Writer in Residence 2008: Andrej Kurkov
Andrej Kurkov zählt zu den international bekanntesten Autoren aus Osteuropa. Sein meistgelesener Roman Picknick auf dem Eis, geschrieben 1995 und 1999 bei Diogenes auf Deutsch erschienen, wurde mittlerweile in 32 Sprachen übersetzt. Diese Geschichte um einen arbeitslosen, melancholischen Journalisten, der sich einen Pinguin als Haustier hält, ist ein surreal verfremdetes Porträt einer Gesellschaft, die von wirtschaftlicher Unsicherheit, Angst und kriminellen Machenschaften geprägt ist. Die Leser in Europa und Amerika nahmen die mit einem ironischen Blick beschriebene postsowjetische Alltagswelt mitunter für die Wirklichkeit selbst, sagte Andrej Kurkov, als er im Gespräch mit Prof. Christine Engel vom Institut für Slawistik von seinen Erfahrungen auf Lesereisen berichtete. So sei das große Interesse an seinen Romanen nicht zuletzt auch einem Bedürfnis der LeserInnen zu verdanken, etwas über ein Land zu erfahren, das bis 1991 Teil der Sowjetunion war und über das man in den westlichen Ländern noch in den 1990er Jahren kaum etwas wusste. Dabei ist die Ukraine mit ihrer Fläche von über 600.000 km größer als Frankreich und mit ihren 46 Mio. Einwohnern nach Russland das bevölkerungsreichste Land im slawischen Sprachraum.
Mehrsprachigkeit als gelebte Realität
Überaus aufschlussreich waren Kurkovs Ausführungen zur derzeitigen Sprachsituation in der Ukraine. Dabei verstand es der humorvolle Gast, der neben Russisch, Ukrainisch, Polnisch und Englisch auch ausgezeichnet Deutsch spricht, das anwesende Publikum mit kleinen Anekdoten immer wieder zum Lachen zu verführen. Insbesondere in den ersten 10 Jahren seit der Unabhängigkeit der Ukraine wären von Seiten der Politik sowie von nationalen Romantikern massive Anstrengungen unternommen worden, das Ukrainische zu forcieren und Russisch aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Der Unterricht an den Universitäten sei heute nur noch ukrainisch und an den Schulen würde Russisch als Unterrichtsfach nur noch sehr eingeschränkt gelehrt, obwohl in vielen Regionen Lehrer wie Schüler untereinander russisch sprechen würden. Die ukrainischsprachige Literatur habe erst in den vergangenen fünf Jahren einen Aufschwung erlebt. Zu verdanken ist dies einer Gruppe junger AutorInnen, die frech und provokativ schreiben und zum Großteil in der ukrainischen Populär- und Medienkultur verankert sind. Nicht nur SlawistInnen können also gespannt sein auf weitere Entwicklungen.
Satirische Seitenhiebe auf die Politik
Kurkov selbst positioniert sich an der Schnittstelle der ukrainischen und russischen Kultur, indem er auf Russisch und damit in seiner Muttersprache schreibt, aber seit seiner Kindheit in Kiew lebt und auch akzentfrei ukrainisch spricht. In den nationalen Medien tritt der Autor als kritische gesellschaftliche Stimme auf und seine Lesereisen führen ihn vermehrt auch wieder durch das eigene Land – im Bemühen, gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden den heimischen Buchmarkt sowie das Interesse an Literatur zu beleben. Zum Abschluss der Veranstaltung im Literaturhaus las Andrej Kurkov einen Auszug aus seinem Roman Die letzte Liebe des Präsidenten (2005), in dem er einen satirischen Blick in die politische Zukunft wirft: Einer der Protagonisten des Romans heißt Putin, der auch im Jahr 2016 noch russischer Präsident ist.
Ausblick auf weitere Veranstaltungen mit Andrej Kurkov
Während seines einmonatigen Aufenthalts in Innsbruck hält Andrej Kurkov mehrere Workshops am Institut für Slawistik ab, in denen er den Studierenden sowie Interessierten Einblicke in seine Tätigkeit als Literaturschaffender vermittelt. Für ein breiteres Publikum sind vor allem die Rahmenveranstaltungen gedacht: Am 21. Mai (19h) wird Andrej Kurkov in der Wagner’schen Buchhandlung sein neues Buch Herbstfeuer vorstellen. Zum Abschluss seines Aufenthalts findet am 28. Mai (20h) ein Fest im Kulturgasthaus Bierstindl statt, bei dem Studierende der Slawistik zwei seiner Kurzgeschichten präsentieren werden, die sie selbst übersetzt haben.