Dem Klima der Nacheiszeit auf der Spur
Vor gut 11.000 Jahren hörte die letzte Eiszeit auf. Auch wenn die Klimaschwankungen seither im Vergleich zur Achterbahn des Eiszeit-Klimas wie ein gemütliches Karussell erscheinen mögen: Sie waren mitnichten unbedeutend. Nicht nur sind Phasen von vorstoßenden und abschmelzenden Gebirgsgletschern gerade in den Alpen gut dokumentiert; es zeigt sich auch immer deutlicher, dass diese nacheiszeitlichen Klimaschwankungen den Verlauf der Menschheitgeschichte beeinflusst haben (z.B. Völkerwanderungszeit, Almwirtschaft im Hochgebirge).
In der Jänner-Ausgabe der angesehenen Zeitschrift "Geophysical Research Letters" der American Geophysical Union präsentierte ein Wissenschaftsteam der Universitäten Heidelberg und Innsbruck eine neue Klima-Zeitreihe der vergangenen 9.000 Jahre, die auf Tropfsteinproben einer Tiroler Höhle basiert. Tropfsteine sind ein relativ neues „Klima-Archiv“, dem weltweit große Bedeutung in der Paläoklimaforschung beigemessen wird.
Diese neue Studie zeigt, dass das nacheiszeitliche Klima systematischen Schwankungen unterworfen war. Diese Schwankungen, die sich vor allem in langfristigen Änderungen der Wintertemperatur manifestierten, zeigen u.a. ausgeprägte klimagünstige Phasen vor etwa 7000 Jahren und während der Bronzezeit, was mit Gletscheruntersuchungen übereinstimmt. Die Stärke der neuen Daten der Tropfsteine besteht nun darin, dass sie eine vollständige Aufzeichnung dieser Klima-Rhythmik zeigen. Genau dasselbe Klima-Muster wurde vor einigen Jahren anhand von Tiefsee-Sedimenten aus dem nördlichen Atlantik erkannt (Science Ausgabe vom 7.12.2001). Die neue Studie belegt somit eindrucksvoll den Gleichklang des langfristigen Klimas zwischen dem Atlantik und den Alpen, wobei die alpinen Daten auf einer genaueren Altersbestimmung beruhen als die Tiefseedaten des Atlantiks.
Für die entscheidende Frage nach der Ursache dieser Klima-Rhythmik seit Ende der Eiszeit geben die neuen Daten ebenfalls wichtige Hinweise. Die in den alpinen Tropfsteinen aufgezeichneten Schwankungen des Paläoklimas zeigen eine verblüffend hohe Übereinstimmung mit dem Gehalt an Radiokarbon (14C) in der Atmosphäre, wie er unter anderem aus Holzuntersuchungen bekannt ist. Die Konzentration dieses sehr seltenen Radionuklids spiegelt die frühere Aktivität der Sonne wider (welche die kosmische Hintergrundstrahlung, die eigentliche Ursache der Bildung von 14C, moduliert). Die Daten zeigen, dass z.B. die klimagünstige Zeit vor etwa 7000 Jahren, als die Gletscher kleiner waren als gegen Ende des 20. Jahrhunderts, mit einer Zeit hoher Sonnenaktivität zusammenfiel. Ähnliches gilt für die Bronzezeit und die Römerzeit.
Für die Frage nach der Bedeutung des anthropogen verursachten Klimawandels sind die Aussagen der Studie, eine Gemeinschaftsarbeit zwischen dem Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg (Arbeitsgruppe Prof. Augusto Mangini) und dem Institut für Geologie und Paläontologie der LFU Innsbruck (Arbeitsgruppe Prof. Christoph Spötl), jedoch nur bedingt relevant. Die 9000-jährige Zeitreihe endet derzeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie beinhaltet somit den markanten Temperaturanstieg seit dem Ende der „Kleinen Eiszeit“, aber noch nicht die auffallend warmen Jahre seit ca. 1980. Die neuen Daten sprechen aber dafür, dass das Klima in den Ostalpen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im Schwankungsbereich der vergangenen Jahrtausende lag; Ergebnisse, die mit Untersuchungen an alpinen Gletschern übereinstimmen.