarisierung über den Wahlkampf hinaus in die Realpolitik tragen. Frankreich habe viel von seinem einstigen Glanz verloren, von der Grande Nation sei wohl nicht mehr viel übrig, konstatiert Michel Cullin. „Frankreich verstand sich lange Zeit als eine moralische Instanz in Europa, und diese Rolle wurde Frankreich lange Zeit abgekauft. Als in Rumänien das Ceauşescu-Regime gestürzt wurde, sagte Frankreich: Ihr, die europäischen Staaten, ihr schickt Rumänien Decken und etwas zu essen, wir, Frankreich, wir helfen Rumänien bei einer neuen Verfassung.“
Doch die Idee des Citoyens ist verblasst. Stattdessen definiert die Politik den Begriff der Nation immer stärker über die ethnische Zugehörigkeit. So ist ein geglücktes Zusammenleben nicht zu erreichen. Ein Nationalismus a la Le Pen prägt immer mehr den politischen Stil, die Programme und die Themen in Frankreich. „Es ist beschämend zu sehen, dass jenes Frankreich, welches von sich behauptet, der Welt die Aufklärung und bürgerliche Revolutionen gebracht zu haben und für universelle Werte zu stehen, im aktuellen Wahlkampf die Globalisierung, den Welthandel und Visionen für Europa und die internationale Staatengemeinschaft kaum thematisiert hat“, hält Gallmetzer fest.
Aus EU-Befürwortern werden EU-Tolerierer
Die Franzosen fühlen sich verloren. Die Integrationsproblematik ist drückend. Dazu kommt das Gefühl der Fremdbestimmung. Für die „alte“ politische Garde etwa war die EU noch ein Friedensprojekt, heute wird mit der Union Fremdbestimmung assoziiert: Die Politik wird in Brüssel, die Wirtschaft auf den internationalen Märkten und Börsen gemacht. „Im Wahlkampf wurde mit diesen Gefühlen verantwortungslos umgegangen, Ängste wurden effekthascherisch geschürt und ausgenutzt und nationalistische Sprüche entgegengestellt, die Flucht in den Nationsgedanken angetreten. Das ist die Le-Penisierung der Französischen Politik“, so Gallmetzer weiter.
Eine Frau als Staatsoberhaupt, das ist noch keine Frauenpolitik
„Um die Probleme Frankreichs anzupacken braucht es Courage und Entschlossenheit. Auch wenn es nach einem Kopf an Kopf Rennen aussieht, ich wünsche mir ein eindeutiges Wahlergebnis, das würde vieles erleichtern, wenn es ans Eingemachte, um große politische Reformen geht“, analysierte Monika Dajc. Ob für sie die Vorstellung von einer PräsidentIN einen besonderen Reiz habe? „Ideen und Effizienz, nicht das Geschlecht machen einen guten Politiker, eine gute Politikerin aus. Der Mythos der Frau in der Politik ist ein zerbrechlicher“, so die Journalistin. Eine Frau an der Spitze der Politik ist tatsächlich noch keine Frauenpolitik. Wer würde Margret Thatchers Regierungszeit als feministisch bezeichnen?