Essstörungen: Ein Hilfeschrei der Seele
Rund 200.000 Menschen leiden in Österreich irgendwann in ihrem Leben an einer Essstörung, jedes Jahr kommen 1.500 neue Patienten dazu. 95 Prozent davon sind Frauen. In Alpbach diskutieren ÄrztInnen und TherapeutInnen derzeit neue Strategien, um dem zunehmenden Gesundheitsproblem beizukommen.
"Diät-Revolution. Endlich schlank. Drei Kilo in nur fünf Tagen!" Frauen- und Männerzeitschriften titeln mit der neuesten Abspeck-Kur und verraten Tipps, wie man lästige Kilos garantiert leicht los werden kann. Für Prof. Günther Rathner hat das weitverbreitete Diätverhalten aus Figur-Gründen Mitschuld an der Entwicklung von Essstörungen. Rathner ist Professor für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Uniklinik, Gründer und Obmann des Netzwerkes Essstörungen sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Essstörungen (ÖGES). Er sieht in dem medial propagierten gesellschaftlichen Schönheits-"Ideal" einen wesentlichen krankheitsverursachenden Faktor, da sich genetische Faktoren nicht binnen weniger Jahrzehnte ändern: "Übergewicht wird immer noch mit unmäßigem Essen und Willensschwäche gleichgesetzt, Schlanksein mit Glück, Erfolg und Anerkennung. Dabei sind viele Mädchen und Frauen, die zu Supermodels hochstilisiert werden, in der Regel so dünn, dass sie ein für viele Menschen völlig unerreichbares, schon gesundheitheitsgefährdendes Ideal verkörpern", kritisiert der Experte.
Junge Frauen besonders betroffen
Essstörungen stellen in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft ein zunehmendes Gesundheitsproblem dar: "Magersucht und Ess-Brech-Sucht sind die Frauenkrankheiten der Gegenwart", so Rathner. Essstörungen sollten weder glamourisiert noch bagatellisiert werden: So hat Anorexia nervosa eine der höchsten Mortalitätsraten aller psychiatrischen Störungen. Die Belastung der Angehörigen von Magersüchtigen ist sogar noch höher als bei psychotischen PatientInnen. Mädchen und Frauen leiden zehn Mal häufiger als Burschen und Männer an diesen psychisch bedingten Krankheiten. Zumeist sind es junge Frauen zwischen 15 und 19 Jahren, aber auch Mädchen am Beginn der Pubertät. Die Anorexia nervosa, die Magersucht, betrifft dabei ungefähr ein Prozent der 15- bis 25-jährigen Frauen. Von der Bulimie (Ess-Brechsucht) ist etwa ein Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren betroffen. Häufig treten die Erkrankungen auch kombiniert auf, so leiden etwa 40 Prozent der Magersüchtigen gleichzeitig noch an bulimischen Symptomen. In der letzten Zeit sind auch vermehrt Essstörungen bei Frauen nach einer Schwangerschaft oder Frauen mit einem Alter über 40 Jahren zu beobachten.
Früherkennung wichtig
Wie bei vielen anderen Krankheiten gibt es auch bei Essstörungen ein Kontinuum, die Übergänge zwischen gesund und krank sind fließend. So stellen etwa die "subklinischen Essstörungen" gerade bei jungen Menschen ein sehr häufiges und ernstzunehmendes Phänomen dar, da sie - wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden - im weiteren Verlauf in Anorexie oder Bulimie übergehen können. Rathner hält es für notwendig, dass dem Problem bereits in den Schulen stärkere Aufmerksamkeit zuteil wird. Diese seien als zentraler Aufenthaltsort der Jugendlichen geeignet, um Maßnahmen der Aufklärung, Prävention und Früherkennung sowie erste Hilfestellungen durchzuführen. Schulärzte und Lehrer sollten bei der Krankheitserkennung, aber auch der Gesundheitsförderung zusammenarbeiten und dabei den Kontakt mit den Eltern suchen.
Diät als "Einstiegsdroge"
Rathner weist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das so genannte "gezügelte Essverhalten" hin, das als sozial akzeptierter Einstieg in die Krankheit funktioniert. Ernährungspsychologen gehen immer mehr davon aus, dass gezügeltes Essen die Fähigkeit, physiologische Hunger- und Sättigungsgefühle wahrzunehmen, zunehmend beeinträchtigt und somit auch das Entstehen von pathologischen Essmustern wie Magersucht und Ess-Brech-Sucht fördern kann. Rathner dazu: "Glücklicherweise werden die meisten Diäten nur ein paar Tage oder Wochen durchgehalten und sicher ist nicht jede, die eine Diät macht, essgestört. Allerdings ist eine Diät die "Einstiegsdroge" für Essstörungen: Ohne Diät entwickelt sich keine Essstörung.
