Internet und internationale Politik

Die seit Oktober 2004 bestehende Stiftungsprofessur für Europäische Sicherheitspolitik am Institut für Politikwissenschaft bewies am vergangenen Samstag, dass sie sich keineswegs nur mit militärischen Aspekten befasst. Bei der Tagung Internet und internationale Politik gaben zahlreiche Referenten einen Einblick in gesellschaftliche und kommunikative Aspekte internationaler Sicherheit.
Prof. Alexander Siedschlag
Prof. Alexander Siedschlag
Schwerpunkt war die politische Rolle des Internets im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg von 2003. „Das Thema ‚Internet und Internationale Politik’ stößt auf immer mehr Aufmerksamkeit“, erklärte der Organisator und Tagungsleiter Prof. Alexander Siedschlag anlässlich der Eröffnung der Tagung. Der Themenbogen der Veranstaltung spannte sich von Theorien der internationalen Politik über internationale Sicherheitspolitik bis zur Rolle der Massenmedien in der Außenpolitik und in der Weltgesellschaft. Zentraler Angelpunkt waren die weltweiten internetgestützten Diskussionen über den Irak-Krieg von 2003.

Die Internet-Kommunikation eröffnet auch en internationalen Beziehungen neue Wege der Kommunikation und neue Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung. Durch die nunmehr weit verbreitete Möglichkeit der Kommunikation in Echtzeit können auf der einen Seite Missverständnisse und Fehler vermieden werden. Auf der anderen Seite bleibt für die Regierenden durch die schnellere Nachrichtenübermittlung aber auch weniger Zeit, überlegt zu reagieren.

Dr. Arne Rogg-Pietz von der Universität Kiel beschäftigte sich angesichts dessen theoriegeleitet mit Weltpolitik unter den Bedingungen der Gleichzeitigkeit – einer Gleichzeitigkeit, die vor allem auf die neuen internetbasierten Kommunikationsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Damit könnte eine neue Grundlage für verbesserte internationale Kooperation geschaffen werden, da sich Staaten rascher informativ austauschen können und sozusagen in Echtzeit gemeinsame Situationsbewertungen entwickeln können. Im Zuge dessen erhöhen sich allerdings auch die Ansprüche an die Politik enorm, und die internationalen politischen Eliten können oft nur den Ereignissen hinterherhandeln – so dass dann doch die desintegrativen Momente in der Weltpolitik wieder überwiegen könnten. Somit wird deutlich, dass auch die Möglichkeiten der internetionalen Politik kluges, vorausschauendes staatsmännisches Handeln keineswegs ersetzen.

Einen ersten Höhepunkt erlebte das Internet im Zusammenhang mit internationaler Politik nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Durch den unabhängigen Nachrichtensender Al-Jazeera, der ab 2002 mit einer eigenen englischsprachigen Seite im Netz vertreten war, war es erstmals auch möglich, die Sichtweise der arabischen Welt kennen zu lernen. Dr. Mohammad Ibahrine von der Universität Hamburg bot einen Interessanten Einblick in die Welt von Al-Jazeera und seiner Internetpräsenz Al-Jazeera.net. Kritisch setzte sich Ibahrine mit der Nutzung des Internets als politischem Informations- und Kommunikationsmedium im Rahmen der Public-Diplomacy-Strategie der USA auseinander.

Priv. Doz. Dr. Eun-Jeung Lee, Universität Halle, eröffnete einen faszinierenden Einblick in die innenpolitischen Diskussionen über Sicherheitspolitik in Südkorea und Japan. Die politische Cyberculture ist hier teils so weit gediehen, dass im Internet geführte Bürgerdiskussionen mitunter genau nachweisbar außenpolitische Entscheidungen beeinflussen – zum Beispiel die Entscheidung über Truppenentsendungen in den Irak. Anders in Europa ist Online-Partizipation in Asien bereits vielfach keine zeitweilige Entscheidung mehr, sondern wird zu einem eigenständigen Faktor im politischen Prozess.

Dann aber wird die Frage vorrangig, inwieweit das Internet konkretes Demokratisierungspotenzial besitzt und mündigen Bürgern zu Gestaltern politischer Öffentlichkeit werden lassen kann. Dem ging Mag. Ursula Weber, Universität München, nach. Ihre Schlussfolgerung lautete, dass das Internet in besonders relevanten Fällen (wie dem Irak-Krieg 2003), in denen die traditionelle Medienöffentlichkeit als politisches Korrektiv nur eingeschränkt greift eigenständige Impulse für demokratische Diskurse setzen kann und zur Motivierung der Bürgerinnen und Bürger beitragen kann, sich in innenpolitische Debatten über die nationale Außen- und Sicherheitspolitik einzubringen.

Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist diese demokratische Mobilisierungsfunktion des Internets besonders relevant, da die Berichterstattung der US-amerikanischen Printmedien über den Irak-Krieg den Analysen von Prof. Petra Dorsch-Jungsberger zufolge die Presse als kontrollierende „vierte Gewalt“ teils überfordert, teils auch delegitimiert hat.

Sicherheitspolitische Aspekte des Internets können nicht diskutiert werden, ohne das Thema IT-Sicherheit anzuschneiden. Die Sicherheit von Informationen und Informationsinfrastrukturen hat nicht zuletzt durch die globale Bedeutung von elektronischen Netzwerken und die Zunahme kritischer Vorfälle (Computerviren, Hacking etc.) verstärkt politische Relevanz erhalten. Angesichts dessen versucht die Europäische Union mit ihrer kürzlich gegründeten Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA), den Grundstein zu einer gemeinsamen informationstechnologischen Sicherheitspolitik Europas zu legen. Ihr Selbstverständnis als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ stellt die Europäische Union vor die Herausforderung, den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen auch auf dem IT-Sektor wirksam zu begegnen.

So gab die gelungene Veranstaltung, wie Prof. Alexander Siedschlag in seinem Schlusswort hervorhob, gerade auch den Denkanstoß mit auf den Weg, Sicherheitspolitik als ein umfassendes Handlungsfeld zu verstehen und die Entwicklung der Europäischen Union zu einem sicherheitspolitischen Akteur in allen Dimensionen wissenschaftlich zu begleiten. Darüber hinaus hat sich gezeigt, wie wichtig für das Verständnis internationaler Prozesse eine wissenschaftliche Multiperspektive ist, in der die Fächer Internationale Politik, Vergleichende Politikwissenschaft, Politische Kommunikationsforschung und Kommunikationswissenschaft im gemeinsamen Blick auf den faszinierenden Gegenstand webbasierter Weltpolitik befruchtend zusammenarbeiten.

Dank der Kooperation mit dem Innsbruck Forum on International Relations gibt es eine Online-Tagungsnachlese unter der Adresse www.konferenz.ifir.at.

Auf den Tagungsbeiträgen basierende Aufsätze und ein Tagungsbericht werden außerdem in dem von Prof. Siedschlag mit herausgegebenen Periodikum „Kursbuch Internet und Politik“ veröffentlicht werden.

(sfr)