Bizarre Welt der Vielteilchensysteme

Seit der Entdeckung des Bose-Einstein-Kondensats (BEC) im Jahr 1995, ein völlig neuer Zustand der Materie bei tiefsten Temperaturen, ist ein weltweiter Forschungsboom an Gasen nahe dem absoluten Nullpunkt ausgebrochen - und in diesem Wettrennen ist zur Zeit ein Team von Experimentalphysikern unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Rudolf Grimm an vorderster Front mit dabei.
Li6team
Li6team
Rudolf Grimm und seinem Team ist es erstmals gelungen, in die bizarre Welt von Vielteilchensystemen vorzustoßen, die sich beim Übergang von BEC in so genannte Fermi-Gase auftun und die beispielsweise auch in Neutronensternen existieren. Diese Arbeiten könnten auch zu neuen Erkenntnissen über das Phänomen der Hochtemperatur-Supraleitung führen.
Während das Interesse der Forscher in den vergangenen Jahren vor allem dem relativ einfach zu erzeugenden BEC gegolten hat, wenden sich in jüngster Zeit immer mehr Wissenschafter den Fermi-Gasen zu, die ein noch weniger erforschter Materiezustand sind als BEC. So ist es Grimm und seiner Gruppe Ende vergangenen Jahres weltweit erstmals gelungen, ein Gas, das aus fermionischen Atomen besteht (Lithium-6), zu kondensieren. Sie verbanden durch eine chemische Reaktion zwei Lithium-6 Atome zu einem Molekül. Aus zwei Atomen mit halbzahligen Spin wird dadurch ein Molekül mit einem ganzzahligen Spin, und das kann zu einem BEC abgekühlt werden.

Das Arbeitsgebiet hat sich in den vergangenen Monaten in einem atemberaubenden Tempo weiterentwickelt und zur Zeit findet ein spannender Wettstreit statt zwischen drei europäischen Gruppen, darunter Grimm mit seinem Team, sowie vier Forschungsteams aus Amerika. "Als einzige europäische Gruppe können wir in diesem Rennen derzeit mit den Amerikanern mithalten und in einigen Punkten haben wir die Nase ganz vorne", so Rudolf Grimm stolz. Und das im letzten Jahr neu gegründete Institut für Quantenoptik und Quanteninformation, eine Kollaboration der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit der LFU Innsbruck, soll diese weltweit führende Rolle, die die Innsbrucker auf diesem Gebiet zur Zeit haben, weiter festigen und ausbauen.

Ein ultrakaltes Fermi-Gas stellt ein einizigartiges Modellsystem für die Hochtemperatur-Supraleitung (verlustfreie Leitung von Strömen) dar, die viele neue Anwendungen verspricht aber bis heute noch viele offene Fragen aufwirft. Der Nachweis der Suprafluidität (Strömung ohne innere Reibung) im Fermi-Gas ist daher derzeit ein heiß umkämpfter Meilenstein. Ein Forscher von der Amerikanischen Duke University hat vor kurzem erste experimentelle Ergebnisse zum Schwingverhalten des Systems veröffentlicht, die er als Indizien für Suprafluidität interpretiert.
Grimms Team, das seit knapp vier Jahren an der LFU in Innsbruck forscht und im Jahr 2002 mit der weltweit ersten Bose-Einstein-Kondensation von Cäsium einen ersten spektakulären Erfolg verzeichnen konnte, hat ein sehr ähnliches Experiment durchgeführt, ist mit seinen Aussagen aber deutlich vorsichtiger: "Auch unsere Beobachtungen deuten auf Suprafluidität hin, wir haben ein ähnliches Schwingverhalten gesehen wie unsere Kollegen in Amerika und eine weitere Schwingung beobachtet, aber der tatsächliche Nachweis für Suprafluidität ist das noch nicht." Bei den Arbeiten ist jedenfalls noch nicht das letzte Wort gesprochen. "Wir können mit unseren Experimenten nun erstmals die Eigenschaft solcher Paare in stark wechselwirkenden Vielteilchensystemen untersuchen", sagte Grimm.

In Zukunft wollen die Wissenschafter versuchen, ein solches System nicht wie derzeit quasi isoliert zu beobachten, sondern es mit Hilfe optischer Gitter in festkörperähnlich Strukturen einbauen. Damit wäre man schon sehr nahe den Vorgängen in supraleitenden Materialien, wo nach bisheriger Theorie ebenfalls Paare von Elektronen für den Stromtransport ohne elektrischen Widerstand verantwortlich sind. "Zur Zeit sind wir gerade dabei, neue Daten auszuwerten, erzählt Grimm abschließend, "und eines ist bereits sicher: die nächste Etappe des Wettrennens wird wieder sehr spannend werden!" (bb)