Ursachenvielfalt und multimodale Therapieansätze
Die Ursachen für die Entwicklung von Essstörungen sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt. Neben dem gesellschaftlichen Druck, schlank zu sein, gibt es viele Theorien über mögliche Risikofaktoren. Personen mit wenig Selbstwertgefühl und Hang zum Perfektionismus sind besonders gefährdet. Weiters spielt das familiäre Umfeld eine Rolle. Als Risikoperiode gilt vor allem die Pubertät als psychische und physische Umbruchsphase. "Die Vielfalt der möglichen Ursachen bedeutet, dass die Therapie multimodal ansetzen muss, wobei man heute sagen kann, dass die Psychotherapie die Methode der Wahl ist", erklärt Rathner. Da Essstörungen durch psychische, familiäre und gesellschaftliche Faktoren bedingt sind, müssen in eine Behandlung alle diese Ebenen einbezogen werden. Grundsätzlich gilt: "Magersucht und Ess-Brechsucht sind behandelbare und heilbare Störungen", hält Rathner fest. Wobei Magersucht weitaus schwieriger zu therapieren ist als Ess-Brech-Sucht. Patienten, Angehörige und auch die Therapeuten brauchen einen langen Atem, die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt mehrere Jahre, die Heilungsraten sind nach wie vor niedrig.
Kunstfehler vermeiden
Um seinem Ziel "komplexe Behandlung für ein komplexes Krankheitsbild" näher zu kommen, hat der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Essstörungen zunächst einen Leitfaden für die Behandlung entwickelt. Von der Früherkennung der Krankheit und den damit einhergehenden besseren Heilungschancen über die berufsspartenübergreifende Behandlung psychischer, familiärer und gesellschaftlicher Faktoren bis hin zur längerfristigen Nachbetreuung - die zwölf Leitlinien beruhen auf dem aktuellen Stand der Forschung und auf der langjährigen Erfahrung spezialisierter Kliniken. Rathner entwickelte zudem das erste interdisziplinäre Weiterbildungs-Curriculum für Essstörungen im deutschsprachigen Raum, bei dem international anerkannte PsychiaterInnen, PsychologInnen, und PsychotherapeutInnen in Wochenendseminaren fundierte Kenntnisse in Diagnose, Therapie und Prävention vermitteln.
Kongress in Alpbach
Im Congress Centrum Alpbach findet unter der Leitung von Günther Rathner derzeit die 11. Internationale Wissenschaftliche Tagung zum Thema Essstörungen statt. Experten aus aller Welt diskutieren dabei in mehreren Sitzungen über Risikofaktoren, Diagnose, Therapie und Verlauf von Essstörungen und die Rolle der Medien. In mehreren Workshops werden dann die Diskussionen vertieft.
Junge Frauen besonders betroffen
Essstörungen stellen in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft ein zunehmendes Gesundheitsproblem dar: "Magersucht und Ess-Brech-Sucht sind die Frauenkrankheiten der Gegenwart", so Rathner. Essstörungen sollten weder glamourisiert noch bagatellisiert werden: So hat Anorexia nervosa eine der höchsten Mortalitätsraten aller psychiatrischen Störungen. Die Belastung der Angehörigen von Magersüchtigen ist sogar noch höher als bei psychotischen PatientInnen. Mädchen und Frauen leiden zehn Mal häufiger als Burschen und Männer an diesen psychisch bedingten Krankheiten. Zumeist sind es junge Frauen zwischen 15 und 19 Jahren, aber auch Mädchen am Beginn der Pubertät. Die Anorexia nervosa, die Magersucht, betrifft dabei ungefähr ein Prozent der 15- bis 25-jährigen Frauen. Von der Bulimie (Ess-Brechsucht) ist etwa ein Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren betroffen. Häufig treten die Erkrankungen auch kombiniert auf, so leiden etwa 40 Prozent der Magersüchtigen gleichzeitig noch an bulimischen Symptomen. In der letzten Zeit sind auch vermehrt Essstörungen bei Frauen nach einer Schwangerschaft oder Frauen mit einem Alter über 40 Jahren zu beobachten.
Früherkennung wichtig
Wie bei vielen anderen Krankheiten gibt es auch bei Essstörungen ein Kontinuum, die Übergänge zwischen gesund und krank sind fließend. So stellen etwa die "subklinischen Essstörungen" gerade bei jungen Menschen ein sehr häufiges und ernstzunehmendes Phänomen dar, da sie - wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden - im weiteren Verlauf in Anorexie oder Bulimie übergehen können. Rathner hält es für notwendig, dass dem Problem bereits in den Schulen stärkere Aufmerksamkeit zuteil wird. Diese seien als zentraler Aufenthaltsort der Jugendlichen geeignet, um Maßnahmen der Aufklärung, Prävention und Früherkennung sowie erste Hilfestellungen durchzuführen. Schulärzte und Lehrer sollten bei der Krankheitserkennung, aber auch der Gesundheitsförderung zusammenarbeiten und dabei den Kontakt mit den Eltern suchen.
Diät als "Einstiegsdroge"
Rathner weist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das so genannte "gezügelte Essverhalten" hin, das als sozial akzeptierter Einstieg in die Krankheit funktioniert. Ernährungspsychologen gehen immer mehr davon aus, dass gezügeltes Essen die Fähigkeit, physiologische Hunger- und Sättigungsgefühle wahrzunehmen, zunehmend beeinträchtigt und somit auch das Entstehen von pathologischen Essmustern wie Magersucht und Ess-Brech-Sucht fördern kann. Rathner dazu: "Glücklicherweise werden die meisten Diäten nur ein paar Tage oder Wochen durchgehalten und sicher ist nicht jede, die eine Diät macht, essgestört. Allerdings ist eine Diät die "Einstiegsdroge" für Essstörungen: Ohne Diät entwickelt sich keine Essstörung.
Ursachenvielfalt und multimodale Therapieansätze
Die Ursachen für die Entwicklung von Essstörungen sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt. Neben dem gesellschaftlichen Druck, schlank zu sein, gibt es viele Theorien über mögliche Risikofaktoren. Personen mit wenig Selbstwertgefühl und Hang zum Perfektionismus sind besonders gefährdet. Weiters spielt das familiäre Umfeld eine Rolle. Als Risikoperiode gilt vor allem die Pubertät als psychische und physische Umbruchsphase. "Die Vielfalt der möglichen Ursachen bedeutet, dass die Therapie multimodal ansetzen muss, wobei man heute sagen kann, dass die Psychotherapie die Methode der Wahl ist", erklärt Rathner. Da Essstörungen durch psychische, familiäre und gesellschaftliche Faktoren bedingt sind, müssen in eine Behandlung alle diese Ebenen einbezogen werden. Grundsätzlich gilt: "Magersucht und Ess-Brechsucht sind behandelbare und heilbare Störungen", hält Rathner fest. Wobei Magersucht weitaus schwieriger zu therapieren ist als Ess-Brech-Sucht. Patienten, Angehörige und auch die Therapeuten brauchen einen langen Atem, die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt mehrere Jahre, die Heilungsraten sind nach wie vor niedrig.
Kunstfehler vermeiden
Um seinem Ziel "komplexe Behandlung für ein komplexes Krankheitsbild" näher zu kommen, hat der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Essstörungen zunächst einen Leitfaden für die Behandlung entwickelt. Von der Früherkennung der Krankheit und den damit einhergehenden besseren Heilungschancen über die berufsspartenübergreifende Behandlung psychischer, familiärer und gesellschaftlicher Faktoren bis hin zur längerfristigen Nachbetreuung - die zwölf Leitlinien beruhen auf dem aktuellen Stand der Forschung und auf der langjährigen Erfahrung spezialisierter Kliniken. Rathner entwickelte zudem das erste interdisziplinäre Weiterbildungs-Curriculum für Essstörungen im deutschsprachigen Raum, bei dem international anerkannte PsychiaterInnen, PsychologInnen, und PsychotherapeutInnen in Wochenendseminaren fundierte Kenntnisse in Diagnose, Therapie und Prävention vermitteln.
Kongress in Alpbach
Im Congress Centrum Alpbach findet unter der Leitung von Günther Rathner derzeit die 11. Internationale Wissenschaftliche Tagung zum Thema Essstörungen statt. Experten aus aller Welt diskutieren dabei in mehreren Sitzungen über Risikofaktoren, Diagnose, Therapie und Verlauf von Essstörungen und die Rolle der Medien. In mehreren Workshops werden dann die Diskussionen vertieft.